Ein Maler in Rom

Erotisches in Christoph Braendles „Aus den Augen“

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei Christoph Braendle, dem Schweizer Weltenbummler aus Wien, geht es selten ganz ohne Erotik ab. Braendle hat als Journalist und Reporter gearbeitet, er hat skurrile Theaterstücke und glänzende Essays verfasst, und er hat eine beachtliche Menge an literarischen Büchern publiziert, unglücklicherweise in ganz unterschiedlichen Verlagen, was seiner Sichtbarkeit nicht gut tat. Seine Werke zeichnen sich durch hohe sprachliche Qualität aus, einen wachen, neugierigen Blick auf die Welt sowie eine immer wieder verblüffende Originalität des jeweiligen Themas und der dafür gewählten literarischen Form. Und darüber hinaus eben: die Beschäftigung mit der Lust und der Liebe, mit den zahllosen Spielarten des Erotischen. Das gilt auch für seinen jüngsten Roman Aus den Augen.

Der Roman spielt in Rom, wo ein aus dem geistfeindlichen und intriganten Wiener Künstlermilieu geflüchteter junger Maler die alten Meister studiert, vor allem die Marien- und sonstigen Frauenfiguren in den zahlreichen Kirchen der Ewigen Stadt. Langweilig? Nein, denn gleich zu Beginn begegnet er in seinem Stammcafé nahe der Piazza Navona einem alten und offenbar sehr reichen Mann, der ihm ein ungewöhnlich hohes Honorar verspricht, wenn er dessen wesentlich jüngere Gattin Lisa porträtiert. Nackt natürlich. Öl auf Leinwand, zwei Meter fünfzig mal ein Meter sechzig. Zum Deal gehört, dass ihm der alte Herr in aller Ausführlichkeit seine Lebens- und Liebesgeschichte erzählen darf – was dem Maler anfangs gar nicht recht ist und mehrfach fast zum Abbruch ihrer eben nicht rein geschäftlichen Beziehung führt.

Doch die Geschichte des Alten, dominiert von der Jagd nach einem erfüllten und glücklichen, einem erotischen und zugleich ästhetischen Leben, ist hochgradig spannend. Zumal die üppige und lebenskluge Gemahlin und der in den Sog der pikanten Konstellation hineingezogene Ich-Erzähler ganz andere, vielleicht zeitgemäßere Sichtweisen einbringen als der alte Herr, „der typische Repräsentant einer verzweifelten Linken, saturierten Wohlstand genießend inmitten einer finsteren, Depression erzeugenden Welt“.

Aus den Augen entfaltet drei auf ganz unterschiedliche Weise vom Eros getriebene Lebensläufe mit oft überraschenden Wendungen und jähen Volten. „Wir sind Gefangene unseres Schicksals“, heißt es einmal, und womöglich ist das durchaus programmatisch gemeint. Drei Hauptfiguren also. Das bedeutet hier auch: häufige Perspektiven- und Sprachwechsel, Vermischung und Verschachtelung der Erzählebenen und -zeiten, Zitate aus der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte.

Der Lesbarkeit schadet das nicht, und die Leseneugier bleibt bis zum Schluss erhalten. Ja, vielleicht hat der junge Maler am Ende wirklich ein vollendetes Meisterwerk geschaffen! Doch hat es ihm geholfen? Kann Kunst helfen? Und wenn nicht, wozu ist sie dann überhaupt da? Aus den Augen ist, ganz nebenbei, auch ein kunstphilosophischer Roman. Mehr wird nicht verraten.

Titelbild

Christoph Braendle: Aus den Augen. Roman.
Bibliothek der Provinz, Weitra 2019.
226 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783990288238

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