Liebe ist der Trost der Armen

Ludwig Fels erzählt in „Mondbeben“, dass es für seine Helden Glück nicht umsonst gibt

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Du hast keine Chance, aber nutze sie“ – so lautet ein legendäres Zitat aus Herbert Achternbuschs Die Atlantikschwimmer. Immerhin eine Chance, ließe sich demnach auch für Olav und Helen folgern, die beiden Protagonisten in Ludwig Fels‘ Roman Mondbeben. Nicht schwimmend, sondern fliegend überqueren sie den Atlantik, um in einem angeblichen Paradies namens Zifere Island ein Haus zu kaufen und ihre neue Liebe zu feiern. Doch es muss schiefgehen. Daran lässt Fels gleich von Beginn an keinen Zweifel. Für Olav und Helen kann es nur darum gehen, mit heiler Haut und in Würde aus dem Abgrund der eigenen Illusionen herauszufinden.

Den Anstoß zur Reise gibt eine überraschende Erbschaft, die Helen gemacht hat. Olav kennt sie erst seit kurzem. Die Geschichte ihrer Liebe beginnt damit, dass er, ein ehemaliger Schuldeneintreiber, vom Balkon seiner Wohnung aus beobachtet, wie über dem Hof ein Mann seine Frau verdrischt. Er reagiert sofort, geht hinüber und verteidigt die Frau mit einer Vehemenz, die vom Gericht als „unverhältnismäßige Gewaltanwendung“ taxiert und mit einer Haftstrafe sanktioniert wird. Helen, die Frau, wartet auf ihn, nun suchen die beiden in Übersee eine gemeinsame Zukunft, die sich schnell als Alptraum erweist. Für Menschen wie Olav und Helen ist das Glück nie umsonst. Erschwerend kommt hinzu, dass Olav ein Alkoholproblem hat, was ihn in betrunkenem Zustand gerne Freundlichkeit und Anstand verlieren lässt. Helen versucht vergeblich zu vermitteln.

In dem korrupten Geflecht von Vetternschaft und Abhängigkeit haben die beiden gutgläubigen Hauskäufer gegenüber dem Makler Mr. Moses, dem Anwalt Mr. Kuttu und dem Police Officer Gakee keine Chance. Selbst gesellschaftliche Außenseiter wie die Prostituierte Assumpta oder der pakistanische Arzt Dr. Chali sind im angeblichen Inselparadies bloß Marionetten in einem abgekarteten Spiel, das noch befeuert wird durch politische Unruhen und Gewalt. Die Villa im „Hidden Pearl Resort“ muss für Olav und Helen so ein verhinderter Traum bleiben. Sie können nur sich selbst trauen, erst recht, als Helen am Auge verletzt wird und ärztlichen Beistand benötigt.

Die Konsequenz, mit der Ludwig Fels dieses Doppelspiel von naiver Illusion und brutaler Desillusionierung erzählt, verleiht seiner Prosa von den ersten Sätzen an etwas Beißendes und Quälendes – im anerkennenden Sinn. Es wirkt rührend, wie der Autor seine beiden Protagonisten in die Abgründe eines faulen Geschäfts begleitet und sie als Erzähler doch immer zu beschützen sucht.

Ludwig Fels ist neben Herbert Achternbusch das zweite literarische Unikum der bayrischen Gegenwartsliteratur. Sein vielbändiges Werk beweist seit den Anfängen in den 1970er Jahren eine Widerstandskraft und Radikalität, die nicht immer vollauf gelingt, aber jederzeit Respekt abfordert. Vor allem zeichnet Fels ein feines Gespür für Außenseiter und Outdrops aus, für Arbeiter und sozial Randständige, denen er mit oft bewundernswerter Empathie zu literarischer Würde verhilft; so beispielsweise Georg Bleistein in Ein Unding der Liebe (1981), Paul Valla in Rosen für Afrika (1987) und nun eben Olav und Helen. Allein, hielt Uwe Timm in einer Laudatio 1990 fest: „[N]ie findet sich bei Fels Mitleidheischendes, Moralinsaures; er will nicht belehren oder überzeugen, er schreibt über Krankheit und Tod mit der Empörung über das Unabwendbare, Empörung aber auch über Abwendbares, über Not und Armut. über die Erniedrigung.“

Der erniedrigende, arglistige Betrug durch eine Immobilienmafia wird in Mondbeben überlagert von einer Liebesgeschichte, die nicht frei von Sentimentalität ist, aber gerade deshalb echt und wahrhaftig anmutet. Olav und Helen verstehen, „dass die Liebe der Trost der Armen“ ist. Doch wegen dieser Liebe halten sie wider jede Vernunft an ihrem Traum fest. Wenn Helen Zweifel oder Furcht äußert, appelliert Olav an ihren Traum, und umgekehrt. Diesen Traum, nein, den wollen sie sich nicht nehmen lassen. Weil sie einander vertrauen, nicht blind, aber tief, sind sie auch bereit, das sie umgebende Elend auszublenden.

Weil die in Auftrag gegebene Geldüberweisung nicht klappt und weil ihre Augenverletzung nicht heilt, fliegt Helen zurück nach Deutschland. Olav dagegen will warten. In diesem Moment kippt das Geschehen, der Roman verändert sein Gesicht und verliert es auch ein wenig. Olav vermag nichts gegen die korrupten Provinzeliten auf der Insel auszurichten. Doch je mehr er von ihnen in die Enge getrieben wird, umso unverhohlener lässt er sie seine Verachtung spüren. Zug um Zug baut sich so eine Stimmung auf, die sich in Alkoholexzess, Drohung, Schlägerei entlädt. Die gesteigerte Gewalt, inklusive finalem Showdown, fügt der Geschichte allerdings nichts Wesentliches hinzu. Sie wirkt aufgesetzt und raubt den Einheimischen noch ihre letzte Würde. Ludwig Fels beweist hier zwar seine literarische Kraft und Unerschrockenheit, gegenüber den feinnervig festgehaltenen, verräterischen wie verratenen Illusionen von Helen und Olav, aber es überzeugt nicht. Die Katastrophe war schon vorher in den beiläufigen Misshelligkeiten angelegt und menschlich glaubhafter aufgehoben.

Schließlich kehrt Helen ex machina, aus dem Flugzeug, zurück, begleicht die Restschuld und rettet ihren Olav, so wie sie einst von ihm gerettet worden ist. Gemeinsam kehren sie nach Hause zurück. Die Liebesgeschichte von Helen und Olav, die ihre Chancenlosigkeit trotz allem nutzen, bleibt im Gedächtnis haften. Kein Glück ist umsonst, dennoch ist noch genügend Geld für beide übrig, tröstet ihn Helen. „Man würde sehn“, denkt Olav für sich.

Titelbild

Ludwig Fels: Mondbeben. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2020.
312 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783990272411

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