Mann mit Leica

„Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950“: Jetzt liegt die erste umfassende Werkbiografie zum Fotografen Dr. Paul Wolff und seinem Begleiter Alfred Tritschler vor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn die Rede auf Fotografen kommt, die für die Weimarer Republik kennzeichnend sind, dann wird Paul Wolff, der im Namen stets seinen Titel mitführte, meistens erst in zweiter Linie genannt. Sein Kompagnon Alfred Tritschler kommt in diesem Zusammenhang sogar meist nur als Appendix der Firmenbezeichnung zur Sprache: Dr. Paul Wolff & Tritschler. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Wolff vor allem durch einen Band einschlägig geblieben ist, der erst nach Ende der Weimarer Republik erschien: „Meine Erfahrungen mit der Leica“ (1934), in dem er die Leistungsfähigkeit der nur zehn Jahre zuvor auf den Markt gebrachten Kleinbildkamera unter Beweis stellte.

Zehn Jahre hatte es gebraucht, bis nicht nur eine gebrauchsfähige, belastbare, kleinformatige, flexible und zudem mit Rollfilm statt Platten ausgestattete Kamera zur Verfügung stand, sondern auch noch hinreichend lichtstarke Objektive und empfindliche Filme verfügbar waren. Der Band hatte es denn auch in sich, bewies Wolff doch Seite um Seite, Fotografie um Fotografie, was in dem unscheinbaren, aber enorm handlichen Apparat steckte, der es zu großer Berühmtheit bringen sollte. Die Leica wurde zur Kamera der Reporter, bis sie dann schließlich auch noch zum Statussymbol von Fotoenthusiasten wurde. Für ein Unternehmen eine Last, aber eben auch eine Chance. Die Dr. Paul Wolff nutzte. Denn er veröffentlichte einige Jahre später nicht nur eine zweite Fassung seiner Leica-Erfahrungen, sondern auch noch eine weitere Variante in Farbe, und das trotz der Dominanz der Schwarzweißfotografie vor allem in der ambitionierten Fotokunst.

Bei allen Meriten, die sich Wolff mit dem Leica-Band erwarb, bleibt aber doch der Verdacht, es handele sich im Wesentlichen um eine Firmenschrift, die wohl vor allem den illustren und zahlungsfähigen Club der Leica-Besitzer interessiert hat. Technisch interessant, aber ästhetisch?

Und: Gehört Wolff nicht zu den zahlreichen Kreativen, die dem NS-Regime gedient haben, weil es gut für sie sorgte? Immerhin stammt eine Reihe seiner großen Arbeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Auch in der Fotografie gibt es genügend „Märzgefallene“. Und ohne Zweifel hat Wolff Tribut gezahlt, wie seine Publikationen zeigen, die eben auch dem Ruhme Nazi-Deutschlands dienten. Der Deutschland-Band von 1936 zeugt davon: Der Herausgeber dieses Bandes hat etwa 20 Propagandaschriften identifiziert, Tritschler wird 1941 als Kriegsberichterstatter eingezogen. Wolff selbst ist bei Kriegsbeginn bereits über 50.

Nun gibt es viele Gründe, eine solche Indienstnahme durch das Regime nicht zu entschuldigen, aber Wolffs Bedeutung verschwindet dahinter eben nicht. Der 1887 im Elsass geborene Mediziner, der 1919 – zwangsweise – nach Frankfurt am Main kam und der sich anfangs mit konventionellen Stadtfotografien einen Namen zu machen versuchte, ist mithin eben auch eine Figur seiner Zeit, auffallend, ein ungemein interessanter Fotograf, und nicht unabhängig von dem, was um ihn herum geschah. Seit Beginn der 1930er Jahre gehörte Wolff zu den ganz Großen seines Faches in Deutschland. Zu dieser Einschätzung gehört eben auch, dass Wolff nicht nur technisch außerordentlich gute Fotos herstellte, sondern auch die innovativen Trends seiner Zeit intelligent und kompetent aufzunehmen wusste. Dazu gehört auch die Leica- und damit Kleinbild-Fotografie, deren Stärken er zurecht in der Reportage und im dynamischen Bild sah, wie sich später ja auch erweisen würde. Vor allem aber war es das Foto-Buch – jenes merkwürdige Format, in dem Fotografien ins Zentrum rückten –, in dem Wolff reüssierte.

Es ist im Wesentlichen Paul Wolff zu verdanken, dass die schon zuvor höchst erfolgreiche Fotobuchreihe Die Blauen Bücher des Verlags Karl Langewiesche, die bis Ende der 1920er Jahre eher durch gediegene Fotostile charakterisiert wurde, die Tendenzen des Neuen Sehens Ende der 1920er Jahre aufnahm und sich damit radikal modernisierte. Zwar erschienen Albert Renger-Patzschs und Karl Blossfeldts berühmte Fotobücher Die Welt ist schön und Urformen der Kunst vor Wolffs ähnlich angelegtem Band mit Pflanzenfotografien. Aber was dieser Band bereits andeutete, zeigte sich dann spätestens mit dem gleichfalls bei Langewiesche veröffentlichen Fotobuch mit Fotografien von Tieren im Zoo: Dr. Paul Wolff nahm nicht nur die Formensprache des Neuen Sehens auf, sondern war auch ein höchst sorgfältiger Fotograf.

