Die so akkurat-nüchtern gemalten Bilder bergen ein Geheimnis

Ulf Küsters neue Publikationen „Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft“ und „Edward Hopper A-Z“ zeigen ein Werk zwischen Melancholie und Skeptizismus, Unheimlichkeit und Bedrohung

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

High Noon (1949) von Edward Hopper: Eines der typischen Holzhäuser: eine junge Frau steht an der Tür. Schaut sie in die Landschaft, erwartet sie jemanden, ruft sie einer nicht sichtbaren Person etwas zu, hält sie Zwiesprache mit ihr? Wir können nur Vermutungen anstellen, aber dieses Mutmaßliche irritiert uns, lässt uns die Augen nicht von diesem Bild abwenden. Der Band Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft zeigt links daneben das Bild Cape Cod Sunset (1934) mit einem etwas raffinierteren, doch wie tot wirkenden Haus. Die Fensterrollos sind halb heruntergelassen und ein Wald mit einer magischen Himmelsformation dient als Kontrastfolie zu dem unbewohnten oder zumindest verlassenen Gebäude. Statik und Dynamik zeigen sich durch die Farben: Das starre, abweisende Gelb der Fensterläden kontrastiert mit dem mit Rot gemischtem lebendigen Gelb des Himmels. The Bootleggers (1924 oder 1925) zeigt ein Boot mit drei Alkoholschmugglern, das auf ein zweistöckiges Haus mit Mansardendach zusteuert, vor dem schon ein Mann auf sie wartet. Die Gesichter der Männer werden nicht gezeigt, ihre Anonymität soll gewahrt bleiben. Aber was spricht dafür, dass es sich hier um Alkoholschmuggel handeln soll? Diese Ungewissheit und Unbestimmtheit machen das Bild rätselhaft, regen zu immer wieder neuen Überlegungen und Wahrnehmungen an.

Bis heute ist Edward Hopper einer der beliebtesten Künstler in den USA. Seine Einschätzung der Rationalisierungsprozesse und der oft entfremdeten und desorientierenden Effekte in der Moderne haben sich in seinem ganzen Werk niedergeschlagen. In den Bildern einsamer Figuren im urbanen Milieu ebenso wie in den spartanischen und Unbehagen erzeugenden Szenen mit ihren leeren Straßen, stillgelegten Fabriken, leerstehenden Häusern und wuchtigen Granitfelsen. Das Whitney-Museum in New York, in dem der Nachlass Hoppers aufbewahrt wird, hat mehr als 40 Werke – Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen – dieses großen „bekannten Unbekannten“ zum Thema Landschaft zur Verfügung gestellt, die zusammen mit weiteren Leihgaben in der Fondation Beyeler in Riehen / Basel (bis 7. Mai) gezeigt werden.

Landschaft zeigt immer den Einfluss der Menschen auf die Natur – das spiegeln Hoppers Bilder auf subtile und vielfältige Weise wider. „Den sichtbaren Landschaften stehen immer unsichtbare, im Innern des Betrachters erscheinende subjektive Landschaften gegenüber“, schreibt Ulf Küster, der Kurator dieser Ausstellung und zugleich Herausgeber der großformatigen Begleitpublikation. Küster geht von der Vertrautheit der von Hopper gemalten Situationen aus. So besitzt der Wald – ob in Cape Cod Morning (1950) oder in Gas (1940), das eine Tankstelle zeigt –, zwar eine uns vertraute Präsenz, wirkt aber trotzdem unheimlich. Diese „scheinbar einfache[n] Bilder“ können „enorme innere Welten eröffnen […], ohne diese konkret zu benennen“, so Küster.

Und das gilt nicht nur für Hoppers Bilder vom Wald. Die Radierung American Landscape von 1920 ist eine der Arbeiten, die Hoppers spätere Bildfindungen beeinflusst haben. Kühe überqueren einen Eisenbahndamm, an dem sich ein mehrstöckiges Giebelhaus erhebt, in Richtung des im Hintergrund liegenden Waldes. Sowohl die Weite des Himmels im oberen Bildteil wie der sich rechts und links fortsetzende Damm und Wald vermitteln eine Unbegrenztheit des Landschaftsraumes. Diese Darstellung korrespondiert mit dem einsamen viktorianischen House by the Railroad (1925), also des Second Empire aus dem 19. Jahrhundert, das einen – wie von einem Reisenden aus dem Zugfenster erhaschten – Blick zurück in die Vergangenheit suggeriert.  Gerade in seinen Bildern des grenzenlos scheinenden Landes auf der Halbinsel Cape Cod vor Boston, auf der er mit seiner Frau Jo seit 1934 in den Sommermonaten lebte, offenbarte sich Hopper die Dynamik der Natur besonders deutlich, die er durch die Lichtführung und die fast überbetonten Schatten einfing.

Im Katalog erklärt Ulf Küster, „dass das, was auf Hoppers Bildern nicht zu sehen ist, ebenso wichtig ist, wie das, was auf ihnen zu sehen ist“. Bei der Ausstellung, die sich auf Hoppers Landschaftsdarstellungen konzentriert, geht es nicht nur um die Ölgemälde, sondern auch um die noch weithin unbekannten Arbeiten auf Papier, mitunter großformatige Aquarelle und Zeichnungen. Hopper stützte sich auf verschiedene Kompositionsprinzipien, so die einfache Frontalansicht parallel zur Bildfläche, die Darstellung einer Szene aus der Vogelperspektive und die Platzierung eines Gegenstandes auf einer in die Bildtiefe führenden Schrägen. Seine wesentlichen Themen – „Felsen – Licht und Schatten“, „Menschen und Landschaft“, „Schiffe und Leuchttürme“, „Häuser und Landschaft“, „Verkehrswege“, „Der Wald“ – werden im Konnex mit den entsprechenden Abbildungen kommentiert.

