Liebesgrüße von Napoleon

Die Briefwechsel Napoleon Bonapartes mit seinen Ehefrauen und Geliebten zeigen Parallelen zwischen politischer Karriere und Liebesleben

Von Matthias HennigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Hennig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Einst war alles römisch, heute ist alles französisch“ („Jadis tout étoit Romain, aujourd‘hui tout est Français“)  dies schreibt 1777 der Autor Louis Antoine Caraccioli (17191803) in seinem Buch L‘Europe françoise. Frankreich und Paris stehen ihm zufolge in punkto Kultur, Mode, Sitten und Geschmack unangefochten an der Spitze der kulturellen Rangordnung. Der Rest Europas sei lediglich eine Kopie der französischen Hauptstadt und daher ohnehin „französisch“.

Der Vergleich Roms und Frankreichs markiert einen imperialen Anspruch, und Caraccioli war nicht der einzige französische Autor seiner Zeit, der diese legitimatorische Brücke in die Antike schlug. Gewiss waren die kulturellen und politischen Eliten Europas des 18. und 19. Jahrhunderts stark französisch geprägt. Napoleon Bonapartes Eroberungsfeldzüge lassen sich darum als der Versuch lesen, Europa nicht nur kulturell, sondern auch politisch-administrativ und geostrategisch unter dem Banner eines französisch angeführten Imperiums zu versammeln. Das Zeitalter der Aufklärung und vor allem die Revolution von 1789 hatten eine expansive Wucht entfaltet, die fast ganz Europa mit Krieg überzog. Irgendwann scheiterte die französische Expansionspolitik aber an der von ihr entwickelten Unwucht – am eigenen Größenwahn (Russland-Feldzug) sowie der wachsenden Übermacht ihrer Gegner (Russland, Preußen, Österreich, England, Schweden) in den sogenannten Befreiungs- oder Koalitionskriegen.

Der Revolutionsgeneral Napoleon eroberte nicht nur ganze Länder; auch seine Liebesbriefe, die nun in einer neuen Ausgabe vorliegen, lassen sich als Form von Interessenpolitik lesen: als Taktiken und Strategien des Intimen, in ungelüfteten Reitstiefeln und vom verschwitzten Feldbett aus geschrieben. Diese Taktiken und Strategien des Intimen mutieren später, als Napoleon zu Konsul und Kaiser wird, auch zum Medium politisch-halböffentlicher Kommunikation innerhalb der Sphäre des Hofes. Sie umfassen gut zwei Jahrzehnte (17941815) und Briefe an insgesamt vier Frauen, darunter die beiden Ehefrauen, Joséphine de Beauhearnais (17631814) und Marie-Luise von Österreich (17911847). Diese Briefe an die Gemahlinnen machen etwa vier Fünftel des Bandes aus.

Napoleons frühe Liebesbriefe sind gefühlig, parfümiert mit Schwärmereien und blumigen Ergüssen. Sie verstricken sich in die üblichen Intimitäten, die sich in schwülen Schlupfwinkeln unter vier Augen und Händen abspielen. Das ist vor allem deshalb interessant, weil seine späten Briefe müde dahinplätschern und -floskeln. Denn je mehr Napoleon an politischer Statur gewinnt (als General, Konsul und später als Kaiser), desto leidenschaftsloser und trockener fließt ihm die Tinte aufs Papier. Sie sind oft nicht mehr für die Augen einer einzigen Briefpartnerin und Geliebten, sondern für einen größeren Empfängerkreis geschrieben, den es taktierend zu beeinflussen galt.

Diese zunehmende Leidenschaftslosigkeit lässt sich chronologisch sehr gut daran ablesen, welche Körperteile Napoleon in seinen Briefen bedenkt. Sind es bei seiner ersten Ehefrau Joséphine (in verklausulierten Koseworten) Brüste und Scheide und bei der polnischen Geliebten Marie Walewska Mund, Lippen, Augen oder Hände, bleiben für seine letzte Ehefrau Marie-Luise, wenn überhaupt, nur züchtige Küsse auf die Hand übrig (dafür umso mehr an den Sohn gerichtete!). Damit ist dies kleine Panorama der Begierden auch schon abgeschritten.

Napoleon nahm Marie-Luise auf Vermittlung Metternichs hin zur Frau, um ins Mächtegeflecht der europäischen Herrscherfamilien einzuheiraten. Dafür verstieß er seine erste Frau Joséphine – mit ihr hatte er nicht den Nachkommen, der für eine dynastische Thronfolge wichtig gewesen wäre. Auch erhoffte er sich mehr Legitimität und Respekt innerhalb der europäischen Adelsoligarchie. Diese betrachtete Napoleon naserümpfend als korsischen Krawallo, der zwar militärisches Genie, aber keinen sklerotischen Stammbaum auf altersfleckigem Papier vorweisen konnte. Ein Kaiser, der ohne segelohrige Stallknechte und pudernde Pagen in Strumpfhosen aufgewachsen war? Der noch nicht einmal eine selbstgebastelte tausendjährige Ahnengalerie vorweisen konnte? Das war ja so etwas wie ein Kaiser ohne Kleider!

Zunächst ist es erfrischend, in den Briefen von 1794–1805 den französischen Revolutionskalender mit seinen „Brumaires“ und „Fructidoren“ zu durchblättern, später mit doppeltem Blick die Entwicklung der Privatbeziehungen und die Entwicklung der Napoleonischen Kriege zu sehen. Wie sich Napoleon Joséphine erst unterlegen und ausgeliefert fühlt, um in späteren Jahren das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Und dann doch politisch und schließlich auch privat alles zu verlieren.

Die Briefe an Marie-Luise von Österreich, die den Abschluss bilden, sind nichtssagend und langweilig; Meteorologen mögen sich an den vielen Wetterangaben freuen. Verzweifelt versucht Napoleon über seine Frau auch ihren Vater zu gewinnen, der auf Seiten der Österreicher gegen ihn kämpfte. Entlarvend in diesen Briefen ist neben den Wetterangaben und dem einsalbenden Beschwichtigungston folgender Narkosesatz, der wie ein Mantra wiederholt wird: „Meine Angelegenheiten gehen (sehr) gut“. Da wurde Napoleon längst kreuz & quer durch Europa von Russen, Engländern, Deutschen und Österreichern gejagt. Festzuhalten bleibt: Je öfter diese schönfärberische Floskel auftaucht, desto näher rückt auch sein Untergang in Waterloo 1815.

Schon die Briefe an die Kaiserin Joséphine stehen im Dienst staatlicher Interessenpolitik und werden – neben den Armee-Bulletins – für Siegesmeldungen und Kriegspropaganda innerhalb der höfischen Kreise benutzt. Am Ende, in den Briefen an Marie-Luise, liest man zwischen den Zeilen und im Wissen um die wahre militärische Lage ein immer verzweifelter taktierendes Ränkespiel, das privat lediglich den schönen Schein aufrecht zu erhalten versucht. So bleibt seine letzte Frau, wenn auch von Napoleon stets mit Respekt behandelt, von Anfang an eine bloße Sparringspartnerin übergeordneter, kruder europapolitischer Interessen und gescheiterter imperialer Ambitionen.

Titelbild

Napoleon Bonaparte: Liebesbriefe. An Désirée, Joséphine, Maria und Marie-Louise.
Übersetzt aus dem Französischen und mit Anmerkungen versehen von Ulrich Kunzmann.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
506 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783957576101

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