Alles über Allen

Woody Allen zieht „Ganz nebenbei“ seine Lebensbilanz

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer Comedy-Nummer aus den 1960er-Jahren, nachzuhören auf dem empfehlenswerten Album Standup Comic, erzählt der gerade einmal 30 Jahre alte Woody Allen, der bereits eine achtbare Karriere als Gag-Schreiber hinter sich, seine gesamte Kinolaufbahn dagegen noch vor sich hat, er habe gerade sein erstes Filmdrehbuch geschrieben – eine rein autobiographische Arbeit, die sich an den Erfahrungen eines großen Liebhabers orientiere. Damit erntet der bereits als grundnervöser Schlemihl mit Hornbrille auftretende Komiker einen achtbaren Lacher. Dass er über ein halbes Jahrhundert nach dieser Nummer, mit einer glanzvollen Leinwandkarriere und einer weniger glanzvollen Ächtung durch die Familie seiner Ex-Partnerin sowie Teile der #MeToo-Bewegung im Rücken, nun tatsächlich seine Autobiographie auf den Markt bringt, ist vielleicht gar nicht so überraschend wie die Tatsache, dass sie noch Ähnlichkeit mit dem damals annoncierten Projekt hat – nicht ganz in derselben Schublade wie die Kinski-Memoiren einzuordnen, aber auch nicht gerade das, was man einen diskreten Blick zurück nennen würde.

Zumindest im Deutschen ist das Ganze gelegentlich im geradezu zwanghaft frivolen Tonfall einer Sexklamotte aus den frühen 1970ern gehalten, hier geben sich „Miezen im Minirock“ die Ehre und hüpfen mit dem Erzähler „in die Federn“. Das dürfte Wasser auf die Mühlen von Allens Kritiker*innen sein, zumal es sich der 84-jährige Autor nicht nehmen lässt, männliche Schauspielstars als große Talente, weibliche dagegen v.a. als erotische Naturereignisse zu charakterisieren. Und wenn die warmherzige Schilderung von Diane Keaton, mit der Allen einst eine Liebesbeziehung und später eine lebenslange Freundschaft verband, schließlich mit der protzigen Anmerkung auf der Schnauze landet, Allen habe anschließend auch noch kleinere Techtelmechtel mit Keatons beiden Schwestern angefangen, möchte man das Buch gern nochmal ins Lektorat schicken.

Dass es überhaupt erscheinen konnte, war keine Selbstverständlichkeit. An der Vorabdebatte rund um das vom amerikanischen Verlag fallen gelassene Werk dürfte die Leserschaft nicht vorbeikommen; Woody Allen tut denn auch im Verlauf dieser fast 450 Seiten auch gar nicht erst so, als führe ein Weg an der Kontroverse vorbei. Er räumt der gemeinsamen Geschichte mit Mia Farrow und ihrer Familie inklusive der Missbrauchsvorwürfe und ihrer Widerlegung mehr als 50 Seiten ein, was unter merkantilem Gesichtspunkt mehr als unter dem künstlerischen überzeugt. Denn aus einer anekdotenreichen und häufig sehr amüsant zu lesenden Lebensbeichte wird so auf der Zielgeraden eine zornige Abrechnung.

Es ist Woody Allens gutes Recht, sich gegen die mehrfach widerlegten, damit allerdings nicht aus der Welt geschafften Vorwürfe zu verteidigen, nachdem er die öffentliche Schlammschlacht mehr als 20 Jahre gemieden hat; einen Gefallen tut sich der Autor aber nicht, wenn er nun selbst nach Kräften gegen Mia Farrow und deren Kinder austeilt, die ihn in den USA zum Paria gemacht haben. Fans, in deren Augen die Qualitäten des Spaß- und Filmemachers unbestritten sein dürften, bekommen damit die Pistole auf die Brust gesetzt, selbst Stellung zu beziehen, und mit so viel gerechtfertigtem Zorn ist gelegentlich schwer Schritt zu halten.

Allen bemerkt an einer Stelle, unter den Comedy-Stars der 1960er habe er mit Lenny Bruce am wenigsten anfangen können; allerdings ähneln Teile seiner Autobiographie dann eben doch dem späten Bruce, der auf der Bühne zeternd aus seinen Gerichtsprotokollen vortrug, statt Witze zu reißen. Auch Allen weist seiner Leserschaft Plätze auf der Geschworenenbank zu und argumentiert als Anwalt in eigener Sache – eine Nummer, die ihm cleverer in der überdrehten Gerichtsszene in Bananas (1971) gelungen ist.

Mag der Streit auch noch andauern, ein endgültiger Wahrheitsnachweis dürfte wohl nie erbracht werden. Dass z.B. die Unterzeichner*innen des an Rowohlt gerichteten offenen Briefs einen Publikationsstopp aber allen Ernstes mit der Begründung erzwingen wollten, es bestehe kein Grund, an der Schilderung von Allens Adoptivtochter Dylan zu zweifeln, und dass Allen sich nicht überzeugend mit diesen Vorwürfen auseinandersetze – abermals: das Buch geht über mehr als 50 Seiten detailliert auf jeden Aspekt des Vorwurfs ein –, ist dann aber doch verwunderlich. Schlüssige und sehr genau belegte Entlastungen von Woody Allen liegen im Übrigen seit Jahren vor, u.a. aus der Feder von Moses Farrow sowie von dem Dokumentarfilmer Robert Weide. Auch wenn die von allerlei scheinheiliger Entrüstung begleitete Veröffentlichung Leser*innen anziehen dürfte, für die der ewige Stadtneurotiker seit Jahrzehnten nur noch ein aus der Zeit gefallener dirty old man ist, am meisten richtet sich das Buch ohnehin an jene, die nach wie vor den jährlichen Woody Allen als feste Kinoverabredung einhalten, seine Prosa-Satiren schätzen und ihm in der Annahme beipflichten, dass die Wirklichkeit zwar hassenswert, aber eben auch der einzige Ort ist, wo man ein gutes Steak kriegen kann.

Das Stammpublikum enttäuscht Woody Allen denn auch nicht – besonders die Schilderungen seiner Kindheit und seiner Anfänge als Komiker sind voller pointierter Einblicke in eine längst vergangene Ära des Showbusiness. Hier beackert Allen mit charakteristischem Witz das gleiche Territorium wie Amazons erfolgreiche Serie The Marvelous Mrs. Maisel und setzt ikonischen Komödiant*innen wie Elaine May und Mort Sahl ein Denkmal. Seine Kinokarriere handelt der vierfache Oscar-Preisträger dagegen eher pflichtschuldig ab. Nur wenigen Filmen sind mehr als ein paar Zeilen gewidmet, und einige bereits ins Legendenhafte überführte Anekdoten rund um den Schaffensprozess – z.B. wie der routinierte Cutter Ralph Rosenblum Allens Debütfilm am Schneidetisch rettete und wie unterschiedlich die großen Kameramänner Gordon Willis, Carlo Di Palma und Sven Nykvist ans Werk gingen – wurden bereits mehrfach in den umfangreichen Interviewbänden von Eric Lax (Conversations with Woody Allen, 2007) und Stig Björkman (Woody über Allen, 1995) dokumentiert.

Biographische Annäherungen haben auch die Dokumentarfilme Wild Man Blues (1997) und Woody Allen: A Documentary (2015) bereits geleistet, und detaillierte Einsichten in Allens Arbeitsprozess liefert Lax‘ minutiöses Buch Start to Finish (2017), das die Entstehung eines Woody-Allen-Films vom Schreibprozess über den Dreh bis hin zur Post-Produktion schildert. Allen gibt unumwunden zu, dass ihm der Rückblick aufs eigene Werk nicht behagt; die meisten seiner Filme hat er seit der Premiere nicht mehr gesehen, und so gibt es statt eines Werkstatttagebuchs auch eher eine launige Aneinanderreihung von zumeist sehr amüsanten Schnurren. Immerhin kommt Allen gelegentlich aus der Deckung, um die autobiographischen Anteile seiner Filme zu kommentieren, und enthüllt etwa, dass Anjelica Hustons Figur in Verbrechen und andere Kleinigkeiten (1989) ein Porträt seiner Ex-Frau Louise Lasser ist. Im Fall von Stacey Nelkin (dem Vorbild für Mariel Hemingways Charakter in Manhattan, 1979) und der zur unsterblichen Annie Hall fiktionalisierten Diane Keaton gehörte derlei Tratsch bereits zur Folklore.

Zahlreiche Stars, die zumindest bis vor wenigen Jahren für eine Rolle bei Allen Schlange standen, geben sich im Buch die Klinke in die Hand, zu Gastauftritten kommen auch Zeitgenossen wie Federico Fellini und Arthur Miller (der Allen in knappen Worten bei einem gemeinsamen Essen bestätigte, „dass das Leben in der Tat bedeutungslos ist“). Am ehrfürchtigsten erstarrt Allen vor jenen großen Literaten, mit denen er viel lieber in einem Atemzug genannt werden möchte als mit Bob Hope und Groucho Marx. Von seinen geliebten europäischen Regisseuren lebt übrigens nur noch Godard, „aber der war schon immer ein Nonkonformist“.

Wie sich an derlei Beispielen erahnen lässt, lautet die schönste Botschaft des Buchs, dass Allens Grundinstinkte als Komiker noch immer intakt sind. Das dürfte diejenigen Fans erfreuen, die bei manchem Alterswerk des großen Komödianten gelegentlich darüber verzweifeln, dass ihr Idol lieber einen zweitklassigen Eugene O’Neill als einen erstklassigen Woody Allen abliefert. Über Allens Bar-Mizwa heißt es, sie habe sich thematisch an Gorkis Nachtasyl angelehnt, zu einer in die Brüche gegangenen Beziehung konstatiert der Autor, bis zum Schluss sei es noch regelmäßig zu Sex gekommen – „mindestens so oft wie zu Sonnenfinsternissen“, und die eigenen Misserfolge watscht der unverändert fleißige Filmemacher, der kaum noch Projekte in den USA finanziert bekommt, besser ab, als es jedes Feuilleton könnte. Sein Film September (1987) sei, so Allen, durchaus wie Tschechow gewesen, „aber eher Moe Tschechow, der Klempner“, während das einzige Problem an Schatten und Nebel (1991) „[der] Film selbst“ gewesen sei. 

Die deutsche Fassung ist – dem eilig anberaumten Veröffentlichungstermin geschuldet – ein Flickenteppich, an dem vier Übersetzer*innen mitgewirkt haben, sie schlägt sich aber achtbar und weiß sowohl Allens trockene Pointen als auch seine für hiesige Leser*innen nicht immer leicht zu verstehenden kulturellen Referenzen sowie jiddische Einsprengsel gut zu integrieren. Dass sie aus Woody Allens jahrelanger Cutterin Susan „Sandy“ Morse einen Mann macht, ist verzeihlich; Allen selbst neigt gelegentlich ebenfalls zur Schludrigkeit und bringt die Oscar-Bilanzen von Sean Penn und von Jack Nicholson durcheinander. Von Preisen hält der Mann ohnehin nicht viel – der eigene Regie-Oscar? „Ganz nett, aber was hatte er schon zu bedeuten?“

Titelbild

Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiographie.
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober, Jan Schönherr, Stefanie Jacobs, Andrea O‘Brien.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020.
448 Seiten , 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783498002220

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