Ohne Bildung keine Emanzipation!

Ursula I. Meyer hat mit „PhilosophinnenLeben: Harriet Taylor Mill“ eine Biographie zu der englischen Frauenrechtlerin vorgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fundamentalislamische Terrorbanden wie Daesh verhindern in ihren Herrschaftsgebieten auch im 21. Jahrhundert noch immer jegliche Frauenbildung. Auch in Europa mussten Angehörige des weiblichen Geschlechts über Jahrhunderte hinweg darum kämpfen, bis ihnen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts endlich der Zugang zu Universitäten zugebilligt wurde. Doch selbst dann wurde Studentinnen noch bis tief ins 20. Jahrhundert hinein verwehrt, bestimmte Bibliotheken zu betreten. Dies musste etwa Margaret Atwood am Radcliffe College der Harvard University während ihres Studiums der Englischen Literatur Anfang der 1960er Jahre bitter erfahren. Wie allen ihren Kommilitoninnen war ihr untersagt, die für ihr Studium nicht unwichtige Lamont Library der Universität zu betreten. Erst 1967 wurde das Verbot aufgehoben.

Dabei zählte die Forderung nach Mädchen- und Frauenbildung aus guten Gründen schon früh zu den wichtigsten Anliegen der FeministInnen in aller Welt. In England wurde sie wohl zuerst von Mary Wollstonecraft Ende des 18. Jahrhunderts erhoben. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Harriet Taylor Mill zu einer der wichtigsten VerfechterInnen der Mädchen- und Frauenbildung. Nun, mehr als weitere anderthalb Jahrhunderte später, liegt eine weitere der wenigen deutschen Biographien dieser wichtigen Frauenrechtlerin vor. Ursula I. Meyer hat sie verfasst. Bislang war das hiesige Publikum – was selbständige Publikationen betrifft – auf die 2008 im Campus Verlag erschienene Magisterarbeit von Ringo Narewski verwiesen, ein schmales Bändchen, in dem der Autor Leben und Werk von John Stuart Mill und Harriet Taylor Mill beleuchtet. Kürzere Würdigungen Taylor Mills finden sich allerdings bereits zuvor in Marit Rullmanns 1993 erschienenem Handbuch Philosophinnen von der Antike bis zur Aufklärung und dem ein Jahr darauf von Ursula I. Meyer und Heidemarie Bennent-Vahler erstellten Philosophinnen-Lexikon. Auch in Luise F. Puschs Online-Lexikon berühmter Frauen FemBio ist Taylor Mill mit einem von Pusch selbst verfassten Eintrag vertreten.

Ursula I. Meyer lässt ihre Biographie ganz konventionell mit der Geburt Harriet Hardlys am 8. Oktober 1807 beginnen und folgt dem in einer wohlsituierten Londoner Unitarierfamilie heranwachsenden Mädchen sodann durch die Kinder- und Jugendjahre. Im Alter von 19 Jahren heiratete die nunmehr junge Frau nicht zuletzt auf Drängen ihrer Eltern John Taylor, der ebenfalls der unitarischen Glaubensgemeinschaft angehörte und als Teilhaber eines erfolgreichen Großhandelsunternehmens ein finanziell sorgenfreies Leben führen konnte. Intellektuell und kulturell war er seiner „viel aktiver[en], gebildeter[en] und klüger[en]“ Frau jedoch unterlegen, die „bereits in dieser Phase“ begann, „sich Gedanken über die Situation der Frauen im allgemeinen und die der Mütter im Besonderen zu machen“. Sie fanden ihren Niederschlag in ersten Publikationen. Außerdem veröffentlichte sie zu dieser Zeit einige Gedichte.

Anderthalb Jahre nach der Eheschließung gebar Harriet Taylor ihren Sohn Herbert. Ein weiteres Jahr darauf veröffentlichte die junge Mutter ihre wichtige Schrift Education of Mothers. Bildung, erklärte sie darin, sei für Frauen, und insbesondere Mütter von „essentieller Wichtigkeit“ und könne „gar nicht hoch genug angesetzt werden“. Später betonte sie zudem, es komme nicht nur darauf an, dass Frauen sich bilden, sondern auch darauf, „was sie lernen“.

1830 wurde Harriet Taylor Mutter eines zweiten Sohnes. Noch im gleichen Jahr wurde sie zum dritten Mal schwanger. Diesmal mit einem Mädchen.

