Populärer als Jesus

Die Beatles in der Literatur – eine Spurenlese

Von Friedhelm RathjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Rathjen

In seinem Roman Die Palette, erschienen im Februar 1968, reichert Hubert Fichte das Lokalkolorit des Rotlichtbezirks von Hamburg zumindest an einer Stelle auch mit der einschlägigen musikalischen Dimension an, wobei er durch­aus weiß, dass die Beatles in ihrer frühen Hamburger Zeit noch zu fünft waren:

Als ich Starclub sagte, wußte ich, daß der sogenannte Schläger Weißleder nicht auf einer Zensur bestehen würde und auch nicht wegen Erwähnung des Schahs oder Mecongerwähnung zu einem Essen nicht erscheinen könnte, Kommunalpolitik halber.
Ich möchte auch mal die fünf Beatles sein:
– Hier ist mein Sound. Ich steh vor euch. Das mach ich.
Zweitausend Menschen. Auf St. Pauli, die nie sonst ein Buch in die Hand nehmen.
Der Mythos des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Wenn Fichte hier seiner Gegenwart deutlich vorauszueilen versucht, so ist er nicht allein; auch Peter O. Chotjewitz ist in seinem nur knapp später – näm­lich im März 1968 – erschienenen Roman Die Insel seiner Zeit ein bisschen voraus. Zunächst wird verkündet:

Die Auflösung ihres Quartetts hat Beatle Paul McCartney in einem Zeitungsinterview angekündigt. Die Beatles werden nach Ansicht McCartneys in Zukunft nur noch aus Liebhaberei zusammenarbeiten. Eine berufliche Zusammenarbeit lohne sich angeblich schon deswegen nicht mehr, weil die in kürzester Zeit erworbenen Vermögen des Quartetts inzwischen dermaßen angewachsen sind, daß jeder weitere Verdienst fast vollständig an das Finanzamt abgeführt werden müßte. Wie McCartney erklärte, versucht jeder der vier jetzt als Alleinunter­halter unterzukommen.

Dem wird später im Buch widersprochen:

Berichte, wonach die Beatles im Begriff sind, sich zu trennen, sind in London kategorisch dementiert worden. Der Pressemanager der Beatles erklärte, daß diese absurden Gerüchte schon seit längerer Zeit kursieren, aber jeder Grundlage entbehren. Die Beatles hätten nicht die geringste Absicht, sich zu trennen.

Später wird dies Dementi noch ergänzt:

Die Beatles arbeiten zur Zeit zusammen an einem Film und anderen Projekten und hätten nicht die geringste Absicht, sich zu trennen. Zu den Äußerungen Paul McCartneys, der in der Sunday Times erklärt hatte, daß jeder der Beatles künftig eigene Wege gehen wolle, meinte der Pressemanager, McCartney sei mißverstanden worden.

Im selben Jahr wie Chotjewitz, aber schon mit deutlich mehr Sachverstand lässt Walter Vogt die Beatles auftreten, nämlich in dem Roman Der Vogel auf dem Tisch:

Europas Jugend langweilte sich. Film und Fernsehen, die es wissen müssen, werden nicht müde, es zu beteuern. Die besten unter den Jungen tanzten und sangen und spielten lärmig und wild, und trugen geblumte Hemden.
John Lennon und seine drei Kumpane wurden populärer als Jesus.
Später machte Jesus das Rennen doch.
Für Weltreiche war keine gute Zeit.

Das ist von 1968 aus gesehen geradezu prophetisch; aber Vogt kennt sich halt aus in seiner Materie, was daran ersichtlich ist, dass er sogar Songtexte zitieren kann:

Aus einem Buch, mit sieben Siegeln, falls unbestellbar bitte an den Ab­sender zurück, when I am sixty-four.

Wenn das noch unbeabsichtigt fehlerhaft klingt, dann ist die Notation anders­wo gezielt eigenwillig – und zeigt, dass Vogt und sein Held Lips auch die unbe­kannteren Beatles-Songs kennen:

Ssöö bigespfuul ssätt ewer hittzö bigg thäim –

Diese Zeile stammt aus Act Naturally; und auch der größte aller Beatles-Songs wird intoniert:

Lips seift sich ein. Lips duftet nach Lux. Lips singt.

Sstrooberifiiällz foorewaa

Lips singt falsch. Jedermann im Haus denkt: Lips singt, Lips duscht schon wieder, der Verrückte im zweiten Stock. Ich bin nicht verrückt.

