Graue Filme in Schwarz/Weiß

Der von Hannes Brühwiler herausgegebene Sammelband „The Sound of Fury“ beleuchtet Hollywoods Schwarze Liste und den Film gris

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Als Film Gris (grauer Film) bezeichnete Thom Andersen eine Gruppe von Filmen, die zwischen 1947 und 1951 von Opfern der Schwarzen Liste und ihren künstlerischen Weggefährten gedreht wurden.“ Ihm zufolge standen sie zwar „in der Tradition des Film noir, zeichneten sich aber durch ihren größeren psychologischen und sozialen Realismus aus“, referiert Chris Fujiware in einem Beitrag zu dem Sammelband The Sound of Fury, dessen 10 Essays eben dem Genre des Film gris gelten. Ergänzt werden sie durch ein Interview und ein Gespräch zwischen dem zitierten Filmemacher und seinem Kollegen William E. Jones über das „rote Hollywood“ zur Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Herausgegeben wurde der Band von Hannes Brühwiler, der zugleich eine instruktive Einführung beigesteuert hat. In ihr nimmt er auch die anderthalb Jahrzehnte andauernden  „erbitterten Kämpfe[.] innerhalb der [Film-]Industrie“ in den Blick, die den im Herbst 1947 und 1951 durchgeführten Anhörungen vor dem kurz HUAC genannten House Un-American Activities Committee vorangingen. Wie Brühwiler ausführt, war es den nicht selten in der KPUSA organisierten oder zumindest mit der kommunistischen Partei und ihren Organisationen sympathisierenden Filmschaffenden in der Auseinandersetzung mit den Bossen der Studios in den 1930er und 40er Jahren nicht nur darum gegangen, „bessere Verträge und eine angemessene Vergütung“ zu erkämpfen, „sondern vor allem um mehr Mitspracherecht, um eine größere kreative Kontrolle“. Damit ist es in Hollywood – wie man weiß – allerdings bis heute immer noch nicht weit her.

„Mehrere hundert Filmschaffende“ – KommunistInnen wie auch andere Linke, die schon einige Jahre vor dem Kriegseintritt der USA gegen den Nationalsozialismus eingetreten waren, wurden infolge der HUAC-Anhörungen mit Berufsverboten und einige von ihnen sogar mit Haftstrafen belegt. Unerwähnt bleibt bei Brühwiler allerdings, dass die später sogenannte Blacklist ihren Anfang schon 1946, also ein Jahr vor den Anhörungen, in der von William R. Wilkerson gegründeten Zeitschrift The Hollywood Reporter nahm, in der Wilkerson persönlich etliche Filmschaffende namentlich als StalinistInnen denunzierte. Im Laufe der Zeit, so kann man Brühwiler entnehmen, fanden sich über 150 Namen auf der Schwarzen Liste. Darüber hinaus erhielten „mehrere hundert“ weitere Berufsverbot. Eine „offizielle Abschaffung“ der Liste gab es nie. Zwar verlor sie Ende der 1950er Jahre an Bedeutung, doch wirkte sie noch bis in die 1960er Jahre hinein.

Entscheidend für die Frage, ob Menschen auf der Schwarzen Liste landeten, war nicht zuletzt, ob sie mit dem HUAC kooperierten und KollegInnen als KommunistInnen denunzierten. Begründet wurden die 1947 und dann noch einmal 1951 durchgeführten „Schauprozesse“ und die sich anschließenden Berufsverbote damit, dass „Kommunisten in der Unterhaltungsindustrie […] ahnungslose Zuschauerinnen und Zuschauer täuschen und verführen“ könnten. „[H]eimtückischer“ noch als die ‚offizielle‘ Schwarze Liste, war die sogenannte Graue Liste. Sie wurde von „reaktionären Institutionen“ erstellt, und hatte zur Folge, dass die Betreffenden einfach keine Aufträge mehr erhielten.

