Getrieben wider Willen

Lucien DeLongs Debütroman „Ein Dieb – Bekenntnisse“ gibt Einblick in die Psyche eines Meisterdiebes – spannend, aber holprig

Von Ksenia GorbunovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ksenia Gorbunova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im kleinen, unscheinbaren und eigentlich auf Rockmusik spezialisierten Phantom Verlag erschien 2017 Lucien DeLongs Debütroman Ein Dieb – Bekenntnisse. Unter diesem Titel mag man sofort eine Mischung aus Thriller und psychologischer Studie vermuten. Wozu bekennt sich der titelgebende Dieb? Sollte man von dieser Geschichte die Lebensbeichte eines Kriminellen erwarten, gar seine Neubesinnung oder Reue? Eins steht fest: Der Dieb hat keinerlei Skrupel bei der Festnahme, über Moral macht er sich kaum Gedanken. So, wie er sein ganzes Leben lang von einem Raubüberfall zum nächsten hetzt, scheint ihm dieses Getriebensein eine vollere, lebenswertere Existenz zu sein als das kleinbürgerliche Ideal aus Karriere, Familie und Kindern.

Die namenlose Hauptfigur ist kein gewöhnlicher Geschichtenerzähler. Er schlägt keine formalen Haken, erzählt stringent von vorne bis hinten, rückblickend, aus einer Gefängniszelle. So viel wird nämlich gleich zu Beginn verraten: Der Meisterdieb wird verhaftet. Geleitet von der Frage, wie es dazu kam, schreibt er seine Lebensgeschichte auf, vom ersten Diebstahl 1987 bis zur Festnahme. Seine Belesenheit verhilft ihm leider nicht unbedingt zu einer ausdrucksvolleren Sprache. Er wankt von einem Klischee zum anderen, verhaspelt sich in redundanten Aufzählungen und schiefen Metaphern, dass es beizeiten mühsam ist, ihm zu folgen. Doch was für ihn von Anfang an einnimmt, ist das Mitleid für die Ausweglosigkeit in seinem Berufs- und Privatleben.

In einer deutschen Kleinstadt fristet er ein 08/15-Dasein mit Identifikationspotenzial und ist in seinem Job im Reprostudio völlig unterfordert. Seinen Alltag prägen Hilflosigkeit und der Wunsch, aus dieser Monotonie auszubrechen. Der Ausbruch – der erste Diebstahl – gelingt überraschend dank einer zufälligen Gelegenheit. Der Ablauf ist ihm peinlich, schließlich kennt er Überfälle nur aus schlechten Filmen.

Zuerst scheint der Protagonist aus einer stereotypen Vorstellung über Büro-Tristesse in die nächste über Sex, Drugs and Glamour gestolpert zu sein. Sympathie weckt er mit seinem Verhalten nicht gerade, wenn er selbstgefällig von seiner Anziehung auf „verfügbares Weiberzeug“ erzählt. Hoffentlich lernt er zum Schluss, dass Frauen nicht nur Objekte sind, denkt man sich schaudernd bei der Lektüre. Doch auch dieses „geilen“ Lebens in Strandparadiesen wird er bald überdrüssig…

Vor allem in vereinzelten psychologischen Beobachtungen und in den metanarrativen Überlegungen liegen die Stärken des Romans. Der Meisterdieb ist sich bewusst, dass er einem durch Krimis romantisierten Dasein in professioneller Kriminalität nachjagt. Irgendwann muss die Desillusionierung folgen, wenn er erkennt, dass seine Realität nichts mehr mit den coolen Film- und Bücherhelden zu tun hat, die er in allem imitiert. Mit den Vorbildern verliert er auch die Orientierung, die er in zwei tiefergehenden Beziehungen sucht, zuerst mit einer verheirateten Frau, später mit einer alleinerziehenden Mutter. Sein Lernprozess auf dem Weg zum Meisterdieb führt ihn von fiktionalen zu faktualen Narrativen und aus der luxuriösen Casino-Welt zurück ins Kleinbürgertum, das ihm einst so verhasst war. Schließlich handelt es sich jedoch auch bei seinen „Bekenntnissen“ um eine naive Romantisierung, der teilweise die Authentizität fehlt. DeLong verzichtet auf präzise und atmosphärische Details, doch genau sie hätten der Hauptfigur und den Beschreibungen der Raubzüge mehr Glaubwürdigkeit verliehen.

Der Roman verliert in der zweiten Hälfte an Tempo, was der Handlung guttut. Die Hauptfigur pirscht durch das gleichermaßen ausschweifende und vom sozialen Verzicht gezeichnete Leben eines Diebes, stets auf der Suche nach der nächsten Raubmöglichkeit und dem nächsten vielfach gelesenen Topos. In der Eile verschmelzen die Figuren charakterlos und die Orte stimmungslos ineinander. Die Handlung wirkt genauso oberflächlich wie die Auseinandersetzung des Protagonisten mit seinen Auslandserfahrungen in vermeintlichen Paradiesen. Erst als er nacheinander die zwei wichtigsten Frauen in seinem Leben kennen lernt, kommt er zu vorübergehender Ruhe und Sesshaftigkeit. Auch beim Erzählen lässt sich DeLong nun mehr Zeit, um szenisch in den Situationen zu verweilen, längere Dialoge zu schildern und die zwischenmenschlichen Nuancen auf die Leserschaft wirken zu lassen, anstatt sie urteilend vorwegzunehmen oder erzählerisch komplett vorzuenthalten.

In der ersten Romanhälfte behauptet der Meisterdieb viel von seinem Leben, in der zweiten hingegen zeigt er es. Seine Weltgewandtheit und das Kulturinteresse enttarnt der Schreibstil als vorgetäuscht, als eine bloße Fassade, um Eindruck zu schinden. So wie seine falschen Identitäten mit ein paar Fragen enttarnt werden, kommen auch bei den beschriebenen Abenteuern bei genauerem Hinsehen Zweifel auf: Hat der Protagonist alles wirklich so erlebt oder dichtet er sich einfach ein Leben zusammen, das er aus den spannenden Krimis kennt?

Titelbild

Lucien DeLong: Ein Dieb - Bekenntnisse.
Phantom Verlag, Berlin 2017.
143 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783927447073

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