Falsches Mutterglück

Nach fast einem halben Jahrhundert wurden Marlen Haushofers Märchen unter dem Titel „Der gute Bruder Ulrich“ erneut aufgelegt.

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gegenwärtig ist die österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer vor allem als Verfasserin von Romanen und Novellen berühmt. Allen voran Die Wand und Wir töten Stella, die 2012 und 2017 von Julian Pölsler verfilmt wurden. Sie waren es auch, die in den 1970er Jahren Haushofers Beliebtheit in feministischen Kreisen begründeten. Doch war die Literatin auch in anderen Textsorten unterwegs. Zu ihrem Œuvre zählen einige Kinderbücher und Märchen. Zu Lebzeiten war sie für erstere nicht weniger bekannt als für ihre an ein erwachsenes Publikum gerichteten Werke. Für beide erhielt sie etliche Preise. Ein Märchenband aus ihrer Feder erschien allerdings erst zwei Jahr nach ihrem Tod. In seiner Reihe „Die goldene Leiter“ verlegte der Wiener Jugend und Volk Verlag 1972 ein schmales Heft von gerade einmal 32 Seiten mit dem Titel Das Waldmädchen. Neben der titelstiftenden Geschichte enthielt es mit Das Nixenkind und Der gute Bruder Ulrich zwei weitere Märchen der Autorin. Es verkaufte sich so gut, dass drei Jahre später in einer zweiten Auflage das 31. bis 40. Tausend des Bändchens gedruckt werden konnte. Dann hörte man von Haushofers Märchen lange nichts mehr.

Nun aber sind sie erneut erschienen. Markus Bundi hat sie herausgegeben und mit einem Nachwort versehen. Dabei hat er nicht nur auf die Übernahme von Sieglinde Meders Illustrationen der Erstausgabe verzichtet, sondern auch das letzte der drei Märchen in den Titel des gesamten Bandes gehoben. Warum, wird nicht erklärt.

Haushofer hat ihre Märchen in einem kindgerechten Stil verfasst. FeministInnen werden an ihnen allerdings ebenso wenig Gefallen finden wie an den  Kinderbüchern mit ihrer süßlich-heilen Welt, die sich so sehr von der in Haushofers Novelle Himmel, der nirgendwo endet ebenso einfühlsam wie realistisch geschilderten Kindheit in einem ländlichen Forsthaus unterscheidet. Ventiliert die Autorin in ihren Kinderbüchern ein konservatives Erziehungsideal, dem gemäß der Vater schon einmal  „Kopfstücke“ austeilen kann, so huldigen ihre Märchen einem ebensolchen Frauenbild, das weibliche Figuren ihr Glück und ihre endliche Vollendung in der heißersehnten Mutterschaft finden lässt.

Die in einer Waldhütte lebende Protagonistin der ersten Geschichte erfährt zuvor einige Übel. Über einer Quelle kniend wird sie vom Herrscher des Landes entdeckt, der „die Zitternde“ kurzerhand an seinen Hof entführt, wo er sie zu ihrem Erschrecken küsst, was sich leicht als Vergewaltigung entschlüsseln lässt. Danach befiehlt er seinem Hofstaat, „zur Hochzeit zu rüsten“. Nach ihrer Einwilligung wird wie selbstverständlich nicht gefragt. Da sie am Hofe totunglücklich ist und sich nach ihren Tieren und ihrem einzigen Verwandten, dem gutherzigen Räuber Schlagetot, sehnt, lässt der König Tiere und Räuber heranschaffen. Doch die Tiere verenden bald und der Räuber verlässt den Hof wieder. Als das Waldmädchen bald darauf vor Kummer selbst zu sterben droht, will der König sie freigeben. Doch sie lehnt ab, sie wolle lieber bei ihm sterben als ohne ihn leben. Da gebiert sie gerade noch rechtzeitig einen Sohn, gesundet sogleich und fühlt sich am Hof fortan zuhause.