Nur an einer Stelle geraten die Beatles in ein etwas arg schiefes Licht:

Der gesunde Menschenverstand, das ist die wahre Schizophrenie. Und es gibt eins, nur eines, was uns von dem Krebsübel Gesundheit mit seinen Beatles, Olympiaden und Myriaden wohltrainierter Physiker mit ihren Neurosen und Atombombengedanken errettet: den Tod.

Die Beatles als „Krebsübel“? Hier hoffen wir doch sehr (und begründet) auf Ironie.
Leider nicht zu erwarten ist die Ironie bei einem anderen Autor, der sei­nen (ungleich dickeren) Renommierroman 1968 abschließt: Arno Schmidt. In Zettel’s Traum gibt der Held und Erzähler Daniel Pagenstecher seinem halb­wüchsigen Patenkind Bescheid:

‚Beatles‘? Dàs wäre Dir besser nicht eingefallen, Franziska, diese puber­tären Krampfhennen!

Anderswo im Text setzt er gleich noch eins drauf:

‚beatles‘ undsoweiter : iss doch nur eine Verlegenheitslösung von Kin­dern; dem Universum gegenüber

Erklärlich sind diese Sottisen vielleicht damit, dass Schmidt, 1914 geboren, in seinem nicht mehr jugendlichen Alter von einer durchgeistigteren Kultur träumte als der, die ihm aus dem Radio entgegenschallte.
Ilse Aichinger, Schmidts Generation angehörig, hatte in jenen Jahren offensichtlich mehr Verständnis für die Beatles, wie ihr 2001 veröffentlichter Text „Die Beatles im herbstlichen Wien“ zeigt – aber sie war auch nicht kin­der­los wie Schmidt:

Auf einer Lesereise kam ich einmal nach Liverpool. Den Kindern hatte ich versprochen, etwas Beatles-Ähnliches aufzutreiben. Tatsächlich ge­lang es mir an einem Nachmittag, an dem der Regen zugleich mit dem Ruß auf Liverpool fiel, mit einem Onkel von Ringo Starr in seiner en­gen Wohnung Tee zu trinken. Er war ganz freundlich und interessiert und hatte keine Ahnung, wo Österreich liegt.

Weniger freundlich sind die Umstände, unter denen in Raymond Federmans Roman Die Nacht zum 21. Jahrhundert ein Beatles-Titel auftaucht:

er war gerade zu Besuch bei einem alten Freund in Buffalo, der Achsel­höhle Amerikas, wie er später immer sagte, auf dem Universitäts­gelän­de, besser bekannt als Yellow Submarine, hatte sich Polizei aufgebaut, vierhundert hartgesottene Burschen, den Revolver tiefbaumelnd und den Kaugummi lässig im Mundwinkel, eine Spezialeinheit, herbeigeru­fen zum Schutz von Recht und Ordnung, weil die Jungs die Fenster mit Steinen und Cola-Dosen bombardierten und die Wände knallrot mit schmutzigen Parolen bepinselten, um damit ihrem Protest gegen die Regierung Luft zu machen, gegen Entscheidungen, an die sich heute kein Mensch mehr erinnert, Parolen wie Nixon lutscht, Agnew schlägt seine Frau, die C.I.A. frißt Shit, Make Love Not War, les structures ne descendent pas dans la rue, der stammte von einem Major der französi­schen Armee, Godot Go Home, Burn Baby Burn und andere starke Sprüche dieser Art

Federmans Roman spielt (vom Zeitpunkt der Niederschrift aus gesehen) in der Zukunft, doch die wahren Beatles-Abenteuer sind in einer vergangenen Zeit geschehen, in den 60er Jahren. Mikael Niemi erzählt davon in seinem Roman Populärmusik aus Vittula:

Neugierig begannen wir mit ihnen zu reden. Sie erzählten in einem rollenden Schwedisch-Amerikanisch, daß sie auf dem Weg zu uns in London zwischengelandet seien und die Beatles gesehen hätten. Ich forderte sie auf, lieber nicht weiter zu lügen. Aber beide versicherten uns hartnäckig, daß die Beatles in einem langen Cadillac ohne Dach vor ihrem Hotel vorbeigefahren seien, während die Mädchen am Straßen­rand standen und schrien. Das Ganze war von einem Lastwagen gefilmt worden, der direkt dahinter fuhr.
Die Zwillinge hatten auch etwas gekauft. Aus einer Papiertüte holten sie eine Single mit englischem Preisschild heraus.
„Beatles“, buchstabierte ich langsam. „Roskn roll musis.“
Rock ’n’ roll music, korrigierten sie höhnisch meine Aussprache. Dann reichten sie Niila die Scheibe.
It’s a present. Für unseren cousin.
Niila nahm die Scheibe mit beiden Händen. Fasziniert zog er die runde Vinylscheibe aus der Hülle und starrte die haarfeinen Rillen an. Er hielt sie so vorsichtig, als hätte er Angst, sie zu zerbrechen, wie eine millimeterdünne Eisscheibe aus einem gefrorenen Wassereimer. Ob­wohl die Scheibe doch schwarz war. Wie die Sünde.
Kiitos“, murmelte er. »Danke. Fänk joo.

Leider kann Niemis Erzähler nicht in diesem staunenden Stadium der weitge­henden Unschuld verharren; schon bald verändern sich die Dinge:

Die Sechzigerjahre näherten sich ihrem Ende, und draußen in der Welt explodierte die Popmusik. Die Beatles reisten nach Indien und lernten dort Sitar spielen, Kalifornien wurde überschwemmt von Flower Power und psychodelischem Rock, und England brodelte von Bands wie Kinks, Procol Harum, The Who, Small Faces und The Hollies.
Nur sehr wenig davon erreichte Pajala. Meine Schwester tat alles, was in ihren Kräften stand, um etwas mitzukriegen, sie hängte einen Kupferdraht als Mittelwellenantenne zwischen die Kiefern auf unserem Grundstück und bekam so Radio Luxemburg auf unserem alten Röh­ren­radio zu fassen. Ab und zu fuhr sie nach Kiruna oder Luleå, um The Shanes aus Tuolluvaara zu sehen, die 1966 zusammen mit den Beatles aufgetreten waren, oder die Hep Stars, wenn ihre Wege sie hier vorbei­führten, aber jeweils erst nach einer langen Predigt unserer Mutter hinter verschlossenen Türen.

Die Shanes sind übrigens keine romaninterne Erfindung, sondern waren eine frühe schwedische Beatgruppe, die im Juli 1964 bei der zweiten Schweden-Tour der Beatles in deren Vorprogramm auftraten; und auch die Hep Stars sind authentisch, bei ihnen spielte von 1964 bis 1969 Benny Andersson mit, das spätere ABBA-Mitglied.
Der Schotte Jeff Torrington schrieb, während er sich als Hilfsarbeiter durchbrachte, jahrzehntelang an seinem Roman Schlag auf Schlag, der im Glasgow der späten 60er Jahre spielt und mit entsprechenden Zeitanspielun­gen daherkommt, so schon, als in der Eingangsszene ein Mann im Taucher­anzug auf der Bildfläche erscheint:

Aus dem Packen von Handzetteln, den er unter den Arm geklemmt hatte, zerrte er ein Blatt hervor und gab’s mir. Ich studierte den Text:

BEETLES!            BEETLES!            BEETLES!            BEETLES!

THE YELLOW SUBMARINE

TAUCHEN SIE AB!                                         TAUCHEN SIE AB!

UND ZWAR INS
PLANET-KINO

DA GIBTS DEN UNTERWASSERSPASS – REIN INS
KÜHLE KINONASS

Vergeß das Fernsehen, vergeß das Bingo,
weil wir haben

JOHN    PAUL    GEORGE    &    RINGO
DIE SUPER VIER

„Ich muß rumgehen und die hier austeilen“, erklärte Lucas.
„Kannst du doch genausogut gleich in den Lokus schießen.“

Später im Roman kommt Torringtons Erzähler noch einmal auf die Beatles zu sprechen:

„Eleanor Rigby, she leaves her face in the glass by the door …“, sangen die liebenswerten Liverpooljungs aus Rudges kürzlich erworbener Stereoanlage – das letzte Wort in Auto-Entertainment. Ich summte düster mit den Super Vier mit, diesen armen Kerlchen, die eines Tags in einer Höhle erwachten und zu Beatles verwandelt worden waren, gewiß eine furchtbare Sache für alle Beteiligten. Wie der Maharishi Yogi zu ihnen gesagt hatte (oder wahrscheinlich nicht, er war zu beschäftigt, sich ins Geldsäckchen zu lachen): „Der Ruhm ist eine zweiköpfige Schlange – sie beißt an beiden Enden.“ Darüber können sie nachsin­nen, während sie zusehen, wie sich ihre Melodien wurmgleich aus den apfelgrünen Köpfen schlängeln – Mac ist zu süß, Lennon zu sauer. Aber nett zum Mitsummen, und genau das tat ich, während Rudge wie eine alte Jungfer flatterte und mich wegen meiner Schalterei tadelte, meiner Beschleunigung, meines Bremsens, wegen aller meiner auto­mobilistischen Maßnahmen.

Eleanor Rigby ist nicht die einzige Figur aus einem Beatles-Song, die sozu­sagen auch außerhalb der Musik Gestalt angenommen hat; eine andere gleichsam archetypische Figur aus dem Beatles-Songkatalog taucht beispiels­weise in Gilbert Sorrentinos Roman Mulligan Stew auf, wo Nachrichten vom Verbleib einer Dame zusammengetragen werden:

Hie und da hörte ich von ihr, der sanften Nachtigall, Nightingale, Sa­ma­riterin in Weiß. Man hatte sie durchs hainbelaubte Jacksontown fahren sehen; hier stand sie im sterilen Santa Fe und meditierte über das stachlige Gesträuch; in der Rue Royale wurde ihr kostbarer Körper von einem ehrwürdigen Deckenventilator gekühlt, einem Bogie Breezeking; ein Herr, a fool on a hill, erblickte sie downtown in San Francisco (de la Cupcake), wo die Gedichte bei fünfundvierzig Grad im Schatten ster­ben.

Und dieselbe namenlose und enigmatische Gestalt lässt sich auch in der un­gari­schen Literatur finden, nämlich in dem Roman Der Held unserer Geschichte von Mihály Kornis:

Ich wandte rasch den Blick ab.
Rannte zur Fußgängerinsel zurück!
Dorthin, wo die Straßen sich kreuzten, auf das winzige Nie­mands­land, den Hügel, wo sich keiner hinstellen würde, der bei Trost ist: the fool on a hill! Ich ahnte schon, daß die von der Aufsicht nicht kom­men würden. Niemand würde kommen.

Beatles-Songs sind, wie wir sehen, großteils so bekannt, dass der Gruppen­name gar nicht eigens genannt werden muss, ein Songtitel reicht. So ist es auch in Reinhold Batbergers Roman Auge von 1983, in dem der zweifelhafte Ver­such gemacht wird, Pop in Klassik zu überführen:

Die Leute kommen nicht zuletzt wegen des vorzüglichen Orgelspiels; unsere Orgel ist berühmt für ihren metallenen Klang, den sie heute bei Synthesizern hören können. Wir haben drei Virtuosen an der Orgel in der Abtei; gestern spielte ein Mitbruder, der in der Schneiderei arbeitet. Er spielt ohne Notenblatt, Noten kann er nicht lesen; er spielt nach dem Gehör. Gestern spielte er am Schluß des Hochamtes ‚Hey Jude‘ im Stil von Arnold Schönberg. Die Mitbrüder bemerkten das nicht, aber ich stellte den Organisten zur Rede, und er gab es zu; er sagte, ‚Hey Jude’ eigne sich vorzüglich für die Schönbergsche Zwölfton­tech­nik, und solange kein Mitbruder Anstoß nähme, versuche er seine Interpre­tationen. Ich sagte ihm, ich nehme keinen Anstoß.

In Libuše Moníkovás im selben Jahr erstveröffentlichtem Roman Pavane für eine verstorbene Infantin hingegen gebührt zwar auch der Hochkultur das Primat, aber die Beatles dürfen Beatles bleiben:

Ich stelle mir Schriftsteller immer nur im Gespräch über Literatur vor, und dabei sind das Hypochonder, oder Vegetarier, chronisch Entlobte, Söhne ihrer Väter – oder Mütter; mit Trinkern ginge es noch – aber hier?
Er sitzt angespannt, scheint zu frieren, ich müßte das Fenster schließen, aber dann ersticken wir hier.
Soll ich Musik auflegen? „Ma mère l’oye“, die „Pavane“? Ich könnte ihm die Beatles vorspielen – for the benefit of Mr. K., oder den Zupfgeigenhansel, der in einem KZ umgebracht wurde.

