Verkannte Hunde bekannter Halter

In „Schlafende Hunde“ stellt Anja Rützel die Beziehung prominenter Frauchen und Herrchen zu ihren Haustieren vor

Von Simone HackeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Hacke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder kennt die berühmten Personen, die Anja Rützel in ihrem Buch Schlafende Hunde beleuchtet, doch wer kennt die treuen Vierbeiner an ihrer Seite, die sie durch ihr ereignisreiches Leben begleitet haben. Selbst bei der britischen Königin, die man sofort mit ihrer Corgi-Meute in Verbindung bringt, wollen einem spontan keine Individuen, geschweige denn deren Namen einfallen. Anja Rützel widmet sich in ihrem neuen Buch nun beiden – den bekannten Menschen und ihren pelzigen Begleitern im Hintergrund – und geht dabei der Frage nach, wie die verschiedenen Hunde das Leben ihrer Besitzer prägten. Gleichzeitig zeigt die Autorin auf, wie die Hunde ihren Menschen den redensartlichen Spiegel vorhalten und dabei helfen können, die VIPs in einem ganz neuen Licht zu sehen: „Hunde zeigen, wer wir wirklich sind. Sie erschnüffeln in uns die Dinge, die wir vielleicht selbst nicht über uns wissen, sie apportieren Verdrängtes und Verstecktes.“

Die zehn Prominenten und ihre Hundebeziehung, die Anja Rützel dabei ausgewählt hat, lassen sich in vier Kategorien einteilen:

1. „Pets before people“: Zu dieser Kategorie zählen Arthur Schopenhauer und Sigmund Freud. Sowohl beim deutschen Philosophen als auch beim österreichischen Begründer der Psychoanalyse wurde die Tierliebe durch eine Desillusionierung gegenüber den Menschen ausgelöst. Während die Menschen ständig reflektieren, taktieren und über abstrakte Motive nachdenken, lebe der Hund laut Schopenhauer ganz in der Gegenwart und könne auf diese Weise als eine Art Achtsamkeitscoach fungieren. Laut Freud waren die Vorteile des Hundes, dass dieser im Vergleich zum Menschen Liebe ohne Ambivalenz empfinden könne, ein einfaches Leben ohne die Konflikte der Gesellschaft führe und somit eine Existenz besitze, die vollkommen in sich ruhe. Was dazu führte, dass Schopenhauer und Freud sich lieber mit ihren vierbeinigen statt zweibeinigen Freunden umgaben. Freud setzte seinen Chow Chow Jofi sogar bei seinen Analysesitzungen als Assistenten ein und begründete damit das Therapiehund-Konzept.

2. Hunde als „Pelzmusen“: Dies war die Hauptintention für Pablo Picasso und Richard Wagner, einen Hund in ihr Leben zu lassen. Vor allem Picasso, den Anja Rützel als „Polykynogamisten“ vorstellt, hatte die Neigung, viele Hunde zu lieben und sie in seinen Bildern zu verewigen, diese dann allerdings genauso schnell wieder zu wechseln, wenn sie ihre Aufgabe als Inspirationsquelle nicht mehr erfüllten. Der Dackel mit dem Namen Lump, der eigentlich dem Fotografen Douglas Duncan gehörte, war nach einem Besuch seines Herrchens einfach bei dem Maler geblieben. Zwar herrschte zwischen Picasso und Lump im Vergleich zu anderen Tieren ein ganz besonders enges Verhältnis –­ so war der Dackel der einzige Hund, den Picasso auf den Arm nahm –, als Lump jedoch krank wurde und somit zur Last, ließ Picasso ihn ohne Weiteres zurück und ersetzte ihn durch eine neue „Pelzmuse“. Somit haben nicht alle Geschichten, die Anja Rützel in ihrem Buch erzählt, ein Happy End, und das gilt in besonderem Maße für die Vertreter der dritten Kategorie.

3. Hunde als Kinder- und Familienersatz: Dies trifft vor allem auf Marilyn Monroe zu, deren Verhältnis zu ihrem Hund Maf von einer gewissen Traurigkeit geprägt war. In ihrer Beziehung zu Hunden spiegelte sich laut Rützel die traurige Kindheit der Schauspielerin und das schlechte Verhältnis zu vielen Menschen, denen sie Zeit ihres Lebens begegnet war. So sagte Monroe über die schmerzlichen Erfahrungen in ihrem Leben: „Dogs never bite me. Just humans.“ Doch auch der kleine weiße Hund Maf, den Marilyn Monroe von Frank Sinatra bekommen hatte, konnte sie am Ende nicht vor sich selbst retten. In diese etwas traurige Kategorie sind darüber hinaus die amerikanische Kunstsammlerin Peggy Guggenheim und der Preußenkönig Friedrich II. einzuordnen. Vor allem Friedrich II., der als Kind sehr unter seinem strengen Vater zu leiden hatte, flüchtete sich, als er älter wurde, in die Beziehung zu Tieren. Teilweise nahm die Tierliebe der berühmten Personen auch recht groteske Züge an, wenn etwa die Besitzer Briefe, Geburtstags- oder Weihnachtskarten im Namen ihrer Hunde verfassten. Bei Friedrich II. kittete solch ein Briefwechsel zwischen seinem Windspiel (= Whippet) und dem Zwergspaniel seiner Schwester sogar das durch einen Streit zerrüttete Verhältnis zwischen den beiden Hundebesitzern.

4. Hunde als treue Begleiter und beste Freunde: In diese klassische Kategorie fallen der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, Queen Elizabeth II. und der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill. Während die Liebe der ersten beiden Prominenten den Corgis gilt, besaß Winston Churchill, bei dem viele wohl zuerst an die Metapher des „schwarzen Hundes“ denken, die häufig in Zusammenhang mit seiner möglichen Depression genannt wird, braune Zwergpudel. Sein Zwergpudel Rufus begleitete Churchill als treuer Freund durch den 2. Weltkrieg und kam sogar mit zu einem Treffen in den Cabinet War Rooms, der geheimen Kommandozentrale der britischen Kriegsführung.

Das Kapitel über die „Liebesgeschichte“ der britischen Königin und ihrer Corgis ist mit 43 Seiten fast doppelt so lang wie die übrigen. Dies ist vermutlich der großen Anzahl an Hunden geschuldet, die Queen Elizabeth II. in ihrem Leben besaß. Zeitweilig umfasste das Corgi-Rudel 13 Individuen, die ihr als „moving carpet“ durch das ganze Schloss folgten. Als wichtigsten Corgi der Queen stellt Anja Rützel Susan vor, von der die gesamte royale Corgi-Dynastie – insgesamt 14 Generationen –, die Elizabeth II. sogar selbst züchtete, abstammt. Dass für die britische Monarchin die Corgis eine so bedeutende Rolle in ihrem Leben einnahmen, führt die Autorin darauf zurück, dass die Königin unter anderen Menschen nie so sein könne, wie sie wirklich ist, da sie stets an die höfische Etikette gebunden bleibe. Ihre Corgis hingegen behandeln sie wie jeden Menschen: „Sie wedeln, ohne zu wissen, dass ihr Lieblingsmensch eine Krone trägt.“ Dies ist der Punkt, der alle zehn Geschichten miteinander verbindet, denn Hunde wirken laut Anja Rützel als die größten Gleichmacher. Es sei ihnen egal, ob es sich bei ihrem Herrchen oder Frauchen um einen bedeutenden Denker, Weltstar, Premierminister oder eben eine Königin handle.

Anja Rützel schildert in ihrem Buch somit nicht nur lustige, sondern auch traurige, rührende und nachdenklich stimmende Geschichten. Häufig beschreibt sie dabei Gemälde oder Fotos der Besitzer mit ihren Hunden, die leider nicht abgedruckt sind. Es lohnt sich also beim Lesen, immer eine Online-Bildersuche parat zu haben, um die entsprechenden Bilder nachrecherchieren zu können. Dafür finden sich zehn schöne und sehr lebensechte Porträts der Hundeprotagonisten zu Beginn der jeweiligen Kapitel, die von der Autorin selbst gemalt wurden. Innerhalb des Buches werden außerdem weitere sehr interessante Leseempfehlungen für Hundebegeisterte gegeben, sodass man gleich nach Beendigung von Schlafende Hunde zum nächsten Buch – etwa dem Bildband Picasso & Lump: A Dachshund’s Odyssey von Douglas Duncan – greifen kann.

Auch die Recherchepraktiken Rützels seien an dieser Stelle lobend hervorgehoben, die nicht nur historische Quellen wie Briefwechsel, Autobiographien oder Tagebücher heranzieht, sondern in Detektivmanier den Spuren der verstorbenen Hunde auf französischen Tierfriedhöfen und in englischen Palastgärten nachgeht. Auch auf dieser Gräberrundreise erfährt die Autorin viel über das Verhältnis zwischen Hund und Besitzer, die sich zum Teil sogar zusammen mit ihren pelzigen Familienmitgliedern begraben lassen wollten oder diesen in ergreifenden Grabinschriften ihre Liebe offenbarten.

Anja Rützel hat versucht, in ihrem Buch vielfältige Hund-Mensch-Beziehungen aufzuzeigen – nicht nur den klischeehaften „besten Freund des Menschen“ – und lässt auch Geschichten, in denen diese Beziehung kein gutes Ende nahm, nicht aus. In die zehn „Liebesgeschichten“ werden auch nette Anekdoten über andere berühmte Hundebesitzer wie Napoleon Bonaparte, Barbara Streisand, Thomas Mann, Queen Victoria, Otto von Bismarck oder John F. Kennedy eingebunden. Über einige davon hätte man sich direkt ein eigenes Kapitel gewünscht. Amüsant sind darüber hinaus die kurzen Episoden, in denen die Autorin über das Zusammenleben mit ihrem eigenen Hund Juri oder anderen Erfahrungen und Erlebnissen rund um das Thema Hund berichtet, was das ganze Buch sehr persönlich erscheinen lässt.

Ich selbst als großer Anja Rützel-Fan wurde auch von diesem Buch nicht enttäuscht, in dem die Autorin mit ausgefallenen Vergleichen und grandiosen Wortneuschöpfungen (Pelzmuse, schweinös oder Gassi-Gossiper, um nur einige zu nennen) dem Leser humorvoll und berührend zugleich zehn berühmte Personen über deren Beziehung zu ihren Hunden näher bringt. Anstatt die Hunde zu vermenschlichen werden die bekannten, sonst so unnahbar scheinenden Prominenten durch ihre Hunde vermenschlicht und ihre verschmusten Seiten ebenso offenbart wie ihre Verletzlichkeit. Zugleich wecken die kurzen Geschichten auch die Neugier, noch mehr über das Leben dieser berühmten Menschen zu erfahren, denen so viele Hunde ihre bedingungslose Liebe schenkten.

Titelbild

Anja Rützel: Schlafende Hunde. Berühmte Menschen und ihre Haustiere – zehn Liebesgeschichten.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
272 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783462052329

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