Viele der in den vier Jahren zwischen 1947 und 1951 gedrehten Filme an denen DissidentInnen – sei es vor oder hinter der Kamera – mitwirkten, waren „außergewöhnlich“ und gingen als Film gris in die Annalen der Filmgeschichte ein. Nun liegen gerade im englischsprachigen Raum bereits zahlreiche Untersuchungen zu Hollywoods Blacklist vor, doch konzentrieren sie sich bislang vor allem auf die Biographien der Filmschaffenden, die ihr zum Opfer fielen. Der vorliegende Band nimmt hingegen insbesondere eine „repräsentative Auswahl“ der Filme in den Blick, „in denen einerseits mindestens ein Betroffener maßgeblich künstlerischen Anteil innehatte […] und die sich andererseits durch einen gesellschaftskritischen Ansatz auszeichnen“. Da  Filme aus den Jahren 1936 bis 1960 beleuchtet werden, reicht er zeitlich über die eigentlichen vier Jahre des Film gris hinaus. So gelingt es ihm zu zeigen, dass entgegen der in der Forschung verbreiteten Auffassung, „die Schwarze Liste habe kaum Auswirkungen auf das amerikanische Kino gehabt“, „sehr wohl etwas verloren ging“.

Neben den längeren Texten bietet der Band 15 kürzere Beiträge zu heute weithin vergessenen Filmen des Genres sowie 56 „Kurzporträts“ mit den „wichtigste[n] biographischen Daten“ der „zentralen Opfer[.]“ der Blacklist. Von den 15 Filmen, die in den kürzeren Texten behandelt werden, stechen vor allem drei hervor: Der 1942 in die Kinos gelangte und von Patrick Holzapfel vorgestellte Film Native Land. Er zählt, „wie verschiedene Mächte auf brutale Art das Zusammenkommen der Arbeitergewerkschaften in den 1930er Jahren durchkreuzen“. Sodann der antifaschistische Film None Shall Escape, der 1943 einen Blick in die Zukunft der Nachkriegszeit warf und exemplarisch einem SS-Mann den Prozess machte. Wie Simon Rothöhler erläutert, zeigt er so, was man über die Nazi-Verbrechen wissen konnte „und wann man es wissen konnte“. Last but not least, ja eigentlich an erster Stelle zu nennen ist der bereits 1937 entstandene Prostitutionsfilm Marked Women, dessen Protagonistinnen ihren Zuhälter ins Gefängnis bringen und der dennoch auf ein sich „anbietende[s| kitschige[s] Happy End“ verzichtet, wie Maurice Lahde anmerkt.

Die ausführlicheren Beiträge sind sowohl inhaltlich wie sprachlich von recht unterschiedlicher Qualität. Wolf-Eckard Bühlers Text über den Regisseur Irving Lerner nimmt sich etwa über weite Strecken wie ein selbstverliebter Monolog des Autors aus, bei dem er sich an seinen mal aparten, mal paradoxen Formulierungen ergötzt. Wenn er angesichts seiner Feststellung „Lerner filmt die Menschen so, als ob sie Menschen seien“, einräumt: „Das kling sehr nach Bonmont und Leerformel“, so trifft dies auf etliche seiner Sätze zu. Auch relativiert er diverse seiner Aussagen noch im selben Atemzug oder nimmt sie gleich ganz zurück. Dabei hat er durchaus auch Interessantes über Lerners Filme zu sagen, nämlich dass sie, wie er in seiner typisch paradoxen Weise formuliert, „Geschichten […] erzählen, ohne sie zu erzählen“. Das klingt ganz nach einer dieser „Leerformeln“. Dann aber erläutert Bühler, was er meint und das ist durchaus erhellend: „das heißt: es zählen nur noch Cadragen, Einstellungen, Sequenzen usf. ihre immanente Notwendigkeit, aber unter Ausschluß der Notwendigkeit ihrer Verknüpfung miteinander; es zählen Montagen, bestimmte Schnitte, Blenden, Reißschwenks usf., aber es interessiert nicht, was sie verbindet. Alles zersplittert in Einzelteil, ohne, daß eine Notwendigkeit dafür einsichtig würde.“ Dennoch hätte gut auf seinen Text verzichtet werden können, zumal es sich nicht um einen Originalbeitrag handelt, sondern er bereits 1981 in der Zeitschrift Filmkritik veröffentlicht wurde.

