Philosophie nicht nur für Fußballfans

Tonio Schachingers facettenreicher Debütroman

Von Jennifer StaisRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jennifer Stais

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ivo hat alles: Schnelle Autos, eine gutaussehende Ehefrau, zwei Kinder, ein großes Haus und einen Traumberuf: Er ist Profifußballspieler und verdient 100.000€ in der Woche. Trotz allem ist er nicht zufrieden mit seiner Lebenssituation. So beginnt er eine Affäre mit seiner Jugendfreundin. Doch auch das will das Leben des Starfußballers nicht bereichern.

Tonio Schachingers Debütroman Nicht wie ihr entführt seine Leser nicht nur in die Welt des Fußballs, sondern auch in die Gedankenwelt eines Wieners mit bosnischen Wurzeln. Der Autor weiß sehr geschickt seinen fiktiven Protagonisten in eine real erscheinende Welt zu setzen, ohne dass es gekünstelt wirkt. Ivos Lebensstil mag anfangs klischeehaft und durchschaubar anmuten – immerhin hat er eine blonde, vollbusige Frau, fährt Bugatti und lebt im Reichenviertel. Allerdings lassen innere Monologe tief in seine Gefühlswelt blicken, wodurch er nicht nur authentisch, sondern absolut menschlich, gar sympathisch wirkt, beispielsweise wenn er um seinen ehemaligen Trainer trauert und liebevoll mit seiner Tochter umgeht. Nicht immer kann sein Handeln nach allgemeinen Maßstäben als „moralisch richtig“ bewertet werden, aber die Figur ermöglicht ein Verständnis für das Innenleben eines an Depressionen Erkrankten. 

Trotz wenig äußerer Handlung – schließlich wird lediglich der Alltag eines jungen, depressiven Familienvaters mit erfolgreicher Karriere geschildert – überzeugt Nicht wie ihr zum einen durch seine Hauptfigur, zum anderen durch die Positionierung zu aktuellen Debatten, wodurch vollkommen neue Denkanstöße gegeben werden. Es wird etwa die Problematik von Fußballern mit Migrationshintergrund und deren schwerer Stand im Sport und in der Gesellschaft am Beispiel des deutschen Nationalspielers Jerome Boateng verdeutlicht, der in der Vergangenheit von AfD-Politiker Alexander Gauland beleidigt wurde. Es seien 

Geschichten wie die, wo ein Nazi gesagt hat, er würde nicht neben Boateng leben wollen und sich daraufhin jede blöde Kartoffel zwischen München und Hamburg geil dafür gefühlt hat, dass sie sehr wohl neben ihm leben wollen würde. Ja, weil er reich ist, oida! Weil er im schönsten Villenviertel von München lebt! [und nicht im Ausländerviertel] […].

Der Roman ist so vielschichtig wie Ivos Gedanken. Es wird sowohl über Gott philosophiert als auch über Funktionäre und Psychologen.  Dabei wird dem Leser keine Meinung aufgezwungen, da Schachinger die verschiedenen Themen fast chirurgisch seziert und untersucht, wodurch ihre Komplexität verdeutlicht wird: „Wenn Gott will, dass die Welt gut ist, wieso hat er es dann so einfach und so endgültig gemacht, etwas zu zerstören? Macht Gott die Menschen mit Absicht böse, damit sie aus schlechtem Gewissen auf ihn hören?“. Man hat das Gefühl hinter die Fassade der schillernden Fußballwelt schauen zu können, ohne von Klischees und Fankult erschlagen zu werden. So trifft etwa der Vereinsarzt verspätet in Ivos Hotelzimmer ein, da er nicht zu den wichtigsten Spielern des Teams zählt und für den Arzt von niedriger Priorität ist.

Nicht wie ihr ist insgesamt ein sehr lesenswerter, kurzweiliger Roman, der neue Facetten eröffnet und zum Denken anregt. Er darf zu jenen Büchern gezählt werden, die neue Welten aufzeigen. 

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Tonio Schachinger: Nicht wie ihr. Roman.
Kremayr & Scheriau Verlag, Wien 2019.
302 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783218011532

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