Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch

Der Versuch einer Annäherung an das von Monika Schmitz-Emans herausgegebene und zu großen Teilen selbst verfasste Riesenwerk „Literatur, Buchgestaltung und Buchkunst“

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Bücher, denen kann man in einer Rezension – und sei sie auch noch so umfangreich – nicht gerecht werden. Dazu gehört zweifelsohne der von Monika Schmitz-Emans herausgegebene voluminöse Band „Literatur, Buchgestaltung und Buchkunst“, der nicht weniger als eintausendeinhundertachtzehn Seiten umfasst und knapp zwei Kilo auf die Waage bringt.

Das Buch wird durch ein elfseitiges (!) Inhaltsverzeichnis eröffnet, das fünf Teile mit 18 Kapiteln und 191 Unterkapiteln verzeichnet. Der Verlag hätte besser daran getan, dieses eher verwirrende, unübersichtliche ausführliche Inhaltsverzeichnis an den Schluss und nicht an den Anfang des Bands zu stellen. Ein Kurzinhalt mit den Hauptkapiteln hätte dem Orientierungsbedürfnis des Lesers besser gedient.

Wo ist der Ariadne-Faden, der uns durch dieses Buchlabyrinth führt? Vielleicht hilft es, zunächst einmal die Überschriften der fünf Teile untereinander zu schreiben:

Aspekte des Buchs (unter anderem „Buchkunst im Kontext“, „Das Buch als physisches Objekt“, „Schrift, Buch und Buch-Literatur“)

Buch-Geschichten: Funktionen und Konzept des Buchs aus kultur- und wissensgeschichtlicher Perspektive (mit den beiden Kapiteln „Historische Buchtypen als Anlässe künstlerisch-literarischer Buchwerke“ und „Buchkultur, Wissensgeschichte und die Rezeption wissensgeschichtlich bedeutsamer Buchtypen in Buchkunst und Buch-Literatur“

Anfänge und Initiationen (unter anderem „ABC, Alphabet, Buchstaben“, „Bilder/Buch/Literatur“, „Buch im Buch“)

Buchtypen, Buchreflexionen, Buchdiskurse von A bis Z (unter anderem „Borges im Spiegel der Buchkunst“, „Erfundene Bücher“, „Postkartenbücher“, „Visuelle Poesie“)

Buch-Literatur und Literaturrezeption im Künstlerbuch (mit jeweils 50 chronologisch gereihten Beispielen zur Buch-Literatur – von Laurence Stern über Umberto Eco bis zu Mark Z. Danielewski – und zu Künstlerbüchern – von Paul Verlaine und Pierre Bonnard über HAP Grieshaber bis zu Peter Waterhouse und Nanne Meyer)

Was will das Buch? Hier lohnt es sich, ausführlich aus der Vorbemerkung zu zitieren:

Die Auseinandersetzung mit dem Buch und seiner Buchhaftigkeit […] verbindet das als eigenständige Kunstform seit den 1960er Jahren etablierte Künstlerbuch (artists‘ book, livre d’artiste) mit diversen Erscheinungsformen vor allem der neueren Literatur, welche man zusammenfassend deshalb als ‚Buchliteratur‘ charakterisieren könnte, weil Form und Materialität des Buchs hier von konstitutiver Bedeutung für das jeweilige Werk sind. […] Die 1960er und 1970er Jahre haben nicht allein eine intensive, breite und vielseitige künstlerische Arbeit an und mit dem Buch hervorgebracht; sie bieten zudem reiches Anschauungsmaterial zur Plausibilisierung der These, dass die jüngere Literaturgeschichte und die des Künstlerbuchs gemeinsam und auf ihre Verflechtungen hin betrachtet werden müssen. […] Auf theoretisch-reflexiver wie auf gestalterisch-explorativer Ebene sind die neue Literatur und das neuere Künstlerbuch durch eine gemeinsame Geschichte miteinander verbunden.

Was bietet das Buch? Eine unübersehbare und imponierende Fülle von Beispielen, Informationen, Verweisen, Bezügen, Denkanstößen, Anregungen, Hinweisen, Materialien, ferner ein Literaturverzeichnis von über 50 Seiten sowie über 100 Abbildungen und schließlich im wahrsten Sinn einzigartige Artikel wie zum Beispiel „Verbindungslinien: Dichter des 19. Jahrhunderts und ihre Impulse für Buch-Poetiken der Moderne“ oder „Buchvision, Entfaltungskunst und Papierbastelei bei Stéphane Mallarmé“ oder „Reformpädagogik und Innovation im französischen Bilderbuch“ oder „Das Buch im Buch in Kinder- und Jugendliteratur“. Zwar ist der Band auf die Bezüge zwischen dem Künstlerbuch und der ‚Buch-Literatur‘ seit den 1960er und 1970er Jahren konzentriert, doch reichen die vielfältigen Beispiele weit über diesen Zeitraum hinaus, etwa in den Ausführungen über William Blake und William Morris oder über Laurence Sterne, Jean Paul, E.T.A. Hoffmann und Stéphane Mallarmé als „Pioniere der Buch-Literatur“.

Was ist das Problem des Buchs? Im ersten Teil gibt es einen kurzen Abschnitt, der mit „Selbstverweigerungen des Buchs“ betitelt ist. Dort heißt es über „leere Bücher“, sie seien „unterschiedlich deutbar: als Metonymien der Kommunikationsverweigerung, aber auch als Verheißung verborgener Botschaften“. Und über „verschlossene Bücher“ schreibt Monika Schmitz-Emans, sie könnten „eine (freilich unzugängliche) sprachlich-textliche Botschaft enthalten“. Als dritte Variante könnte man zufügen, dass es auch eine Selbstverweigerung durch Überfüllung gibt – was das Problem treffend beschriebe. Und auch das Resümee dieses Abschnitts lässt sich auf das hier besprochene Werk projizieren:

Die Idee, die Bücher zum Schweigen zu bringen, kann eine kritische Distanz gegenüber all dem signalisieren, was auf Büchern beruht, an Büchern hängt, zu Büchern führt, was Bücher produziert und durch diese produziert wird – nicht zuletzt gegenüber der eigenen Identität als von Büchern sozialisiertes und geprägtes Wesen. Aber das ist nur eine Lesart unter anderen.

Das Buch ist als „Kompendium“ untertitelt. Ein Kompendium ist nach dem Sachlexikon des Buchs ein „Handbuch, das einen Überblick über ein bestimmtes Fachgebiet in gedrängter Form bietet“. Nach dem Duden-Fremdwörterbuch leitet sich der Begriff von lateinisch „Erspartes“ ab. Die Lektüre dieses Buch „erspart“ die Lektüre vieler vieler anderer Bücher, ob es aber einen „Überblick“ verschafft, möge hier offengelassen werden.  

Titelbild

Monika Schmitz-Emans (Hg.): Literatur, Buchgestaltung und Buchkunst. Ein Kompendium.
De Gruyter, Berlin 2019.
1118 Seiten, 159,95 EUR.
ISBN-13: 9783110355345

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