Der Untergang des neuen Roms

Wie eine einzige Frage Judith Vogts Science-Fiction-Roman „Roma Nova“ in sich zusammenfallen lässt

Von Daniel KostRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Kost

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht Byzanz steht im Zentrum von Judith Vogts 16. Roman, wie der Titel Roma Nova nahelegt, sondern die Alternativwelt der prächristlichen Republik nicht als mediterrane, sondern als interstellare Großmacht, inklusive einer Wiederholung von Spartacus‘ Sklavenaufstand. Eine Idee, die mit ihrer Simplizität besticht und einem staple der Science-Fiction entspricht: Antikes in futuristische Kontexte zu überführen. Nicht zuletzt, weil das Genre die oft in ihm enthaltene Reise des Helden mit Epen teilt. So ansprechend die Uchronie ist, stellt sich bei der Lektüre des Shortlistkandidaten des Seraph 2019 für den Besten Roman eine dringlichere bzw. häufigere Frage: Warum?

Die Beschreibung des Rubikons „als Gürtel aus Asteroidensplittern und Trümmern“, löst die erste Irritation auf; der Titel verspricht eine historische Kontinuität mit unserer Realität, wie es für die Science-Fiction Usus, wenn nicht essentiell ist, wo die Prämisse das Gegenteil fordert: Kein neues, ein anderes Rom. Frei von faktischer Akkuratesse. Das voller Ideen steckt, die zu selten vertieft werden. Die Existenz mythologischer Wesen als Bewohner fremder Welten z.B. verliert nach den ersten Kapiteln alle Signifikanz: Die antagonistischen, teils insektoiden Gestalten, deren Angriff mitunter die Heldenreise der Protagonisten initiiert, stellen einen obskuren Schrecken dar, der zu sehr in den Hintergrund gedrängt wird, um effektvoll zu sein, und sich beim nächsten handlungsrelevanten Auftritt bereits als Division kostümierter, menschlicher Exilanten entpuppt. Die Andersartigkeit der Satyrn nimmt sich als Kosmetik aus, weil sie zwar als geborene Entertainer eingeführt werden, was zur als unterhaltungssüchtig, schon dekadent präsentierten Einwohnerschaft Roms gepasst hätte, aber abgesehen von einer Figur nicht zur Geltung kommen; ihre ausgeprägte Promiskuität reicht nicht aus, um eine ganze Spezies zu rechtfertigen. Auch das Spiel mit einem übertrieben theatralischen Duktus wäre an sich adäquat, wirkt durch mangelnde Wiederholung jedoch eher wie ein störender Fauxpas mit ungewollter Komik: 

„Livia, Livia! Sind sie denn alle tot außer dem verfluchten Lucius Marinus, der ihr Gastgeber sein sollte?“ Der Mann stieß einen gellen Schrei aus, und dieser Schrei fand sein Echo in der wartenden Meute.

„Alle tot!“, gellte das Echo. „Alle tot!“

Darüber hinaus stehlen sich Technologie und Magie gegenseitig die Show. Frei nach Arthur C. Clarke ist Ersteres äquivalent zu Letzterem, sofern sie fortgeschritten genug ist; das Vorhandensein des einen lässt das andere obsolet werden. Masken, die perfekte Imitationen ermöglichen, mechanische Herzen göttlich geglaubten Ursprungs, Energieschilde; sie werden in die Handlung mal mehr, mal weniger effektiv eingeflochten, im Gegensatz zu ihrem übernatürlich(er)en Counterpart. Eine genauere Betrachtung dieser Wunderwerke, wie man es von Science-Fiction erwarten darf, fehlt, entweder weil sie als zu enigmatisch oder zu konventionell abgehandelt werden.

Die Magie in Roma Nova ist geteilt in zwei Systeme, wodurch beide zu wenig Raum bekommen. Entweder sie dienen als einmaliges narratives Mittel. Oder sie ersetzen simple Prozesse durch überflüssige Mystifizierung in dem Versuch, die ansonsten faszinierende Mischung aus technischem Fortschritt und religiöser Tradition zu bereichern. Wichtige Applikationen werden meist nicht erzählt bzw. nur angedeutet und geschehen im Off, außerhalb der Aufmerksamkeit des Lesers, oder enden in einer narrativen Sackgasse, wie die Hellseherei der Antagonistin Morisa: In den etlichen, entschleunigend passiven, aber gut positionierten Darstellungen ihrer Ränkeschmiederei in erster Person (ein gewagter Tempus- und Perspektivenwechsel), wird sie teilweise bis ins Cartoonhaft-Lächerliche verzerrt. Statt der Figur mit einem undurchsichtigen Arsenal weltlicher und magischer Möglichkeiten Unberechenbarkeit zu verleihen, wird jedes ihrer Vorhaben direkt enthüllt. Im Zuge dessen droht ihre Gabe in letzter Konsequenz das grande finale vorwegzunehmen; eine aufwendige Konstruktion im Schlussteil, die die Gesetze der Zeit außer Kraft setzt, muss angewandt werden, um die kaum mehr vorhandene Spannung aufrecht erhalten zu können, statt es von vorneherein bei der ausgeprägten Planungsfähigkeit zu belassen, die ohne Risiko dieselbe Funktion erfüllt hätte.

Ich singe den Fluch.

Der Fluch wird von mir an Titus‘ Herz gebunden und auf meinen Sendboten übergehen und von dort auf die Mariner, durch die bloße Berührung seiner Fingerspitzen.

So wird es geschehen.

[…] Nun hat sie ihn berührt. Ich sehe zu Titus Marinus‘ Herz. Mein Fluch entfaltet sich.

[…] Schwächer sollen die Mariner werden. Schwächer und schwächer und schwächer.

Der Fluch stellt indes eine Schwäche der Seherin dar, die von ihrer Symbolträchtigkeit als der Winter Roms, sein Untergang, durch ihre Nähe zum Mythos der Persephone nicht kompensiert werden kann. Er induziert, neben einer tödlichen Lethargie, Liebe. Es erscheint fragwürdig, grundsätzlich Positives durch ein polares Gegenteil Einzug halten zu lassen, schlimmer, das Negative gegen Ende wegen dieser Wendung zu beschönigen, am schlimmsten, wenn dies alles nicht notwendig ist: Der Zweck des Fluches besteht darin, die im Aufstieg begriffene Familie der Protagonistin zu ruinieren und den Sklavenaufstand zu initialisieren, wozu eine durch Pubertät, Risikolust und gemeinsames Bestehen einer Notsituation hervorgerufene Beziehung zwischen der ältesten Tochter und einem Sklaven gereicht hätte – Elemente, die in Akt 1 und 2 des Romans vorkommen. Jedoch wäre das forcierte happy ending verhindert worden, welches an den selbstbegangenen Verrat sämtlicher Motivationen und Taten zweier Figuren und der Einführung einer universellen Regel, die durch ein deus ex machina gebrochen wird, anschließt; Vieles am dritten Akt wirkt unverdient, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weil auf sie nicht hingeleitet wird.

Statt wenige Ideenkomplexe zu verfeinern und aufeinander aufbauen zu lassen, sodass ein stabiles Geflecht entsteht, wird in die Breite gegangen. Der angenehme Lesefluss, die trotz allem glaubwürdig dargestellte Liebesbeziehung und der bekannte Sklavenaufstand verhindern nicht, dass die innere Konsistenz durch die große Menge kaum miteinander verknüpfter Aspekte schwach ausfällt und gemeinsam mit der suspense of disbelief durch die Frage nach dem Warum zusammenbricht, die spätestens zum Ende gestellt wird. Die Prämisse der direkten Adaption des lateinischen Altertums, die wegen ihrer Seltenheit der alleinige Anreiz zu dem Roman gewesen zu sein scheint, erweist sich nicht als ausreichend, eine kohärente Welt zu garantieren. Es ist allerdings poetisch, dass Roma Nova dadurch eine kleine Gemeinsamkeit mit dem Imperium Romanum gewinnt, das so lange expandierte, bis seine Stabilität nicht mehr gewährleistet werden konnte.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Judith C. Vogt: Roma Nova. Roman.
Bastei Lübbe, Köln 2018.
623 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783404209149

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch