Verzettelung im Zeichen der Postmoderne

Bernhard Landkammers ambitionierter Versuch, Theorie und Praxis im Kontext räumlich postmoderner Uneindeutigkeiten zusammenzudenken

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das theoretische Nachdenken über Begriff und Zustand des Postmodernen dürfte mittlerweile unzählbare Regalmeter füllen und veranlasst doch auf nachvollziehbare Art und Weise immer wieder zu Revisionen, Aktualisierungen und – vor allem – praxisbezogenen literarischen Anwendungen. Assoziiert (und präzisiert) man jenen Terminus – wie es Bernhard Landkammer in seiner vorliegenden Dissertation tut – mit und durch das Phänomen der Uneindeutigkeit als einem kritischen Umgang mit Vorstellungen der Ganzheit und Kohärenz, so bieten sich fruchtbare Perspektiven auf eine, seit 2000 auf interessante Weise anders konfigurierte deutschsprachige Prosa.

Auch wenn an dieser Stelle kritisch zu fragen wäre, inwieweit nicht gerade zentrale zeitgeschichtliche Ereignisse wie 9/11, die zunehmende Entfesselung eines digitalen Finanzkapitalismus oder die flächendeckende Durchsetzung des Internets die Literatur hinaustreiben aus ihrer als postmodern adressierten Selbstbezüglichkeit und ihrem spielerischen Duktus (und dieses Label damit hier für Texte von Dietmar Dath, Sibylle Berg und Wolfgang Herrndorf etwa nur bedingt funktioniert), vollzieht Landkammer eine ambitionierte Bewegung: Er profiliert das Konzept des Postmodernen eher im Lichte des Räumlichen und Architektonischen, verquickt es auf diese Weise mit bestimmten soziokulturellen und gesellschaftspolitischen Konzepten und fragt unter diesen Voraussetzungen nach dem Ineinander von literarischem Text und theoretischem Hintergrund. Damit ist für ihn in letzter Konsequenz auch klar, dass eine Darstellung der diesbezüglichen Zusammenhänge nur symbiotisch funktionieren kann – die konventionalisierte Aufteilung des wissenschaftlichen Textes in einen Theorie- und einen Praxisteil wird entsprechend obsolet, wirkt vielmehr künstlich-heuristisch in Texten, die doch gerade das Grenzüberschreitende, das Netzwerkartige, das Dazwischen und Nebeneinander von Diskurselementen zu erfassen suchen.

Idealiter gedacht ist dieser methodische Anspruch in höchstem Maße sinnvoll, nur funktioniert er hier nur im Ansatz: Landkammer gelangt auf luzide Weise zwar zu einer überzeugenden Gesamtbetrachtung vieler zentraler Ansätze zum postmodernen Raumparadigma, das er mit Hilfe von Roland Barthes, Jaques Derrida, Homi K. Bhabha oder Henri Lefevbre sowohl textstrukturell überzeugend anhand der Figuren des Netzwerks, der Grenze, der Differenzbeziehung von Zentrum und Peripherie und der Identitätsrelation Innen-Außen präzisieren als auch soziokulturell (und in Verbindung mit dem postmodern ursprünglichen Bezugsfeld der Architektur) einbetten kann. Allein die Einbindung der literarischen Textbeispiele wirkt über weite Strecken schlaglichtartig-ungebunden und kann nicht immer die größte Überzeugungskraft entwickeln, was insgesamt überaus schade ist in Anbetracht der überzeugenden Kernüberlegung. Außerdem lässt der häufige Rekurs auf externe Langzitate den Dissertationstext an vielen Stellen etwas zerfasern und verdichtet den Eindruck des manchmal Punktuellen und Sprunghaften, was nicht selten durch allzu kurze und nicht immer aufeinander bezogene Sätze verstärkt wird. Dennoch liefert der Text insgesamt den schlüssigen Beleg für die Notwendigkeit der fortwährenden Befragung der gerade räumlich kodierten Implikationen des Postmoderne-Konzepts für gegenwärtige literarische Texte und stellt auch für künftige Arbeiten ein solides Instrumentarium bereit.

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Bernhard Landkammer: Nirgendwo/ Überall. Räumliche Eindeutigkeitsauflösungen (in) deutschsprachiger Prosa seit 2000.
edition text & kritik, München 2019.
388 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783869168494

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