Gedenken an Goethe und Schiller im Film

Jana Piper bereichert mit ihrer Dissertation „Goethe und Schiller in der filmischen Erinnerungskultur“ die rezeptionsgeschichtliche Forschung um eine filmwissenschaftliche Perspektive

Von Jens LiebichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Liebich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“ – diese aus Walter Benjamins Passagen-Werk entliehene Formulierung erfreut sich seit der Jahrtausendwende zunehmender Popularität in den Geisteswissenschaften, insbesondere bei Historikern und Kulturwissenschaftlern, die unter den oft englischsprachigen Schlagworten „Visual History“ bzw. „Visual (Culture) Studies“ neue und erkenntnisfördernde Perspektiven erschließen. Beide Richtungen lassen sich wiederum mit dem nicht weniger dehnbaren und vagen deutschen Begriff der „Bildwissenschaften“ umreißen. Umso erfreulicher ist es, dass Jana Piper in ihrer jüngst veröffentlichten Dissertation Goethe und Schiller in der filmischen Erinnerungskultur, die in jenem weiten Feld der Bildwissenschaften zu verorten ist, ihr Erkenntnisinteresse sowie ihre Methode sehr differenziert darlegt.

Am Anfang ihrer Arbeit hebt Jana Piper ein Desiderat hervor, welches ihrer Meinung nach auf kulturpessimistische Vorbehalte im expositorischen Kulturbetrieb sowie in den Geisteswissenschaften, dort vornehmlich in der Goethe- und Schillerforschung, zurückgeht und sich in einer „beständigen Medienferne“ ausdrückt. So diskutiere zwar die rezeptionsgeschichtliche Forschungsliteratur zu Goethe und Schiller die „Funktionalisierung des kalendarischen Erinnerns“, berücksichtige dabei allerdings nicht die filmischen Inszenierungen. Da jedoch biografische Kino- und Fernsehfilme im 20. und 21. Jahrhundert „bei literarischen Gedächtnisevents traditionelle Erinnerungsmedien wie Ausstellungen, Museen oder Dichterhäuser“ zunehmend ergänzten oder ersetzten, stellten diese „einen wichtigen Bestandteil der inszenierten Dichter-Jubiläen dar“. Piper möchte sich daher den bisher nur „defizitär“ untersuchten filmischen Erinnerungen an Goethe und Schiller widmen, um sie „als wichtigen Bestandteil des erinnerungskulturellen Status und der Konstruktion der Autoren im kollektiven Gedächtnis herauszustellen“.

Methodisch berücksichtigt Piper „medienwissenschaftliche Forschungsansätze zur Gattungs- und Genretheorie“ sowie „aufgrund des erinnerungskulturellen Status der beiden historischen Autoren gedächtnistheoretische Zugänge“. Dabei konzentriert sich die Arbeit auf deutsche Goethe- und Schillerfilme, die im Zusammenhang eines Gedenkjahres entstanden und geht auf die Beziehung zwischen filmischer und außerfilmischer Erinnerung ein. Diese Zielsetzung hätte für eine Dissertation vollkommen genügt, doch die Autorin möchte die spezifischen Eigenheiten der Filme im Gedenkkontext („explizite Erinnerungsfilme“) herausstellen, so dass sie noch zu vergleichende Filme hinzuzieht, die außerhalb eines Gedenkkontextes („implizite Erinnerungsfilme“) entstanden sind. Mit der Arbeit strebt sie „unter Berücksichtigung der sozialsystemischen Relation von Film und Gedenkjahr, der film-immanenten Narrative und der intermedialen Bezüge auf die Vorgängermedien des Erinnerns eine Kategorisierung der filmischen Erinnerungsfiguren Goethe und Schiller“ an.

Zielsetzung und Vorgehensweise verdeutlichen unmissverständlich, dass sich die Autorin viel vorgenommen hat – um genau zu sein: 21 Filme, aufgeteilt auf knapp 100 Jahre, die sich wiederum von der Weimarer Republik über die NS-Zeit, das geteilte Deutschland – bei dem DDR und BRD berücksichtigt werden – bis zum wiedervereinten Deutschland erstrecken. Dass ein solch ambitioniertes Vorhaben bei einer gut 300 Seiten umfassenden Arbeit nicht ohne einschneidende Kompromisse umzusetzen ist, liegt auf der Hand. Dies lässt bereits der Forschungsstand erahnen, der sich auf fünf Seiten beschränkt, wobei die Autorin „basale rezeptionsgeschichtliche Forschungsarbeiten“ auch nur an- und nicht ausführt. Als grundlegend werden die Arbeiten von Georg F. Custen und Henry M. Taylor genannt, wobei sie nur Letzteren im Verlauf ihrer Arbeit noch etwas umfänglicher aufgreift. Auch die Filmanalysen sowie die Relationen zwischen filmischer und außerfilmischer Erinnerung werden oft knapp zusammenfassend und deskriptiv dargestellt. Doch diesen Umstand als Mangel zu sehen, wäre ungerecht. So wie man die Kürze der Ausführungen bedauern kann, kann man ihre Prägnanz schätzen, denn in nahezu jedem Kapitel merkt man der Arbeit an, dass hier eine sehr kenntnisreiche Autorin am Werk gewesen ist – auch die über 1200 Fußnoten mögen als Indiz gelten –, die sich vorgenommen hat, eine Welt in eine Nussschale zu zwängen. Piper gelingt es, eine pragmatische Balance zwischen der Darstellung von Einzelanalysen und ihrem historisch-politischen Kontext zu finden.

Detaillierte Einzelanalysen darf man folglich nicht erwarten, dafür zeichnet sich die Arbeit durch ein methodisch sehr reflektiertes Vorgehen sowie die aufmerksame Herausarbeitung relevanter Aspekte in den Filmen aus, so dass markante Eigenheiten der filmischen Goethe- und Schiller-Rezeption überzeugend herausgestellt werden können. Jana Piper zeigt schlüssig, wie sehr die fast hundertjährige filmische Rezeptionsgeschichte unsere Vorstellungen der beiden Autoren determiniert und Einfluss auf nachfolgende Erinnerungsfilme nimmt. So könnte man nach der Lektüre geneigt sein, Benjamins Formulierung abzuwandeln: „Geschichte zerfällt in Bilder, Bilder erschaffen Geschichte.“

Titelbild

Jana Piper: Goethe und Schiller in der filmischen Erinnerungskultur.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2019.
338 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783826065897

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