Ziemlich beste Verwandte

In seinem Roman „Hühnergötter“ erzählt Frank Schäfer von einer besonderen Freundschaft

Von Hanneliese LenkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanneliese Lenk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Mann um die 40, der als freier Autor in einem niedersächsischen Dorf wohnt und sich mit leuchtenden Augen an seine alte Heavy-Metal-Band erinnert: Diese Beschreibung trifft nicht nur auf die Hauptfigur Friedrich zu, sondern weist auch erstaunliche Parallelen zu ihrem Erfinder Frank Schäfer auf. Der Schriftsteller und freie Journalist lebt in Braunschweig und verbindet in seiner Arbeit seine Leidenschaften für Musik und Literatur. Das musikalische Wissen, das Schäfer im Musikmagazin Rolling Stone sowie in zahlreichen Sachbüchern teilt, lässt er auch in seinen 2017 veröffentlichten Roman Hühnergötter einfließen. Schnell stellt sich die Frage, ob den Parallelen zwischen Autor und Protagonist eine tiefere Bedeutung zugeschrieben wird. Wie hoch ist wohl der autobiografische Anteil der Erzählung? Nicht zuletzt das Verschwimmen der klaren Grenze zwischen Frank und Friedrich verleiht dem Buch einen ganz eigenen Unterhaltungscharakter.

„Mein Onkel ist dort an Krebs krepiert. Ich kann nichts dafür, du auch nicht.“ Jahre sind vergangen, seit Friedrich das Haus von Onkel Adolf geerbt hat. Nun kehrt er zurück in sein niedersächsisches Heimatdorf, um sich der großen Baustelle anzunehmen. Seine Frau Antonia fährt mit dem gemeinsamen Sohn Ansgar zur Mutter-Kind-Kur nach Zingst, und so bleiben Friedrich vier Wochen Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. Was zunächst lediglich nach einer Menge Renovierungsarbeit klingt, wird schnell zu einer Reise in die Vergangenheit. Die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit dem Onkel vermischen sich mit Anekdoten aus der Kindheit, Problemen mit den Eltern und nostalgischen Musiker-Momenten. Als dann noch das große Jahrgangstreffen ansteht und eine schwarzhaarige Schönheit auftaucht, ist das Gefühlschaos perfekt.

Schäfer beschreibt in kurzen Episoden kleinere und größere Momente aus Friedrichs Leben und wechselt dabei immer wieder zwischen dem gegenwärtigen Geschehen und der Vergangenheit. Durch das Erzählen aus der Ich-Perspektive ermöglicht er den Leserinnen und Lesern das unmittelbare Nachvollziehen der Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten. Die dadurch entstehende Nähe verstärkt den aufgrund der bereits erwähnten Parallelen bestehenden Drang, in der Handlung nach autobiografischen Referenzen zu suchen. Betrachtet man dazu die zeitlichen Daten, die innerhalb der einzelnen Geschichten genannt werden, ergibt sich ein konsistentes Bild. Demnach spielt die erzählte Gegenwart im Frühjahr 2006 und wäre auch auf den gleichaltrigen Frank Schäfer übertragbar.

Schwieriger gestaltet sich die geografische Einordnung: Was hat es mit Friedrichs ominösem Heimatort Giffendorf auf sich, das sich auf keiner aktuellen Karte finden lässt? Der Name dürfte eine Anspielung auf Arno Schmidts Roman KAFF auch Mare Crisium sein, der das Dorf in der Lüneburger Heide ansiedelt. In Hühnergötter wiederum bezeichnet Friedrich seine Heimat als „niedersächsisches Heidekaff“, das zwischen Braunschweig und Wolfsburg liegt. Obwohl sich Schäfer auf einen rein literarischen Ort bezieht, gelingt es ihm, auf authentische Art und Weise die lokale Mentalität darzustellen. Der umgangssprachliche Ton der Gespräche, denen vereinzelt Dialektfetzen beigefügt werden, passt zu den alltäglichen Situationen. Mit viel Feingefühl verleiht Schäfer dabei auch dem scheinbar Banalen eine tiefere Bedeutung. So erkennt beispielsweise Friedrich, dass er den Hühnergöttern ähnelt, die sein Sohn Ansgar an der Ostsee sammelt – jenen kleinen Steinen also, in die die Brandung ein Loch gespült hat.

Auf der kurzweiligen Erzählung liegt bald ein melancholischer Schleier, der mitunter als seichtes Selbstmitleid abgetan werden kann. Lässt man sich aber auf diesen Stil ein, so erschließt sich einem der besondere Charme der Geschichte. Denn Schäfer nimmt sich die Zeit für die kleinen Dinge und gibt diesen genügend Raum zur Entfaltung. Wer ein Freund des stringenten, chronologischen Erzählens ist, wird daher enttäuscht werden. Allen anderen ermöglicht Schäfer, das Gedankenchaos seines Protagonisten ungefiltert und zeitgleich mitzuerleben. Friedrichs Erinnerungen an die besondere Freundschaft zu seinem Onkel gewähren dabei auch tiefe Einblicke in seine eigenen Ängste und Sorgen. Anders als die meisten hatte Friedrich hinter dessen eigenwillige, von Alkohol durchtränkte Fassade geblickt und einen warmherzigen, tröstenden Seelenverwandten gefunden. In dem Gefühl geeint, von den anderen nicht verstanden zu werden, hatten die beiden viele Stunden miteinander verbracht.

Die Erinnerungen an diese Zeiten lassen Friedrich nachdenklich zurück. Auf die Frage, wonach er eigentlich suche, antwortet er sich schließlich: „Das nostalgiebemooste Glück einer Zeit vielleicht, in der man nur darauf wartete, dass es endlich losging, das Leben, und die sich später als die einzige Zeit herausstellt, in der es wirklich mal losgegangen war.“Aussagen wie diese zeigen die Nachdenklichkeit, die den gesamten Roman durchzieht. Sie sind zugleich die Antwort an jene, die dem Ganzen fehlende Zielstrebigkeit vorwerfen sollten. Denn wenn Friedrich sich selbst eingesteht, dass sein Schreiben stets einem handfesten Zweck unterworfen sei, hört man daraus auch den Autor Frank Schäfer, der die kapitalistischen Marktmechanismen kritisiert.

Hühnergötter ist eine warmherzige und kluge Erzählung über eine besondere Freundschaft, den Tod und die Erinnerungen, die bleiben. Sie zeigt dabei, wie wichtig das Innehalten und das Hinterfragen eigener sowie fremder Ansprüche ist und lässt womöglich tiefer in Schäfers Seelenleben blicken, als es zunächst scheint.

Titelbild

Frank Schäfer: Hühnergötter. Roman.
Limbus Verlag, Innsbruck 2017.
198 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783990391105

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