Ohne alle stilistischen Sperenzchen und insgesamt weit instruktiver ist Stefan Ripplingers Beitrag, der sich ausführlich mit dem 1954 entstandenen Film Salt of the Earth befasst, von dem der Autor aus guten Gründen sehr angetan ist. Wie kein anderer der in dem Band behandelten Filme ist Salt of the Earth noch immer im kulturellen Gedächtnis präsent. Und er ist nach wie vor hochaktuell, prangert er doch die Ausbeutung und Unterdrückung der Menschen entlang der Triade Race, Class und Gender an. Dabei nimmt er „vorzugsweise“ die Perspektive der Bergarbeiterfrau Esparanza ein, beschränkt sich allerdings „ansonsten“ auf eine „schlichte, dokumentarische Sichtweise“. In einem Close Reading vor allem der Eingangssequenz erzählt Ripplinger den Film anhand von dessen Bildsprache nach. Handelt es sich bei Salt of the Earth um eines der Glanzlichter des Film gris, so bei Ripplingers Analyse des Films um eines des vorliegenden Bandes.

Nicht einem bestimmten Film, sondern einer Person wendet sich Lukas Foerster zu, der einen nicht unkritischen Blick auf „Hannah Weinstein und ihr Engagement für Blacklistopfer“ wirft. Die Produzentin „etablierte fürs britische Privatfernsehen, […] eine Art Schattenwirtschaft, die einer ganzen Reihe verfemter Autorinnen und Autoren Unterschlupf bot“. Hierzu schuf sie eine „hochprofessionelle klandestine Organisation“ und ebenso „klandestine Kanäle zwischen den USA und Europa und nutzte ein professionell aufgezogenes System falscher Identitäten“. Allerdings wurde sie von „einigen ihrer engste[n] Vertrauten“ nicht nur als „Beschützerin“ der AutorInnen beschrieben, sondern auch als deren „Ausbeuterin“.

Zwei außergewöhnlichen Filmen mit dem Schauspieler Sterling Hayden wendet sich Gina Telaroli zu: Craig’s Wife (1936) „von Hollywoods meistbeschäftige[r] Regisseurin Dorothy Arzner“ und Johnny Guitar (1954), bei dem die „unnachahmliche Joan Crawford […] die Produktion selbst in die Hand [nahm]“ und „verlangte, dass ihre Rolle und das Drehbuch umgeschrieben würden, sodass ihre Figur wichtiger wurde als die titelgebende Sterling Haydens“. Außergewöhnlich sind die Filme, weil sie ganz entgegen den Gepflogenheiten Hollywoods und auch des Film gris von „starken Frauen [handeln] – stärker als es eine sittsame Gesellschaft für angemessen hielt“.

Chris Fujiwara wendet sich nicht starken Frauenfiguren zu, sondern stellt Telarolis Beitrag mit seiner Analyse von drei „Schlüsselfilmen“ des Film gris aus dem Jahr 1951 eine „Kritik der Männlichkeit“ zur Seite. Es geht um The Sound of Fury, The Prowler und He Ran All the Way. In seinem instruktiven Beitrag zeigt Fujiwara nicht zuletzt anhand von Einstellungen, der Kameraführung und der Bildsprache, dass die Sozialkritik der Filme „auf Vorstellungen von Männlichkeit und männlichen Ansprüche ab[zielt], die mit einem populären Verständnis des amerikanischen Traums verbunden“ sind, der selbst wieder „geschlechtsspezifische[r] Natur“ und „mit stereotype[n] Vorstellungen von Männlichkeit [verbunden]“ ist. Ein Traum mithin, der von einem Mann geträumt wird und in dem die Frau „nur als Symbol“ existiert. „Die sichtbarste Bedrohung für die Männlichkeitskonstruktionen der Helden [in den drei genannten Filmen, RL] sind Frauen“, die sie „in die Falle der Häuslichkeit [locken]“ und deren „Fruchtbarkeit […] eine monströse Kraft“ ist, welche „die Helden zu verschlingen droht und sie auf unausgereifte Impulse und auf Wehklagen reduziert“ .

Brühwilers Sammelband zum Film gris macht nicht nur auf eine Reihe zu Unrecht vergessener Filme des Genres aufmerksam, sondern bietet auch einige instruktive Beiträge zu der Schwarzen Liste Hollywoods und wie es betroffenen Filmschaffenden dennoch gelang, unter den widrigsten Bedingungen manchen sozialkritischen Film ins Werk zu setzen.

Titelbild

Hannes Brühwiler: The Sound of Fury. Hollywoods Schwarze Liste.
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2020.
280 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783865053350

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