Seine Karriere und die seiner Firma ist freilich eng mit dem jungen Alfred Tritschler verbunden, der 1927 zu Wolff stieß. Die Kooperation wurde dabei so eng, dass in vielen Fällen nicht mehr abgrenzbar ist, welche Fotografien von Tritschler und welche von Wolff sind.

Und obwohl Fotobücher und keine einzelnen Werke oder Werkgruppen im Gedächtnis geblieben sind, lassen sich zahlreiche außergewöhnliche Fotografien herausheben, die der nun von Hans-Michael Koetzle herausgegebene Band über das Fotografenunternehmen „Dr. Paul Wolff & Tritschler“ auf wunderbare Weise zu präsentieren weiß: Die Aufnahme aus der Montagehalle der „Berliner Maschinen AG vorm. L. Schwartzkopff“ aus dem Jahr 1941, die wohl von Alfred Tritschler stammt, gehört zweifellos zu den beeindruckendsten Exempeln der Industriefotografie. Die Aufnahme Wolffs der Hut tragenden Menge aus dem Jahr 1928, die einer Sportveranstaltung beiwohnt, weist eine aufregende Struktur auf, während die schwebende, unwirkliche Atmosphäre der Aufnahme des Wiesbadener Opelbades aus dem Jahr 1934 (gleichfalls von Wolff), ihresgleichen sucht. Auch einige Aufnahmen des Zoo-Bandes, der 1929 in den Blauen Büchern erschien und als erster Band der Reihe den Namen des in diesem Fall alleinigen Fotografen Dr. Paul Wolff trug, sind bekannt geworden: das spielende Dromedarfohlen, das auf dem Muttertier hockt, der Orang-Utan Sarpan aus dem Frankfurter Zoo. Wolff ist nicht nur einer jener Fotografen, die die Entwicklung vom illustrierten Buch zum Fotobuch vorantrieben, wie Koetzle beiläufig bemerkt. Er setzt sich – als Fotograf – zugleich auch als bestimmender Autor solcher Fotobücher durch.

Mit dem Erfolg der Fotografien Aus zoologischen Gärten war Dr. Paul Wolff ein bekannter Fotograf geworden. Der Band erlebte bis zum Kriegsende vier Auflagen und eine Gesamtauflage von 54.000 Exemplaren. Und als Folge davon wurde Dr. Paul Wolff mit seiner Firma zu einem der Stammlieferanten der äußerst erfolgreichen Blauen Bücher. Andere Fotobuch-Verlage folgten, so etwa der Atlantis Verlag, der eine neue Fassung des Deutschland-Bandes aus der Reihe Orbis Terrarum vorlegte, mit einer Einleitung von Ricarda Huch und eben – neben anderen – Fotografien von Dr. Paul Wolff.

Wolff gehörte also zu den äußerst produktiven Fotografen, die für die Konjunktur des Fotobuchs seit Ende der 1920er Jahre verantwortlich sind. Außerdem hat er sich intensiv um das Thema Firmenschriften gekümmert, die als Arbeitsfeld für Fotografen im Laufe der 1920er und 1930er Jahre mehr und mehr an Bedeutung gewannen. Die Liste der Publikationen, die Dr. Paul Wolff & Tritschler zum Teil vorweisen können, verzeichnet über 300 Bände und zeigt die wirtschaftliche Bedeutung des Fotobuchs für die Fotografen ebenso an wie seine Position im Geflecht neuer Medien, die sich im frühen 20. Jahrhundert mehr und mehr durchzusetzen begannen.

Darüber hinaus arbeitete Wolff mit einem der wichtigsten Reportage-Autoren der 1930er Jahre zusammen, Heinrich Hauser, mit dem Wolff & Tritschler einen Band über die Opelwerke entwickelten: Im Kraftfeld von Rüsselsheim (1940), der ironischerweise erst erschien, als Hauser bereits über Kanada in die USA gereist war, ob als Propagandist deutscher Interessen oder als Exilant, ist bis heute nicht geklärt. Irritierend bleibt, dass Hauser-Bände in Deutschland bis in die Kriegsjahre hinein erschienen, als sich der Autor bereits in den USA auf einer Farm niedergelassen hatte. Allein die Opelschrift erreichte bis 1942 drei Auflagen und immerhin zwei Auskopplungen. Auch die Kooperation mit Alfons Paquet ist hervorzuheben, ein Band über den Rhein, der gleichfalls im Jahr 1940 erschien.

1950 starb Paul Wolff, sein Kompagnon Alfred Tritschler machte weiter, unter anderem mit zwei weiteren Bänden, zu denen Heinrich Hauser, noch kurz vor dessen Tod, die Texte beigesteuert hatte. Aber die extraordinären Publikationen und Aufträge wurden seltener. Bis Ende der 1950er Jahre führte Tritschler die Firma noch fort, gab dann das Unternehmen an seinen Neffen weiter, der es 1972 in ein Bildarchiv umwandelte. 1970 ist Alfred Tritschler verstorben.

Titelbild

Hans-Michael Koetzle (Hg.): Dr. Paul Wolff & Tritschler. Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950.
Kehrer Verlag, Heidelberg 2019.
463 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783868288803

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