Ausgehend von dem Gemälde Cape Ann Granite (1928), bei dem der Maler seine Aufmerksamkeit auf die wie von Riesen in die Küstenlandschaft geworfenen Felsbrocken richtet, beschäftigt sich Erika Doss in ihrem Beitrag im Katalog mit den Sujets, die Hopper im Sommer 1928 in Gloucester malte und was er ignorierte. Dessen andere Ansichten von Cape Ann stellen abgestellte Autos und Lokomotiven, „nackte Betonmauern“, nichtssagende Häuser als tristes Konterfei der „Amerikanischen Szene“ dar. Und dennoch liegt über ihnen ein Hauch des Geheimnisvollen.

David M. Lubin erläutert in seinem Beitrag, wie Hoppers Bilder „von intensivem Licht, das auf glatte Flächen prallt“, nicht nur die Schwarz-Weiß-Filme seiner Zeit nachahmen, sondern wie Alfred Hitchcock, der „Master of Suspense“, von dem von Hopper dargestellten „vorletzten Moment“ genauso gefesselt war wie dieser. Auf Cape Cod Morning (1950) späht eine Frau aus dem Erkerfenster eines Hauses nach draußen in den Wald, der zu einem Ort düsterer Vorahnung werden kann. Wenn wir auch den Blick der Frau nicht nachvollziehen können, so ist doch das gesamte Bild eine Spiegelung der besonderen Qualität ihres Sehens. Die Konzentration auf das Licht, Hoppers Fähigkeit, eine allein innere Wirklichkeit zur Anschauung zu bringen, macht die Qualität dieses Bildes aus. Beide, Hopper wie Hitchcock, haben Methoden gefunden, „den Betrachter die verstörende Existenz von etwas spüren zu lassen, das nicht greif- und sichtbar wird oder das er andernfalls in naiver Weise für harmlos und sicher halten würde“, konstatiert Lubin. Abgeschlossen wird der von Küster herausgegebene Band durch eine mit Fotos angereicherte Biographie des Malers.

Etwas Originelles ist Ulf Küster mit seinem zweiten Band, Hopper A-Z, einem Hopper-Alphabet von ‚American Landscape‘ bis ‚Zeit‘, gelungen. Einzelne Werke Hoppers sind weltbekannt, doch weniger die Facetten seines Lebens und Schaffens, die hier nun über Begriffe und Stichworte erschlossen werden sollen, wie zum Beispiel das Lemma ‚Dos Passos‘: Der mit Hopper befreundete Autor von Manhattan Transfer (1925) hat den Maler als „notorischen Schweiger“ beschrieben. Die Grundstimmung seiner Romane kommt dem „Hopper-Mood“, jener „Mischung aus Melancholie und Skeptizismus“ sehr nahe. Beide wurden zu Pionieren der Pop Art. ‚El Train‘ (oder ‚Elevated Train‘) behandelt die neue Form des Massentransportes, der sich Hopper in der Radierung Night on the El Train (1918) widmet. Das Liebespaar hat sich dem Fenster zugewendet, um ganz für sich zu sein. In Night Windows (1928) wiederum macht Hopper durch einen aus dem Fenster flatternden Vorhang auf eine Intimszene im Raum aufmerksam. Wie Küster kommentiert, macht Hopper hier die Betrachter „zu Komplizen und selbst Voyeuren, die sich ihren Teil denken und das Geschehen auf dem Bild gedanklich weiterentwickeln.“

Unter dem Stichwort ‚Haus‘ erfährt man Folgendes: Häuser aus seinem Geburtsort Nyack hat Hopper in Variationen immer wieder abgebildet. Sie wirken wie Selbstporträts, verschlossen, einsam, melancholisch. Was Küster von Hoppers „Kunst für sparsam eingesetztes Geschichtenerzählen“ oder über dessen Anspruch berichtet, „Unbewusstes und damit eigentlich Unsichtbares zu zeigen, selbst tiefere Bewusstseinsschichten im Betrachter berühren“, ist genauso wichtig wie das, was er über die „Unergründlichkeit“ des Waldes in Hoppers Bildern sagt, als Mittel, „auf innere Welten hinzuweisen“. Eine gewisse Willkür bleibt aber, der Zwang des Alphabets führt auch zu wenig stichhaltigen Schlüsselwörtern. Dass die beiden Hoppers, Edward und Jo, ausschließlich Autos der Marke Buick gefahren sind, hält man für belanglos. Doch wenn man weiß, dass sie aus dem Auto heraus auch gezeichnet und gemalt haben, wird das für die besondere perspektivische Sicht ihrer Bilder wieder durchaus bedeutsam. Vor allem aber: Küster gibt keine Gewissheiten, sondern stellt Fragen, beteiligt den Leser und Betrachter an seinen Überlegungen und Gedankenspielen.

Auf alle Fälle: Zwei wichtige Publikationen, die jedem Hopper-Interessierten unentbehrlich sein werden.

Titelbild

Ulf Küster (Hg.): Edward Hopper. Ein neuer Blick auf Landschaft.
Hg. für die Fondation Beyeler. Beyeler Museum Riehen/Basel.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern/ Ruit 2020.
145 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783775746472

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Ulf Küster: Edward Hopper A-Z.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern/ Ruit 2020.
120 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783775746489

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch