Textilien im ‚Parzival‘: Ein roter Faden durch die Geschichte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Band Höfische Textilien des Hochmittelalters von Alissa Theiß, erschienen als Beiheft der Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, untersucht die kulturgeschichtlichen Aspekte von Kleidung und Stoffen am Beispiel des mittelhochdeutschen Romans Parzival von Wolfram von Eschenbach und verfolgt dabei einen dezidiert interdisziplinären Ansatz. Die Verbindung von Literaturwissenschaft, historischen Quellen, Archäologie und Kunstgeschichte eröffnet eine erweiterte Perspektive auf den Text.

Ausgehend von Fragen der aktuellen Kulturtransferforschung begibt sich der Band zunächst auf die Spuren antiker und mittelalterlicher (Fern-)Handelswege und verfolgt die Etappen der kostbaren Importgüter zurück bis zu ihren Produktionsorten in Europa, Asien und Afrika. Auch den – zum Teil fiktiven – Herkunftsangaben der Stoffe aus dem Parzival wird nachgegangen. Dass man Luxusstoffe an den europäischen Höfen nicht nur aus der Literatur kannte, belegen überlieferte Textilien. Kostbare Importstoffe lassen erkennen, dass die Besitzer oder Träger dieser Textilien Teil eines weitverzweigten Netzwerks sind; ihr Einfluss und ihre politische Macht werden mithilfe dieser Materialien öffentlich erkennbar zur Schau gestellt. Die politische und soziale Dimension von Textilien offenbart sich in ihrer Rolle als diplomatische Geschenke. Prominenten historisch überlieferten Kleidergeschenken werden Kleidergaben aus dem Parzival an die Seite gestellt, was zu Neubewertungen des Texts führt, beispielsweise wenn es um Parzivals Initiation zum Ritter geht. Weitere Themen sind Stoffherstellung, Farbstoffe und Bedeutung von Farben, symbolische Funktionen von Kleidung sowie Textilien in der Heraldik, die in Wolframs Werk – erstmals in der mittelhochdeutschen Literatur – eine wichtige Rolle spielt.

Im Parzival werden mehr als 70 verschiedene Bezeichnungen für Textilen, Pelze und Trachtbestandteile genannt. Viele dieser Termini erschließen sich selbst für Kenner des Mittelhochdeutschen nicht ohne Weiteres. Ein Teil des Bandes ist daher als Lexikon konzipiert, das die Begriffe erstmals detailliert erläutert, alle betreffenden Textstellen aus dem Parzival angibt und, wo immer möglich, weitere anschlussfähige historische und literarische Beispiele nennt.

Der Band macht deutlich, dass die im Parzival beschriebenen Textilien wertvolle Informationen zum Textverständnis liefern. An ihnen wird der Verlauf der Geschichte auf einer Metaebene dargestellt. Die Stoffe und Kleider bilden den Status der Figuren ab und stellen zugleich die Bildung der Rezipienten zur Schau. Die Beschreibungen bedienen den Wunsch nach noch exklusiveren Materialien, mit denen höheres Ansehen und mehr Prestige verbunden waren. Stoffe sind Repräsentationswerkzeuge, das gilt gleichermaßen für die Literatur wie für die höfische Gesellschaft, in der und für die diese Literatur produziert wurde. Somit fungieren Textilien als konstituierendes Element der höfischen Kultur. Sie zeugen außerdem von einem permanenten intensiven Austausch über Sprach-, Länder- und Religionsgrenzen hinweg und belegen damit die hohe Mobilität der Adelsgesellschaft sowie ihre weitreichenden Kulturkontakte. Diese Dimensionen sind in der mittelalterlichen Literatur stets vorhanden. Wie die Ergebnisse des vorliegenden Bandes zeigen, können sie jedoch nur im Zusammenspiel der einzelnen mediävistischen Disziplinen verstanden und entschlüsselt werden.

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Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Alissa Theiß: Höfische Textilien des Hochmittelalters. Der ‚Parzival‘ des Wolfram von Eschenbach.
Hirzel Verlag, Stuttgart 2020.
516 Seiten, 84,00 EUR.
ISBN-13: 9783777626703

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