Rassismus im Märchenwald

Christoph Poschenrieder erzählt in „Kind ohne Namen“ von einer Studentin, die in ihr fremdenfeindliches Heimatdorf zurückkehrt

Von Larissa GückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Larissa Gück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Xenia ist 22 Jahre alt und nach dem Abitur aus ihrem Heimatdorf in die große Stadt geflüchtet. Bücher sind ihre Leidenschaft, ein Studium der Literaturwissenschaft sollte daher genau das Richtige für sie sein. Falsch gedacht. „Auf einmal musste ich das, was mir immer warm und vertraut in der Hand lag, mit Zangen und Pinzetten anfassen – und das Papier wurde starr und spröde, die Worte darauf bockig und verstockt. Damit hatte ich nicht gerechnet“. Das Heimweh beginnt sie zu plagen und das verhasste Hinterwäldler-Dorf, ohne Handyempfang und voller Menschen mit fremdenfeindlichen Ansichten, die unter der Fuchtel des tonangebenden, scheinbar namenlosen Burgherren stehen, erscheint plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Dazu kommt eine ungeplante Schwangerschaft, die möglichst geheim bleiben soll. Xenia bricht ihr Studium ab und kehrt in ihr altes Kinderzimmer zurück. Die Heldin ist gefallen. Doch ihre beschämte Heimkehr wird von einem anderen Ereignis überstrahlt, wodurch ihr kaum noch  Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Bus rumpelt über die Stadtgrenze und lädt ein gutes Dutzend Menschen vor dem alten Schulhaus ab. Für die katatonischen Kleinstädter gibt es kein Halten mehr. Der Entschluss steht fest, die „Flüchtlinge“ müssen sofort wieder weg.

„Manche Leute wollen nicht mehr ‚Flüchtling‘ sagen. Wegen Eindringling, Wüstling, Lehrling. Es sei so abwertend dieses -ling. Ich aber sage: Pfifferling, Säugling, Schmetterling, Liebling, Darling, plingpling, klingeling“. Dieser Standpunkt macht die xenophile Xenia, in ihrem Heimatdorf voller xenophober Menschen, zur Einzelgängerin. Den Neuankömmlingen wird es von Tag zu Tag schwerer gemacht. Schuld daran ist allen voran Xenias Bruder Josef, der unter dem starken Einfluss des Burgherren steht und ihm als rechte Hand dient. Hoch oben auf seinem Märchenschloss überwacht dieser die Geschehnisse im Dorf und zieht insgeheim die Strippen. Er gibt sich als großer Gönner, der die dörfische Flüchtlingskrise abwenden kann. Als Gegenleistung dafür fordert er nichts weiter als ein neugeborenes, ungetauftes Kind. Im Unwissen über die Schwangerschaft ihrer Tochter stimmt Xenias Mutter der Bedingung des Burgherren zu. Nach einigen Wochen wird der Mutter klar, dass sie ihr eigenes Enkelkind nicht einem nationalsozialistischen Rumpelstilzchen überlassen kann. Als der Vertrag jedoch gebrochen wird, wird das Dorf von einer Spinnenplage überrollt. Die Bewohner verlieren den Verstand und es wird eine Hetzjagd auf die Flüchtlinge veranstaltet.

Neben zahlreichen Märchenallegorien finden sich in Christoph Poschenrieders Roman auch offenkundige Parallelen zu Jeremias Gotthelfs Die schwarze Spinne. Die belesene Protagonistin erkennt diese Analogien ebenfalls und vergleicht die Situation im Dorf mit der Novelle: „Es geht darin um Gut gegen Böse, Frömmigkeit gegen Sünde. Liederliches Leben, Wollust, Ausschweifung, Hochmut: Pfui! Gottesfürchtiges Leben: Like!“ Ein Standpunkt, der die Geschichte rund um Xenia treffend beschreibt. Poschenrieder selbst sieht seinen Roman in diesem Punkt als Therapiestunde. Er verarbeitet in Kind ohne Namen sein Lektüre-Trauma aus der 9. Klasse, das die Teufelspakt-Novelle hervorrief. Um dem Ganzen die Schärfe zu nehmen, durchtränkt der Autor seinen Text mit Metaphern, Neologismen und Wortwitz, die den Leser zunächst stutzen und dann schmunzeln lassen. Trotz der vordergründigen Wortgewandtheit bleibt der Handlungsschwerpunkt deutlich und wird keinesfalls herabgestuft. Im Gegenteil, die Kombination aus Witz und Ernsthaftigkeit lässt neuen Diskussionsraum für die Flüchtlingsproblematik, den die Protagonistin in ihren inneren Monologen voll ausfüllt.

In Kind ohne Namen verhandelt Christoph Poschenrieder ein insbesondere seit der „Flüchtlingskrise“ aktuelles und brisantes Thema: Fremdenhass gegenüber Asylbewerber*innen. Entstanden ist eine Geschichte, deren Genre sich aufgrund der Fülle verschiedenster intertextueller Versatzstücke nicht genau benennen lässt. Mit Action, Spannung, Liebe, Märchen und Intrigen schildert der Autor das Treiben rund um die neuen Bewohner des scheinbar beschaulichen, aber abgründigen Dorfs. Als Protagonistin dient eine junge Frau mit einer starken, modernen Meinung, die sich ganz offen gegen den Rassismus in ihrem Heimatort ausspricht. Mit Witz und Ironie verpackt Poschenrieder den kontrovers diskutieren Stoff der Flüchtlingsproblematik in einen leicht lesbaren Roman.

Titelbild

Christoph Poschenrieder: Kind ohne Namen. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070002

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