Es geht also um die LP Sgt. Pepper; und sie wird offensichtlich tatsächlich aufgelegt, denn kurz darauf hören wir einen anderen Song der LP, allerdings seltsamerweise den, der Being for the Benefit of Mr. Kite! auf der Platte voraus­geht:

Auf der Brücke, die auf die Landstraße führt, dreht sie sich um. Die Dorfhäuser liegen deutlich umrissen da, kein Schloß weit und breit. Die Knechte im Pferdestall, die Geschwister und Eltern hat sie hinter sich gelassen. Sie wendet sich ihrem Weg zu, der blühenden und staubigen Apfelbaumlandschaft der Chaussee –
she’s leaving home, bye bye.

Auf einen etwas späteren Beatles-Song bezieht sich Peter Rühmkorf in dem Gedicht „Durchreisebild“ seines Bandes Haltbar bis Ende 1999 von 1979:

L o n d o n, Sonne aus dem Pfefferstreuer,
graue Vogelstimmen,
let it be: to be or not to be – 
Nur ein roter Zopf beginnt zu glimmen,
a l l e s  M a g m a,  a l l e s  F e u e r, 
r e i n e  E n e r g i e

Nicht nur die Songs der Beatles, sondern auch ihre Wohnorte sind literatur­fähig, so in dem Roman Die Satanischen Verse von Salman Rushdie:

Einen Moment lang schien es, als würden sie alle gleichzeitig über ihn herfallen und ihm jeden Knochen einzeln brechen für diese Frechheit, aber dann versetzte ihm der Totenschädel Novak nur ein paar Ohr­feigen und meinte: „Ich bin aus Weybridge, du Drecksack. Damit du Arschloch mich richtig verstehst: Weybridge, wo früher die verdammten Beatles gewohnt haben.“

Ganz korrekt ist die Auskunft von Rushdies Figur übrigens nicht, denn in Weybridge lebten zwischen 1964 und 1968 keineswegs alle Beatles, sondern lediglich John Lennon und Ringo Starr.
Graham Swift setzt in seinem Roman Letzte Runde Musikanspielungen auch mit dem Ziel ein, die Datierung der nicht chronologisch geordneten Kapitel zu vereinfachen – so in einer Passage unter Verwendung mehrerer Songs aus dem Sgt.-Pepper-Album:

Was möchtest du einmal werden, Mandy? November siebenundsechzig. Das Jahr von Sergeant Pepper. Viertausend Löcher in Blackburn, Lan­cashire. Es war nicht Mittwoch morgen um fünf, es war Donnerstag abend um acht. Aber ich trug nun mal dieses Lied im Kopf mit mir rum wie meine Erkennungsmelodie: She’s leaving home, bye bye.

Kein Song von Sgt. Pepper, aber einer aus der gleichen Zeit taucht in Richard Nöbels „Ithaka-Manuskript“ (1986) auf:

Meloy. Ein früher Morgen nördlich nördlich mit Penny Lane über den Bordlautsprecher. Runde dicke Kaffeetassen kann man mit beiden Hän­den greifen.

In einem anderen Text Nöbels, dem an Arno Schmidt anschließenden „Zetts Traum“ (1990), stehen die Beatles an der Seite ihrer langjährigen Konkurrenz:

Beatles. Beatles oder Rolling Stones und eine Neigung zum säubern eine Neigung zu sachten Weisen. Gelegentlich eines Näherns und einer Eile und einer Neigung zu sparen erleichtern Präferenzen ein rasches Sor­tieren. Ähnlich spanischer Satsumas.

Bindung an die Beatles findet früh auch beim Erzähler von Andreas Neumei­sters Erstlingsroman Äpfel vom Baum im Kies (1988) statt:

Schon ein Jahr darauf bekam ich einen Kassettenrecorder. Die unge­bun­dene Kindheit endet mit dem Einstieg in die Unterhaltungsmedien. Hab ich vom Radio alle mir bekannten Melodien über Mikrofon auf­genommen. Hab ich auch die Titelmelodie von der Kommissar-Serie gekannt, die ist oft im Radio gekommen. Bin ich sofort hinauf zur Madeleine, wenn wir bei Moesens zu Besuch waren, hat sie dauernd Beatles gehört. Hat sie von nichts anderem gesprochen als immer von der neuesten Beatles-Platte. Die Abbey Road ist rausgekommen, hat sie nur noch von der Abbey Road gesprochen. Hat sie gesagt, daß sie lange gebraucht hat, bis sie gemerkt hat, daß nach der langen Leerrille auf der zweiten Seite noch ein Stück kommt. Hat sie gesagt, was es zu bedeuten hat, daß Paul McCartney auf dem Coverfoto barfuß geht.

