Sweet Dreams are made of this

In „Picknick an der Grenze“ von Angela Kreuz begeben wir uns auf eine musikalische Reise vor dem Hintergrund zweier Flüchtlingskrisen

Von Saskia ZiemackiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Ziemacki

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Musik verbindet – so auch das Leben der Protagonistin mit den Einzelschicksalen prägender Fluchtbewegungen in diesem Roman.

Es ist der 19. August 1989: beim Paneuropäischen Picknick in Sopron, Ungarn, wird die Grenze zu Österreich für drei Stunden geöffnet. Hunderten von DDR-Bürgern gelingt die Flucht in den Westen. Wenig später bedeutet dies sogar die völlige Grenzöffnung von Ungarn für DDR-Flüchtlinge. Ein wichtiger Schritt für den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung.

26 Jahre später: Die Flüchtlingskrise in Europa spitzt sich zu. Ein globaler Anstieg von gewaltsam Vertriebenen sorgt nicht nur für Millionen von Schutzsuchenden, sondern auch für Tausende von Toten im Mittelmeer. Zwei Fluchtbewegungen und das Leben einer einfachen Sängerin mittendrin – Angela Kreuz zieht einen spannenden Vergleich.

Die Autorin entwirft in ihren Romanen, Gedichten und Hörbüchern immer wieder Geschichten von der Liebe (WAAhnsinnszeiten), von Träumen (train rides and tides) und der Vergangenheit (Frauen. Wahl. Recht). In Picknick an der Grenze scheint die studierte Psychologin und Philosophin diese Themen zu vereinen und vor einen ernsten Hintergrund zu setzen.

Gerahmt wird der Roman durch die Handlung im Jahr 2015. Die Protagonistin Kitty soll mit ihrer ehemaligen Band Kitty & The Cats eine Comeback-Tour an der österreichisch-ungarischen Grenze machen. Das Zusammenkommen mit ihren Bandmitgliedern Speedy, Sepp, Bob und Hias und das Singen alter Songs lässt die Vergangenheit und damit ihren größten Gig wieder aufleben: das Spielen beim Paneuropäischen Picknick 1989 mit ihrem eigenen Song und ihrer großen Liebe. Denn auch 26 Jahre später muss sich Kitty erneut mit Musik und Liebe auseinandersetzen, aber auch mit Grenzen und Flucht. Dabei ist die Protagonistin gar nicht direkt von den Ereignissen betroffen. Sie steht für die Leser*innen als eine Art Schutzwand vor den Einzelschicksalen. Sie ist nur das Sprachrohr, das die Emotionen der Betroffenen kanalisiert. Denn Kitty selbst kommt aus Westdeutschland.

Eigentlich war ihre Heimat saustark, wenn man die spießigen Häuser der Vororte an sich vorbeiziehen lassen konnte. Als sie hinter Barbing durch Wiesen und Felder fuhr, breitete sich ein Gefühl von wilder Freiheit in ihr aus. Head out on the highway, looking for adventure, in whatever comes my way.

Von den Fluchtgedanken und dem Gefühl des Gefangenseins erfährt sie erst, als sie in die DDR reist. Dort wohnt sie auf dem Campingplatz ihrer Tante Agnes. Verlassene Zeltplätze und Postkarten mit Danksagungen verraten schnell, dass Agnes ihren Campern hilft, über die Grenze zu gelangen.

Als Kitty dort eine alte Bekannte und ihre Frau trifft, wird sie noch intensiver mit der Thematik konfrontiert. Denn Jana und Dörte sind ebenfalls Camper auf dem Weg in die Freiheit. Doch zwischen Dialogen über Großeltern, die im Stasiknast waren, und Eltern, die eine Flucht fast nicht überlebt hätten, werden immer wieder Witze über die DDR und den „Gulasch-Kommunismus“ Ungarn gemacht, sodass die Leser*innen auch bei den emotionalsten Gesprächen auf Distanz gehalten werden.

Und auch 2015 ist Kitty nicht primär mit dem Thema Flucht in Kontakt. Nur durch ihre Tochter Jenny, die bei einer NGO zur Seenot-Rettung arbeitet, erhält man diesen Einblick.

Das Mittelmeer ist ein Massengrab, jeden Tag ertrinken dort zig Flüchtlinge. Ich habe es selbst gesehen.

Durch einen Dialog mit dem ungarischen Musikbeauftragten des Paneuropäischen Picknicks kumuliert die Debatte über Asylrecht, Flüchtlinge und Grenzzäune und lässt die Leser*innen mit einem Denkanstoß zurück.

Auf 182 Seiten erschafft die Autorin einen kurzweiligen und leicht zu lesenden Roman, trotz Zeitsprüngen und vielfältiger Themen. Geprägt wird die Sprache durch bissige Dialoge und diverse Musikzitate. Verbindet man Zeilen wie Sweet dreams are made of this allerdings nicht mit dem britischen Pop-Duo Eurythmics und dem damaligen Zeitgefühl, kann ein großer Teil der Atmosphäre verloren gehen. Musikliebhaber*innen der 1960er bis 1990er Jahre kommen mit Songzitaten von Pink Floyd und Led Zeppelin jedoch auf ihre Kosten.

Denn genau da, wo es der Protagonistin an Emotionen fehlt, weil sie nicht nah genug am Geschehen dran ist, kann sie ihre Gefühle auf ihre ganz eigene Art durch Musik ausdrücken. Und diese Liebe zur Musik ist eng verknüpft mit der Liebe zu einem Mann. Geschichte und Politik setzen den Roman zwar in einen bedeutsamen Kontext, werden aber locker aufgearbeitet und lassen die Liebes- und Lebensgeschichte einer Sängerin im Vordergrund stehen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Angela Kreuz: Picknick an der Grenze.
Spielberg Verlag, Neumarkt i. d. OPf. 2019.
182 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-13: 9783954527366

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