Noch vor der Geburt ihrer Tochter Helen lernte sie John Stuart Mill kennen, „ein durch und durch moralischer Mensch“ und ihr intellektuell ebenbürtig. Mill war ein Verfechter des Utilitarismus und auch sie stand dieser ethischen Schule nahe. Doch vertraten beide Meyer zufolge eine „verfeinerte Form“ dieser moralphilosophischen Denkrichtung, da sie „im Gegensatz zu den meisten […] nicht das individuelle, sondern das allgemeine Glück in den Vordergrund [stellten]“.  Harriet Taylor nahm Mill schon bald in ihren bereits bestehenden „Freundeskreis aus unkonventionellen und feministisch gesinnten Frauen und Männern mit literarischen und politischen Interessen“ auf.

In der Darstellung Meyers erscheint John Stuart Mill eher als scharfsinnig, Harriet Taylor als geistreich. „[W]ährend er argumentiert, hat sie die Ideen“, erklärt die Biographin. Jedenfalls erweisen sich beide schnell als geistesverwandte DenkerInnen und verlieben sich ineinander. „Inwieweit diese Liebe platonisch bleibt“, ist Meyer zufolge ungewiss. Doch sei diese Frage „nebensächlich“, da Harriet Taylor in jedem Fall „seelisch-emotionale[n] Ehebruch […] begangen“ habe. Für die Annahme, dass Taylor und Mill keine sexuelle Beziehung führten, spreche, dass Harriet Taylor von ihrem Mann vermutlich mit Syphilis infiziert worden sei.  Diese Annahme kann Meyer zufolge auch die „Körperfeindlichkeit“ in Taylor Mills Publikationen über die Ehe erklären. Diese galt ihr als „eine Form der Prostitution für die Frauen, die dazu erzogen werden, dem Mann Freude zu bringen, für den Preis eines Hauses und eines gesellschaftlichen Ansehens“. Nachdrücklich forderte sie die Abschaffung der Ehegesetze, da sie eine „Hörigkeit“ der Frauen festschrieben, die mit derjenigen von SklavInnen vergleichbar sei.

Nach der Geburt ihrer Tochter schrieb die junge Mutter auf Anregung von Mill „immer häufiger auf, was ihr durch den Kopf geht“. Es waren Gedanken „über Bildung, Ehe und Scheidung, Ethik und Religion“. Die oft „sehr unordentlichen Aufzeichnungen“ wurden „zur Grundlage, und zum Ausgangspunkt für die Artikel“, die Taylor und Mill „später gemeinsam schreiben“ würden.

1849 starb Harriet Taylors Mann an Krebs. Trotz ihrer prinzipiellen Ablehnung der Ehe heiratete sie zwei Jahre darauf Mill, der allerdings zuvor „ein Dokument [verfasste hatte], in dem er auf alle Rechte verzichtet, die ihm laut den damaligen Gesetzen als Ehemann zukommen“.

Zwar hatte Harriet Taylor Mitte der 1840er Jahre „praktisch aufgehört eigene Texte zu schreiben“, doch erschienen von 1849 bis zu Beginn der 1850er Jahre gemeinsam mit Mill verfasste Zeitschriftenbeiträge, die unter anderem in der Times publiziert wurden. In ihnen kritisierten sie etwa sogenannte ‚häusliche‘ Gewalt, die in aller Regel Männern den Frauen antun, aber auch von beiden Eltern an Kindern begangen wird. Zudem sprachen sie sich gegen körperliche Strafen von Dieben aus. Hingegen schlugen sie eine „körperliche Züchtigung“ von Männern vor, die „Gewalt gegen Frauen und Kinder“ ausüben. Zugleich analysierten sie diese „Gewalt als Phänomen einer Gesellschaft, die ihrerseits Gewalt ausübt“.

In Fragen der Frauenemanzipation war John Stuart Mill der Autorin zufolge weniger radikal als seine Frau, die „die Situation ihrer Geschlechtsgenossinnen nicht nur verbessern“, sondern Frauen „in jeder Hinsicht auf eine Stufe mit den Männern stellen“ wollte. Er habe hingegen gezögert, das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen zu fordern, da er sie „nicht für reif genug“ gehalten habe, „politische Verantwortung zu übernehmen“. Tatsächlich sprach er sich in seiner Autobiographie allerdings dafür aus, dass alle Menschen das Recht zu wählen und gewählt zu werden haben sollten. Dafür spreche jeder einzelne der Gründe, die dafür vorgebracht werden, es überhaupt jemandem zu gewähren. Auch hat er in den Jahren 1867-1871 als Abgeordneter mehrere Parlamentsreden zum Frauenwahlrecht gehalten.