Bundi findet in seinem Nachwort die „Umpolung des Waldmädchens zur Mutter“ wenig überzeugend. Vor allem aber handelt es sich um eine reaktionäre Weiblichkeitsphantasie, in der allein der Räuber – ein sonnenverbrannter Robin Hood, der sein Geld an arme Kinder verschenkt – eine positiv wirkende Figur darstellt.

In Das Nixenkind steht Mutterschaft noch stärker im Zentrum. Ein wohlhabendes Müllerpaar leidet darunter, kinderlos zu sein. Insbesondere die Frau wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind und weint nächtens „die Kissen feucht“. Keine noch so kostbaren Geschenke können sie trösten. Da versucht ihr Mann, in der Stadt ein Kind für sie zu kaufen oder gar zu stehlen. Doch seine Unternehmungen bleiben erfolglos. Erst eine Nixe am Mühlenteich schenkt ihm ihr mit einem Menschenmann gezeugtes Kind, weil sie es nicht mit zu den Ihren nehmen kann. Kaum hält die Müllerin es in den Armen, blüht sie sichtlich auf. Doch nun vermisst die unglückliche Nixe ihr Kind und holt es sich zurück. Schließlich sind es die Tränen der Müllerin, welche die Wasserfrau erweichen und das Kind endgültig an sie binden. Mit ihm kehrt das Glück in die Mühle zurück. Wie bereits in Das Waldmädchen ist es auch hier allein die Mutterschaft, die eine Frau glücklich machen kann.

In der dritten Geschichte schließlich steht die Mutterschaft oder der Kindeswunsch einer Frau nicht mehr im Mittelpunkt. Dies aber auch nur, weil die Königin gleich zu Beginn vor lauter Freude über die Geburt ihres Sohnes stirbt. Das in der Geschichte namenlos bleibende Kind kommt zu einer Amme, die selbst Mutter eines Jungen namens Ulrich mit „langen blonden Locken und strahlend blauen Augen“ ist. Während die Kinder wie Brüder heranwachsen, bevorzugt sie den hässlichen Königssohn und hält ihren eigenen Jungen an, ihm stets zu dienen. Ulrich tut das gerne. Der so verwöhnte Sohn das Königs wird nach Jahren selbst zum Herrscher des Landes, ohne allerdings je glücklich oder auch nur zufrieden zu sein. Von Ulrich verlangt er der Reihe nach dessen Schönheit, sodann dessen Frau und schließlich sogar, dass dieser sein Leben lässt und an seiner Stelle stirb. Der „gute Bruder“ opfert ihm bereitwillig alles, ohne dass den Unersättlichen je etwas zufriedenstellen könnte, bis er schließlich doch geläutert wird und sich in die einsame Waldhütte zurückzieht, in der er und Ulrich aufwuchsen. Dort stirbt er unter Tränen.

Bundi erkennt in der Geschichte das Motiv des Grimm’schen Märchens Vom Fischer und seiner Frau, schlägt aber auch einen Bogen zu Novalis’ „blauer Blume“ und Eichendorffs „Lied in allen Dingen“. Es ist dies das einzige der drei Märchen, das er etwas näher beleuchtet. Insgesamt aber reizen Haushofers Märchen Bundi zufolge „die Möglichkeiten“ der Gattung „auf eine Weise aus“, dass diese sich „quasi selbst entlarvt“. Lesende, die hoffen, in ihnen emanzipatorische Momente zu finden oder zumindest – wie so oft in Haushofers Romanen und Novellen – eine Kritik der nicht nur im Kleinbürgertum der 1950er Jahre herrschenden (patriarchalen) Verhältnisse, werden den Band dennoch enttäuscht zur Seite legen.

Titelbild

Marlen Haushofer: Der gute Bruder Ulrich. Märchen-Trilogie.
Mit einem Nachwort von Markus Bundi.
Limbus Verlag, Innsbruck 2020.
64 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783990391655

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch