Der „Literaturpapst“ und die „zehn Gebote“

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Aus einem Gespräch mit Klaus Bölling und Peter Gauweiler vor zwanzig Jahren, veröffentlicht in Welt am Sonntag, 21. und 28. Mai 2000, nachgedruckt in Hubert Spiegel (Hg.): Welch ein Leben. Marcel Reich-Ranicks Erinnerungen. Stimmen, Kritiken, Dokumente. München: dtv 2000. S. 304-312.

Antwort auf die Frage, ob er das „Etikett des Literatur-Papstes abzustreifen“ gewillt sei:

Ich habe schon bei vielen Gelegenheiten gesagt, dass ich diese Bezeichnung für sinnlos halte, weil sie immer mit Unfehlbarkeit assoziiert wird. Ich kenne keinen einzigen Kritiker in der ganzen Geschichte der deutschen Literaturkritik, der unfehlbar gewesen wäre. Aber wissen Sie, ich habe längst aufgehört, dagegen irgendetwas zu sagen. (S. 307)

Antwort auf die Frage über sein „Verhältnis zum dritten Gebot“: „Du sollst den Feiertag heiligen“. Und zu „Gretchens Frage an Faust“: „Heinrich, wie hältst du es mit der Religion?“

Ich bin ein ganz areligiöser Mensch. Und ich bin es nicht geworden, ich war es von Anfang an. Mir ist alles Religiöse fremd. Ich war niemals Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde und werde es nie sein. Und ich wünsche, dass an meiner Beerdigung, wenn eine stattfindet, kein Rabbiner und kein Kantor teilnimmt. Wenn Sie nach dem siebten Tag der Woche fragen: […] ich habe oft am Sonntag viel gearbeitet – wie es sich so ergeben hat. In den zehn Geboten muss man überhaupt eine große Leistung der Juden sehen. Übrigens: Du sollst nicht begehren deines nächsten Weib – na gut. In denselben zehn Geboten steht auch, du sollst nicht ehebrechen. Zweimal also dasselbe in den zehn Geboten. […] Aber du sollst nicht töten, steht nur einmal. (S. 312)