Hat sie womöglich den einschlägigen Verschwörungstheorien geglaubt, denen zufolge Paul nicht mehr lebte. Hat sie aber hoffentlich weiterhin daran ge­glaubt, daß man nichts außer der Liebe brauche, nachzulesen im Roman Die Spur des Schwimmers (1991) von Volker Erbes:

Alle trugen sie schwarze Büstenhalter und Strapse und wiesen sich durch ein Transparent aus als die ‚Geschwister der Re-Pollution‘. Unter dem Beifall des Volks richteten sie den Baum auf, der mit Babywäsche, Kruzifixen und Präservativen behängt war. Sie sangen die Marseillaise in der Version der Beatles und forderten die Menschen auf, mit ihnen um den Baum zu tanzen. Und die Leute standen von den Bänken auf, ließen sich von den Mamselln die Gläser nachfüllen und drängten auf den Platz. Die Geschwister der Repollution erklärten die bisherige Geschichte für beendet und forderten Wiedergutmachung für entgan­gene Lust. Sie bekamen von den Mamselln frischen Apfelwein in die rautengeriffelten Gläser und stießen mit den Leuten an. Dann sangen alle zusammen Love, Love, Love. Es begann zu regnen. Paare bildeten sich. Man tanzte.

Das bezieht sich natürlich auf All You Need Is Love, von den Beatles im Juni 1967 in der ersten weltweiten Fernsehschaltung mehr oder weniger live vorgetragen. Auch in Stephen Frys Roman Das Nilpferd erklingt das Lied:

„Meiner Meinung nach“, sagte er, „ist Liebe den Leuten viel peinlicher als Sex.“
„Aha. Und wie kommst du darauf?“
„Naja, es redet keiner darüber, oder?“
„Ich dachte, sie reden über kaum was anderes. Jeder Film, jeder Popsong, jede Fernsehsendung. Liebe, Liebe, Liebe. Make love, not tea. All you need is love. Liebe ist eine strahlende Sache. Alte Liebe kostet dich.“
„Also dann kann man genausogut sagen, sie redeten über Reli­gion, weil sie so oft ‚Mein Gott!‘ oder ‚Um Himmels willen!‘ sagen. Sie sagen ‚Liebe‘, aber sie reden nicht wirklich darüber.“

An einen früheren (und echten) Live-Auftritt der Beatles erinnert man sich in Yann Martels „Zur Geschichte der Roccamatios in Helsinki: Die Hinter­gründe“, einer Erzählung über die Krebserkrankung einer Figur namens Paul:

Wir ließen das Auto abschleppen, wir ersetzten die Telefonapparate, die Pauls Vater zerstört hatte, wir machten das Haus von oben bis unten tadellos sauber, wir führten George H. aus und badeten ihn gründlich (George H., weil Paul die Beatles wirklich mochte und weil es Paul gewesen war, der George in die Band gebracht hatte; als Paul noch klein war, sagte er gern, wenn er den Hund ausführte, oder vielmehr, wenn der Hund ihn ausführte, denn George H. war ein liebevolles, aber zumeist ungezogenes Biest, da sagte er gern vor sich hin: „In diesem Augenblick gehen, ohne daß irgend jemand davon weiß, ganz und gar in-kog-ni-to, Beatle Paul und Beatle George durch die Straßen von Rosedale“, und dann träumte er davon, wie es wäre, im Shea-Stadion „Help!“ zu singen oder etwas Ähnliches)

Die Orientierung am Songkatalog der Beatles hält bis zum Schluss an:

Ich betrete sein Zimmer zu den Klängen von „With a Little Help from My Friends“. Beatle Paul liegt zusammengerollt auf der Seite. Beatle George, treu bis zum Schluß, liegt neben ihm auf dem Boden.
„Das Jahr 2001?“ frage ich.
„Noch nicht.“
Was soll ich sagen? Er schläft ein zu den Klängen von „Lucy in the Sky with Diamonds“.
Ich lege einen Schreibblock und einen Stift neben seine Hand aufs Bett.
Heute ist „A Day in the Life“ dran. Aber er schläft.
Der Tod hat einen Geruch. Er durchdringt das Haus.

