Denken ohne Geländer

Mit „Die drei Leben der Hannah Arendt“ widmet Ken Krimstein Hannah Arendts Leben und Werk eine Graphic Novel

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das Böse ist immer nur extrem, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert. Tief aber und radikal ist immer nur das Gute.“ (Hannah Arendt)

Eine Graphic Novel über Hannah Arendt. – Das klingt vielversprechend, handelt es sich doch bei ihr um eine Jahrhundertdenkerin. Als einzige Frau unter lauter männlichen Kollegen verfasste sie philosophische Schriften, die nicht nur von geistiger Brillanz, sondern auch von enormer Radikalität zeugten. Dabei sah sich die geniale Denkerin, die bereits mit 22 bei Karl Jaspers promovierte, selbst keineswegs als große Philosophin. So entgegnete sie gleich zu Beginn des berühmten TV-Interviews 1964 ihrem Gastgeber Günter Gaus: „Ich muss Ihnen widersprechen. Ich sehe mich selbst nicht als Philosophin, sondern als politische Theoretikerin.“

Ihre zornige, streitbare Persönlichkeit und ihr „Denken ohne Geländer“, das seiner Zeit meilenweit voraus war, brachten ihr nicht nur Ruhm und Anerkennung, so etwa die erste weibliche Professorenstelle in Princeton, ein. Die Unmöglichkeit, sie in Schubladen einzuordnen, war ebenso unbequem wie ihre Auffassung, dass politisches Denken allein nicht ausreiche, sondern sich auch im Handeln widerspiegeln müsse.

Auch wenn sie heute u. a. aufgrund ihrer Definition von Totalitarismus eine herausragende Position in der Geschichte der politischen Theorie innehat, war sie gerade deswegen zeitlebens umstritten. Insbesondere ihre sarkastisch-ironischen Beobachtungen zum Eichmann-Prozess, in denen sie ihn nicht als Ungeheuer, sondern als Spießbürger identifiziert, der unfassbare Gräuel verübt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, bringen sie ins Kreuzfeuer der Kritik. Denn die „Banalität des Bösen“, wie sie es treffend nennt, zu erfassen, bedeutet letztendlich anerkennen zu müssen, dass der Nationalsozialismus kein einmaliges Unglück war, das schicksalhaft über die Menschheit hereinbrach, sondern sich jederzeit wiederholen kann, wenn man es eben zulässt.

Doch wie kommt man darauf, das Leben und Wirken einer so komplexen Persönlichkeit in Comicform anzugehen? Autor und Zeichner Ken Krimstein, der mit seinen Karikaturen u.a. für „New Yorker“, „Punch“ und „Wall Street Journal“ tätig ist, war von der „Coolness“ und der Aktualität der großen Denkerin beeindruckt und wollte sie als Person und ihr Werk einem breiteren Publikum näherbringen.

Dabei folgt er in seiner Graphic Novel, die seit 2019 auf Deutsch vorliegt, weitgehend der Arendt-Biografie von Elisabeth Young-Bruehl. So begleiten wir Hannah Arendt in Episoden auf ihrem Lebensweg von der Kindheit in einem säkular-jüdischen Elternhaus in Königsberg bis hin zu ihrem Todestag im Jahr 1974 in den USA. Neben dem frühen Tod des Vaters erfahren wir von ihrem unbändigen Wissensdrang und Freiheitswillen, ihrem Studium, ihren philosophischen Freundschaften mit Intellektuellen und Künstlern ihrer Zeit. Natürlich erfahren wir auch von ihrer waghalsigen Flucht vor den Nazis, die sie über Prag nach Frankreich brachte, wo sie erneut aus einem Internierungslager fliehen musste, um über Portugal dann schließlich in die USA zu gelangen…

Das alles wird geradezu atemlos erzählt und mit schnellen, hastigen Strichen gezeichnet. Ebenso wie sie in ihrem Leben von einer Station zur nächsten eilt, scheint Krimsteins Stift über das Paper zu gleiten. Der einzige Farbklecks im schwarz-weißen Buch ist das dunkle Grün, mit dem der Zeichner Hannahs Kleidung oder ihren Schmuck betupft. So sticht sie stets aus dem jeweiligen Bild heraus – das tut sie aber ohnehin, denn der Rauch ihrer ewig glimmenden Zigarette zieht sich wie ein nikotingrauer Faden durch das Buch.