Glaubt man Meyer, hat Mill entgegen seinem heutigen Image als Verfechter der Frauenrechte eine auch für die damalige Zeit nicht eben progressive Haltung in Fragen des Geschlechterverhältnissen und der Geschlechterrollen vertreten und sei „der Meinung“ gewesen, „Frauen seien als Stellvertreter und Ergänzung des Mannes gedacht und nicht als eigenständige Wesen“. Daher habe er es „richtig“ gefunden, wenn Frauen „ihre Rolle im Haus“ einnehmen. Denn ihre „Aufgabe“ sei es, die Kinder zu erziehen und den Haushalt zu führen“. Kurz: „[A]ls natürliche Sphäre der Frauen“ habe er „Mutterschaft und Kindererziehung“ betrachtet. Daher „sollte[n]“ Frauen auch „nicht mit der Erwerbstätigkeit belastet werden“. Das alles lässt ihn angesichts der gemeinsam mit Taylor Mill verfassten Schriften wohl doch in einem allzu schlechten Licht erscheinen. Harriet Taylor Mill jedenfalls machte sich für die Erwerbstätigkeit der Frauen stark, und hielt der Befürchtung, diese könne die Löhne drücken oder gar Männern den Arbeitsplatz kosten, das Argument entgegen, dass der Arbeitsmarkt entspannt werde, wenn gesetzliche Regelungen gegen Kinderarbeit verabschiedet würden.

1851 erschien in der Westminster Review Taylor Mills vielleicht bedeutendste Publikation The Enfranchisement of Women, die ihre Verfasserin „bis in die heutige Zeit zu einer der wichtigsten Philosophinnen der ersten Frauenbewegung hat werden lassen“. War der Text in der Zeitschrift anonym veröffentlicht worden, so erschienen die gemeinsam mit Mill verfassten Werke allein unter seinem Namen, von Principles of Political Economie, dem „erste[n] große[n] Gemeinschaftsprojekt“ aus dem Jahr 1848 an, über das 1859, also ein Jahr nach Taylor Mills Tod erschienene Buch On Liberty, bis hin zu The Subjection of Women, an dem auch Taylor Mills Tochter Helen einen gehörigen Anteil hatte. John Stuart Mill und Helen Taylor beendeten die Arbeit an dem Text zwar schon 1861, doch erschien er erst 1869, nicht wie Meyer behauptet bereits 1860/61.

Auf dem Titelblatt von On Liberty, das von Harriet Taylor Mill und John Stuart Mill „wohl am stärksten gemeinsam verfasste Werk“, werden zwar nicht beide als VerfasserInnen genannt, doch widmet er das unter seinem Namen erschienene Buch wenigstens „seiner geliebten Frau“ und erklärte, sie sei die „Anregerin und zum Teil Verfasserin des Besten, was in meinen Schriften enthalten ist“.

Die Biographin lässt in ihre eigenen Ausführungen nicht nur längere Zitate einfließen – so etwa über drei Seiten hinweg einen Auszug auch John Stuart Mills Autobiographie –, sondern unterbricht sie auch schon einmal mit vollständig wiedergegebenen Texten wie etwa Harriet Taylor Mills „Vorstudien und Ideensammlung“ zu ihrer späteren Publikation The Enfranchisment of Women, die nicht weniger als 25 Druckseiten des vorliegenden Bandes einnehmen.

Meyer hat ein in mancher Hinsicht informatives Werk über Leben und Werk „eine[r] der bemerkenswertesten Frauen des Jahrhunderts“ verfasst. An die instruktive – und nebenbei bemerkt umfangreichere – „Einführung“ in das gemeinsame Leben und Schaffen von Harriet Taylor Mill und John Stuart Mill im ersten Band der Repräsentativen Ausgabe der Werke von Mill reicht ihre Biographie allerdings nicht heran. Der Band erschien 2012 unter dem Titel Freiheit und Gleichberechtigung und enthält von Harriet Taylor Mill und John Stuart Mill gemeinsam verfasste Werke sowie Taylor Mills frühen Essay Ursprünge von Konformität aus dem Jahr 1832 und ihren Text Über Frauenemanzipation von 1851.

Meyers Biographie ist stilistisch gelegentlich etwas hölzern, was die Lektüre mitunter zu einer gewissen Herausforderung macht. Dies gilt insbesondere für die von Petra Altschuh-Riederer bewerkstelligten Übersetzungen der englischen Zitate und Texte. Auch hätte man manche Formulierung in einem feministischen Buch wie dem vorliegenden nicht erwartet. „[I]m Gegensatz zu dem Verhältnis zu John Stuart, das von Leidenschaft geprägt ist, verbindet sie mit John Taylor eher eine brüderliche Zuneigung“, schreibt Meyer etwa. Wieso brüderlich? Wäre nicht „geschwisterlich“ angemessener? Schließlich war Harriet Taylor Mill eine Frau. Ebenfalls zu monieren ist, dass sich Meyer wiederholt auf „die Forschung“ beruft, ohne ihre Quellen genauer zu benennen.

Titelbild

Ursula I. Meyer: PhilosophinnenLeben: Harriet Taylor Mill.
ein-FACH Verlag, Aachen 2019.
240 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783928089876

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