Die besseren Götter erschaffen Gärten

Lilian Rogarts „A Thing of Beauty“ brilliert mit der ambivalenten, vielschichtigen Darstellung von Showbiz und Gartenkunst

Von Ksenia GorbunovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ksenia Gorbunova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Charles Rice hat gerade sein Studium absolviert. Sein Leben ist vorbestimmt. Eine Karriere als Anwalt, danach die Übernahme der Kanzlei seines Vaters. Doch bevor es richtig mit dem Berufsleben losgeht, möchte er die Welt bereisen. Dabei berührt ihn kein Ort so sehr, wie die Gartenanlage von Frances Dean auf ihrem Anwesen Ffrangcon Court. Frances ist eine ehemalige Freundin seiner Eltern, mit der die Familie nach einem Zerwürfnis seit 20 Jahren keinen Kontakt hat. Damals verhalf Frances als Managerin zwei Rockbands zu außerordentlichem Erfolg. Der exaltierte Lebensstil in der Musikszene stimmte vermeintlich nicht mit dem bürgerlichen Weltbild von Charles‘ Eltern überein. Als Charles Frances nach all den Jahren anschreibt und besucht, ist es für ihn mehr als die Gelegenheit zu erfahren, was zwischen Frances und seinen Eltern wirklich vorgefallen war. Es ist auch der Anfang einer aufrichtigen, ungewöhnlichen Freundschaft, dank der er lernt, die paradoxen Aspekte menschlicher Persönlichkeiten wertzuschätzen und nicht gegeneinander auszuschließen.

Genauso wie Charles nach und nach Frances‘ ambivalente Charakterzüge erkundet, so lässt sich auch Lilian Rogart Zeit damit, die Themen des Romans zu entfalten. Als Ausgangspunkt für die Handlung fungiert Frances‘ Garten. Es ist das erste, was Charles von dieser faszinierenden Frau kennenlernt, und auch der Grund dafür, dass er sie zuerst als abgeschottet in ihrem eigens geschaffenen Paradies zur Ruhe gekommene, alternde Musiklegende begreift. Dieser erste Eindruck ist keinesfalls trügerisch, sondern lediglich eine Facette von Frances, und der Garten ist äquivalent dazu die erste Ebene des feingliedrigen Netzes, das die Handlung zusammenhält.

Der Anfang zieht sich ein wenig hin: Die Gartenbeschreibungen scheinen kein Ende zu nehmen. Farbnennungen werden vermischt mit Metaphern der Erotik und Macht. Gebieten oder beherrscht werden, verführen oder sich hingeben: Charles kann die vielen Farben und Eindrücke nicht genau zuordnen, doch er bemerkt die klaren Hierarchien im Garten. Mit jedem neuen Gartenbereich eröffnet sich immer mehr der Reigen um Aufmerksamkeit und Zuwendung. Charles‘ Zugang zu dem vielschichtigen Gartenerlebnis beschränkt sich zunächst auf das visuelle Wahrnehmen. Der Geruchssinn ebenso wie die taktile Erfahrung der Wanderung durch das ausladende Grundstück bleiben außen vor. Das verleiht dem anfänglichen Erleben des Gartens eine interessante Distanz, als würde Charles den Garten nicht durchschreiten, sondern ihn auf einem Gemälde bewundern. Erst nach einem längeren Aufenthalt beginnt er den Garten mit allen Sinnen aufzunehmen. In einer eindrucksvollen Passage reflektiert er den damit einhergehenden buchstäblichen Sinneswandel, die Entautomatisierung seiner Wahrnehmung, und entwickelt eine besondere Sensibilität für die körperliche Erfahrung des augenblicklichen Daseins in der Umwelt.

Der Blick des Gartenkenners, des Journalisten Pendrick, fügt Frances‘ Garten eine weitere Bedeutungsebene hinzu. Pendrick ist der erste Pressevertreter, den Frances in Ffrangcon hineinlässt. Er ist gewissermaßen der Vorbote dessen, dass Frances‘ Welt nicht für immer auf ihr Grundstück begrenzt bleibt. Die Perspektive von Charles ist die einer reagierenden Person, die sich im Zeichenmeer der Flora verliert und auf ihre Fülle lediglich mit emotionaler Überforderung reagieren kann. Pendrick wiederum nimmt die Rolle des agierenden Interpreten im Garten ein. Er versteht alle Referenzen, begreift den Garten in all seinen Aspekten als Gesamtkunstwerk. Im Gespräch zwischen Frances und Pendrick legt Rogart gekonnt die nächste Spur, der die Handlung folgt. Sie führt an Fragen der Kunst und der Schöpfung heran, zieht den Vergleich von Frances‘ künstlich geschaffenem Garten mit Eden. Pendrick hebt hervor, dass die Exzellenz von Frances‘ Anlage darin bestehe, dass sie nicht perfekt gestaltet sei. Gärtner seien die besseren Götter, wenn sie verstünden, dass das Paradies in seiner Perfektion langweilig wäre.

Der Garten ist allerdings nichts Statisches, bei dem es gilt, den Status quo zu erhalten. Einmal geschaffen, müssen immer wieder neue Wagnisse eingegangen werden. Diese Beobachtungen deuten auf die nächste Plotentwicklung hin: Frances lernt eine junge Sängerin kennen, die in ihr den Wunsch entfacht, in das Musikgeschäft zurückzukehren und wieder ihr Glück als Managerin in einem ausbeuterischen System zu versuchen. Die Vermittlung zwischen den auf Profit ausgerichteten Plattenfirmen und der Musikerin kostet Frances viel Kraft. Die Sängerin meint, ihre Musik verliere durch Vermarktung ihre Seele, den wesentlichen Kern der von ihr hineingelegten Emotionen. Doch die Kunstschaffenden sind auf Geld angewiesen, um zu überleben. Ebenso ist die Presse auf Skandale angewiesen: Zwischen den Berichten über komplette Desaster und himmelhohe Erfolge gibt es kein Mittelfeld. Die unerfahrene Musikerin ringt mit ihrem öffentlichen, von der Presse erschaffenen Image. Frances hingegen beherrscht das Spiel schon längst. Für sie hat sich die Frage nach der wahren Identität erübrigt: Sie ist vieles und lässt sich nicht auf gesellschaftliche Kategorien beschränken. Die Art, wie Charles diese starke Position von Frances in all ihren Konsequenzen mitbekommt, ergreift beim Lesen mehr als alles andere. Die Figuren wachsen einem ans Herz, ohne dass man die kritische Distanz zu ihnen verliert. Denn Charles bleibt außen vor, weil er als „spießiger Anwalt“ doch einem anderen sozialen Gefüge angehört, wenngleich seine emotionale Sensibilität ihn zu einem ausgezeichneten Chronisten von Frances Deans Leben macht.

Rogart schafft es, unterschiedliche Themen in ihrer Vielschichtigkeit offenzulegen, Charaktere aufzubauen, die sympathisch sind und mit denen man mitempfindet. Der Abschied am Ende des Romans fühlt sich an wie der Abschied von liebgewonnenen Freunden – man ist traurig und zugleich dankbar für die Zeit, die man zusammen hatte. 

Titelbild

Lilian Rogart: A Thing of Beauty.
Phantom Verlag, Berlin 2019.
246 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783927447080

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