Mit der Nennung der drei Songs ist die Tracklist von Sgt. Pepper stark verkürzt, aber immerhin in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben; wir wissen also, jetzt kommt nur noch die Auslaufrille mit ihrer Überraschung.
Auf Beatles-Songs lässt sich auch anspielen, ohne sie beim Titel zu nennen – angesichts der weiten Verbreitung wird meist dennoch sehr schnell klar, welcher Song gemeint ist. The Long and Winding Road beispielsweise in dem Roman Engel des Universums des Isländers Einar Már Guðmundsson:

Und einmal vor langer Zeit träumte Mama einen Traum.
Das Eigentümliche an diesem Traum ist die Tatsache, daß er in Vergessenheit geriet und erst wieder auftauchte, als ich meinen Weg gegangen war.
Nein, nicht diesen langen, gewundenen Weg, von dem die Beatles singen und der heim zum Haus der Liebe führt, sondern einen anderen Weg, länger und dunkler.

Bei Guðmundssons Landsmann Gudbergur Bergsson oder, genauer gesagt, dem Erzähler seines Romans Liebe im Versteck der Seele sind die Beatles etwas, das Menschen, die sonst gefühllos sind (oder scheinen), Regungen entlocken kann:

Ich sah, daß ihre Augen feucht wurden, in denen sich höchstens eine Träne zeigte, wenn sie die alten Songs der Beatles anhörte und an die alten Tage dachte, als man noch die Vorstellung hatte, Frauen und Kin­der an die Macht zu bringen und die Menschheit mit Protestplakaten zu erziehen.

Der Zynismus des Erzählers seiner Frau gegenüber, der sich hier andeutet, setzt sich einige Seiten später fort:

Hunger zu haben ist die Privatangelegenheit jedes Menschen oder sollte es zumindest bei den Leuten sein, die in den Wohlstandsregionen der Welt leben, hatte sie oft gesagt, als sie befand, ich würde viel zu heftig in mich hineinschlingen, und fügte auch hinzu, daß sie, obwohl sie in der Beatles-Zeit Atheist geworden war und den Glauben an Gott abgeworfen hatte, dennoch an das glaubte, was sie als Kind in der Gemeinde ihrer Eltern gehört hatte, daß Jesus mit ein paar Broten und Fischen fünftausend Menschen satt bekam, denn wohlerzogene Leute wären in der Öffentlichkeit oder in einer Gesellschaft niemals hungrig, besonders wenn sie inhaltsreichen Reden zuhören.

Nicht zynisch, sondern hochgradig nostalgisch veranlagt ist der Erzähler in Patrick McCabes Roman Die Heilige Stadt, der inzwischen fast 70jährige Chris McCool, der sich unentwegt an die 60er Jahre zu erinnern sucht, in denen er selbst, wie er behauptet, eine große Nummer gewesen ist. In diesen Rück­blicken kommen naturgemäß auch die Beatles vor:

Es war gegen vier Uhr, als ich das Radio anschaltete – nur um zu hören, daß die Beatles mit ihrer doppelten A-Seite Penny Lane und Strawberry Fields einen Nummer-eins-Hit gelandet hatten.

Der Clou ist hier allerdings, dass gerade diese Beatles-Single ironischerweise eben nie Nummer eins war – eine von vielen Stellen in McCabes Roman, in denen der Erzähler sich als Aufschneider entlarvt.
Durchaus verlässlicher ist das Personal in Friederike Kretzens Roman Weißes Album (2007), der seinen deutlichsten Beatles-Bezug natürlich schon im Titel trägt:

Wäre die Aufgabe gewesen, uns heimisch zu machen, sagt Hannah, wollten wir zurückkommen wie verlorene Söhne, ohne zu sterben. Wir aber haben Wurzeln im Unheimlichen geschlagen, sind außer uns in unseren Bildern, unserem leeren Theater. Da liegen wir, da, wo wir fielen, unablässig, von Vögeln und Mardern bewohnt. Seitdem wir sprechen, seitdem wir zu sprechen anhoben. So ist es gewesen, jenes Sein in der Luft, in der Sprache. All das ist eine Form des Schlafs. Back from Moscow, in the USSR.
Vom weißen Album, sagt Gitti.

So ist es.