Schöne Tage im Tübinger Stift
Die Geschichte eines produktiven Dreierbunds
Von Werner Jung
In einem von Friedrich Hölderlins spätesten Gedichten heißt es: „Es waren schöne Tage. / Aber traurige Dämmerung folgte nachher.“ Damit beendet Erich Witschke seinen Roman mit dem wenig aussagekräftigen Titel Hegel, Hölderlin, Schelling. Jedoch ist der Text deutlich gelungener, als sein fader Untertitel Roman einer Männerfreundschaft vermuten lässt. Denn der Autor, ein ehemaliger protestantischer Pfarrer in Köln, hat mit seinem späten Erzähldebüt (er ist Jahrgang 1940) einen beeindruckenden historischen Roman vorgelegt, der nicht in die Falle des naheliegenden Genres Gelehrtenroman tappt, wie er im 19. Jahrhundert – etwa bei Gustav Freytag – so überaus populär gewesen ist. Natürlich greift auch Witschke auf gesicherte Quellen zurück, benutzt ausgiebig die edierten Briefe Friedrich Hölderlins, Georg Wilhelm Friedrich Hegels und Friedrich Wilhelm Joseph Schellings und beschäftigt sich – wenn auch nicht ausdrücklich – mit anderen romanhaften Bearbeitungen des dankbaren Stoffes. Aber Witschke gewinnt dieser oft behandelten Thematik – des Dreierbunds im Tübinger Stift – durchaus eigene Aspekte ab und lauscht dem „Wechsel der Töne“ (Hölderlin) noch einen weiteren Klang ab.
Witschke lässt seine Protagonisten im ständigen Wechsel zu Wort kommen, erzählt perspektivisch die unterschiedlichen Lebenswege von Hölderlin, Hegel und Schelling – beginnend mit der kurzen gemeinsamen Zeit im Tübinger Stift und dabei immer wieder gravitierend um jene durchaus heißen Diskussionen, an deren Ende der (in Hegels Handschrift überlieferte) Entwurf zu einem neuen philosophischen Programm steht, das sogenannte Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus. Ein besonderes Gewicht legt der Autor auf die jeweiligen Psychogramme seiner Protagonisten. So kommen schließlich drei Charaktere zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Da ist auf der einen Seite der zerrissene und rastlose Hölderlin, der nicht weiß, ob in der Literatur oder der Philosophie seine Bestimmung liegt, der womanizer, dem es die Frauen „so leicht machten“, wie es an einer Stelle heißt; da sind auf der anderen Seite der bieder-bodenständige Hegel, dem bereits im Stift das Attribut „der Alte“ zukommt, der Spätentwickler und Vernunftmensch, dem der ehrgeizig-schnelle, rastlos produzierende Schelling, das Wunderkind, gegenübersteht. Es eint sie die Begeisterung für die Französische Revolution – mindestens in deren Anfangsphase – wie der Abscheu vor dem terreur; und ihr gleichermaßen opponierender Geist lässt sie im Ausgang vom verehrten Immanuel Kant und dem nicht minder hochgeschätzten Johann Gottlieb Fichte nach neuen Orientierungsbojen in der Philosophie suchen.
Witschkes Roman kreist, ohne dass er dabei papieren würde oder sich im Dickicht der Philosopheme des Deutschen Idealismus verfinge, um diesen jugendlichen Aufbruch, der eine zentrale Epoche deutscher Kultur-, Literatur- und Philosophiegeschichte markiert. Das gilt insbesondere dann, wenn man noch die Gründungsgeneration der Romantiker hinzunimmt, die in Gestalt von Novalis, den Schlegel-Brüdern und den Romantikerfrauen ebenfalls ihren Part im Text erhalten. Dass Witschke dann in seinem Roman die Lebensgeschichten von Hölderlin, Hegel und Schelling bis zu deren Tod schildert, mag man ihm ankreiden wollen, weil er dadurch noch ein weiteres halbes Jahrhundert in den Griff bekommen muss. Der Ertrag ist, dass es ihm gerade so wieder gelingt, das nahezu zwangsläufig-notwendige Auseinanderdriften der drei Biografien sinnlich-plastisch vor Augen zu stellen: das Verstummen Hölderlins in seinem Turm am Neckar, die unaufhörliche – wiewohl späte – Karriere Hegels und das mondäne Leben Schellings in München. Witschke hat einen historischen Roman von Format vorgelegt, dem man im Hölderlin-Jahr eine große Leserschaft wünscht.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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