Doch Hannah Arendt farblich hervorzuheben, reicht leider nicht aus, um sie tatsächlich in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken. Viel zu sehr zielt Krimstein darauf ab, deutlich zu machen, mit wem Arendt z.B. im Romanischen Café zusammensaß und diskutierte. So liest sich der Comic mitunter wie ein Who is Who der Berliner Intellektuellen der 1920er Jahre und nicht wie eine Biographie. Der Autor scheint außerdem vor allem darauf bedacht zu sein, dem Leser Arendts Liebesleben näherzubringen. Dabei geht er vor allem auf ihre wechselhafte Beziehung zu ihrem Professor Martin Heidegger ein, die über viele Jahre währte. Erst lange nachdem Heidegger sich als Steigbügelhalter des Faschismus erwiesen hatte, vermochte sie es, sich endgültig von ihm zu lösen.

Warum allerdings diese unglückselige Liebe derart viel Raum in dem Buch bekommt, bleibt unerklärlich, zumal die Darstellung Krimsteins sehr zu bezweifeln ist, dass Arendt ausgerechnet in Momenten größter Erfolge überlegt haben soll, warum Heidegger sich zu ihnen nicht äußerte. Das ist zu klischeehaft für das Frauenbild eines Bewunderers und Kenners Arendts. Der ungute Eindruck einer doch recht männlich-tradierten Sichtweise, wird noch dadurch verstärkt, dass der Autor sich zugunsten Heideggers bemüßigt fühlt, die Ich-Erzählung zu unterbrechen, um uns an dessen Gedanken über Arendt teilhaben zu lassen. So bekommt diese Liebesaffäre einen Raum, der dem Werk Arendts in diesem Buch leider nicht zugestanden wird. Dies alles verwirrt, verwundert – und stört die Lektüre. Schließlich erwartet man als Leser, Arendt und ihre Gedanken näher kennenzulernen und nicht über Heideggers Ansichten zu rätseln.

Es ist jammerschade und eine wirklich vertane Chance des Comics, dass Krimstein es nicht schafft, tiefere Einblicke in das Werk Arendts zu vermitteln. Dort, wo der Autor sein Wissen um ihre Gedanken offenbart, zeigt er sich durchaus als vertraut mit ihren Ideen. Aber das geschieht viel zu selten und viel zu zusammenhanglos, als dass man sich als Neuling einen Reim darauf machen könnte. Das ist umso bedauerlicher, als Hannah Arendt selbst eine Autorin war, die es durchaus vermochte, schwierige Fragestellungen auf den Punkt zu bringen.

So bietet der Comic zwar einige interessante Einblicke in ihr Leben und in die Zeitgeschichte, schafft es inhaltlich aber nicht, ihre wirklich großartigen Gedanken zur Revolution, zur politischen Verantwortung, zur Pluralität – und zum menschlichen Zusammenleben an sich zu übermitteln. Davon bekommt man tatsächlich im Film Hannah Arendt von Margarethe von Trotta mehr mit (obwohl er nur in den Jahren 1960-1964 spielt), ebenso wie in dem Interview mit Günter Gaus (Auf YouTube in voller Länge, bei rbb online als Text im vollen Wortlaut). 

Titelbild

Ken Krimstein: Die drei Leben der Hannah Arendt. Graphic Novel.
Mit einem Nachwort von Ken Krimstein.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Hanns Zischler.
dtv Verlag, München 2019.
243 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783423282086

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