Die sich um sich selbst drehen

Joachim Zelter entlarvt in seinem Roman „Imperia“ das akademische Milieu als moderne Monarchie

Von Jörg SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Konstanz, das idyllische Touristenziel am Bodensee, ist bislang kaum als literarischer Ort hervorgetreten und steht auch sonst selten im Rampenlicht. Das spektakulärste Ereignis der jüngeren Stadtgeschichte war zweifellos die Gründung der Universität vor mehr als einem halben Jahrhundert. Später sorgte gerade noch die Errichtung der monumentalen Statue Imperia im Konstanzer Hafen für Aufmerksamkeit. Joachim Zelter, einer der großen Gesellschaftssatiriker unserer Zeit, verbindet in seinem neuen, vom Verlag Klöpfer, Narr in ansprechend-handliche Hardcover-Form gebrachten Roman Imperia beides, die Alma Mater und die bizarre Skulptur – und schon wird die Stadt zur Bühne für eine bitterböse comédie humaine.

Man kennt es aus seinen vorigen Büchern: Wenn Zelter zu erzählen beginnt, nimmt der Wahnsinn seinen Lauf. In Imperia benötigt er dafür nur zwei Hauptfiguren: die exaltiert-kapriziöse Professorin der Anthropologie Iphigenie de la Tour und den in prekären Verhältnissen lebenden Schauspieler Gregor Schamoni. Die Groteske beginnt damit, dass sich die Akademikerin auf eine Annonce des Mimen meldet, der sich mit Nebentätigkeiten über Wasser halten muss. Welche Leistung sie genau von ihm in Anspruch nehmen möchte, ist dabei unklar. Auf das Kennenlernen im Café folgen immer weitere von ihr arrangierte Treffen, bis das ständige abendliche Rendezvous – im Wechsel in den drei teuersten Restaurants der Stadt – für Schamoni zunehmend zur belastenden Routine eines leeren Wirbels wird. Dabei fließt viel Geld, das Iphigenie ihm in Umschlägen zusteckt, und schließlich wird die akademische Koryphäe sogar körperlich aufdringlich.

Vor allem aber kommt es zum Rollentausch: Die Universitätsprofessorin ist vor der Kulisse der Provinzstadt die große Schauspielerin und führt zugleich Regie, während der Schauspieler in dieses Spiel hineingezogen wird, ein Opfer, ein Versager, der auf der Bühne den Text zu vergessen fürchtet und im Leben nicht Nein sagen kann. Was Zelter uns damit vor Augen führt, ist ein böses Stück Psychologie – und zugleich nicht mehr und nicht weniger als eine gegenwärtige Spielart der Monarchie: „Die Leibhaftigkeit, die tagtägliche Wirklichkeit und Erfahrung von Monarchie – unter modernen Umständen.“ Vorgeführt wird eine Form der Unterwerfung, die nur aufgrund von sozialem Status, Arroganz und hochherrschaftlich-akademischem Gehabe funktioniert. Sie führt dazu, dass de la Tour ihre gesamte Umgebung zu ihrem Hofstaat macht. Der Teufelskreis ihrer Beziehung zu Gregor ist dabei vor allem deshalb so bedrückend, weil der Autor alle, teilweise mit schönen blinden Motiven versehenen, Nebengestalten, die dem Schauspieler Rettung bringen könnten, von seiner Kollegin Jutta bis hin zu de la Tours sympathischer Hilfskraft Pia, souverän von der Bildfläche verschwinden lässt.

Auf beklemmende Weise dreht sich somit alles im Kreis – genau wie die Statue Imperia, die sich im Konstanzer Hafen dreht, und das akademische Milieu, das nur um sich selbst kreist. Während Schamoni dabei ein Versager ist, kann die Akademikerin aufgrund ihres Renommees gar nicht mehr verlieren – und wirkt gerade deshalb so selbstverständlich peinlich wie die Matrone im Hafen. Sie ist eine steinerne Karikatur, eine Fratze der Macht, der gehuldigt werden muss – die Anthropologin ist ein deformierter Mensch. Das Stück, das sie unfreiwillig spielt, heißt „Der Kaiserin neue Kleider“. Wir kennen es alle. Der Schauspieler hingegen betritt am Ende des Romans, auf die notorische Gefahr hin, den Text zu vergessen, die Bühne – und damit beginnt das Spiel.

Titelbild

Joachim Zelter: Imperia.
Roman.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2020.
176 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783749610174

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