Über den Verlust der digitalen Identität

Philipp Schönthaler führt in „Der Weg aller Wellen“ in eine kafkaesk vernetzte Welt

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens im zweiten Jahrtausend und damit dem Zeitalter von Überwachung, Filterblasen, Hate Speech und Arbeitsplatzabbau sind Utopien rund um das Internet, Vernetzung und Digitalisierung von pessimistischen Befürchtungen abgelöst worden. Philipp Schönthaler beschreibt in seinem Roman Der Weg aller Wellen eine dystopische Gesellschaftsordnung, in der die Menschen nur noch funktionierende Rädchen in einer vernetzten Welt sind, deren Leben durch Apps und Gadgets gesteuert und kontrolliert wird.

Der namenlose Ich-Erzähler und Protagonist arbeitet in einer jener High-Tech-Firmenzentralen, die an Google, Apple oder Amazon erinnern. Eines Tages gibt das Handvenenlesegerät ihm den Zugang zur Firma nicht frei und er gerät in ein kafkaeskes Labyrinth, in dem ihm weder jemand Auskunft über den möglichen Grund geben, noch die mögliche Fehlerursache beheben kann. Wie in Kafkas Schloss steht er vor einem undurchschaubaren, unnahbaren und undurchdringlichen Vernetzungsgeflecht. Tag für Tag verliert er in der Folge mehr von seiner digitalen Existenz – bis er aus seiner Wohnung vertrieben wird und sich mit seinem Auto auf den Weg in die Wüste macht, wo eine subversive Gemeinschaft aus Aussteigern versucht, eine andere digitale Utopie zu leben.

Der Weg aller Wellen ist Schönthalers mittlerweile dritter Roman, in dem er sich mit der aktuellen (digitalen) Technologie auseinandersetzt. Er führt den Leser mit einer Sprache der Digital Natives und Nerds tief in eine Welt des digitalen Rauschens, der Algorithmen und Displays, der Biometrie und der Interfaces sowie der Bugs und Glitches. Es ist ein sich selbst steuerndes und reproduzierendes Dasein, in dem Paranoia und Verschwörungstheorien ausgedient haben, da wir es nun mit Effekten zu tun haben, „deren Ursachen letztlich so bedeutungslos wie Naturgesetze sind“. Es ist eine Welt ohne Willen und Vorstellung, ohne Subjektivität und Gefühle, in der die Menschen irgendwann spurlos verschwinden.

Schönthaler erzählt in einer technizistischen und distanzierten Sprache, die fernab vom romantisch-existenziellen Erzählen ist. Sie bietet dem Leser keine Identifikationsmöglichkeiten und löst weder Betroffenheit noch Empathie aus. Ein Erzählen auf der Höhe der Zeit, das aber nicht unbedingt Spaß macht und letztlich wenig fesselnd ist.

Titelbild

Philipp Schönthaler: Der Weg aller Wellen. Roman.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
269 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783957577726

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