Pop‘s not dead

Die Literaturzeitschrift „schliff“ haucht in ihrer 10. Ausgabe dem Thema Pop neues Leben ein

Von Manfred RothRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Roth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von Kathrin Schuchmann am Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität Köln herausgegebene Literaturzeitschrift schliff befasst sich in der 10. Ausgabe mit dem Thema Pop und versammelt aktuelle Arbeiten aus den Bereichen Lyrik und Prosa, etwa von Marcel Beyer, Kerstin Preiwuß oder Nadja Küchenmeister, grafische Arbeiten von Andreas Erb, Gunter Ruckes und anderen, ein Interview mit Thomas Meinecke sowie theoretische Aufsätze, beispielsweise über Christian Kracht und Rainald Goetz. Dazu allgemeinere Aufsätze zum Thema Pop von Heinz Drügh, Hans Platzgumer und anderen. Gerade an ihnen zeigt sich, wie unterschiedlich der Begriff „Pop“ aufgefasst werden kann.

In Hans Platzgumers Essay Die hyperventilierende Gesellschaft kommt vielleicht die landläufigste Vorstellung von Pop zum Ausdruck. Bei ihm sind politischer Populismus und Popmusik eng miteinander verknüpft, wobei Popmusik im Gegensatz zu anderen Musikrichtungen, die aus einem Aufbegehren gegen einen etablierten Konsens entstanden sind, eher gefällig sei, selten zwingend und auf Neues drängend, sondern im Gegenteil, sie verfestige das Machtgefüge in Konsumgesellschaften noch. Ausgehend davon liegt es vielleicht nahe anzunehmen, dass auch in Bezug auf Literatur „Pop“ heute ein eher etabliertes Genre zu bezeichnen scheint; die Sprengkraft von Rainald Goetz‘ Aufsehen erregendem Auftritt in Klagenfurt 1983 ist längst passé und hat einer Art Erinnerungsprosa hart an der Grenze zum Nostalgie-Kitsch Platz gemacht hat – Pop ist heute womöglich eher Geplänkel als Furor.

Dass man Pop aber mit einer Verkürzung aufs und Analogie zum Genre der Popmusik nicht gerecht wird, dass er auch weitaus komplexer und insofern gewinnbringender von seinen Stilmitteln und Verfahrensweisen her gedacht, ja ihm sogar eine subversive Kraft inne wohnen kann, die man bei all seinem Bekenntnis zur Oberfläche nur leicht übersieht, beweist diese Ausgabe von schliff.

Vor allem das eingangs bereits erwähnte Interview, das Charlotte Jaekel mit Thomas Meinecke führte, liefert dabei ein mögliches Instrumentarium, wie man sich Pop(texten) nähern kann, indem Meinecke auf viele Verfahrensweisen zu sprechen kommt, die in den literarischen Texten Anwendung finden, etwa das Collagieren, Zitieren, Archivieren, die Ich-Figurationen, bei denen die Grenzen zwischen Autor und Erzähler, Fakt und Fiktion aufweichen. Darüber hinaus ist dieses Interview auch Vermittler zwischen fiktionalen und theoretischen Arbeiten, indem Meinecke Theorie und Erzählen, Wirkliches und Erfundenes als Aspekte von Pop kennzeichnet, die fließend ineinander übergehen, ja dass das Interview selbst seit Andy Warhol Ausdruck von Pop sei, sodass mehr die Mittel als der Gegenstand sein Wesen ausmachen. Tatsächlich erweitert gerade dieses Interview mit Meinecke, aber auch etwa Heinz Drüghs Mmes. Maisel &. Moshfegh, den Blick vor allem auf die Prosatexte, denn während bei der Lyrik oft deutlich wird, dass „Pop“ eben nicht (nur) Popmusik bedeutet, scheint ein Großteil der Prosa zunächst alle Vorurteile, die man seit Benjamin von Stuckrad-Barres Soloalbum oder Bret Easton Ellis American Psycho von Pop haben mag, zu bestätigen, vom fetischhaften Aufzählen von Markennamen über den Dauerbeschuss mit Zitaten aus Popsongs.

Dass aber auch in ihnen mehr steckt, als manchmal auf den ersten Blick scheinen mag, wird besonders an Nadja Küchenmeisters Still I dream of it deutlich. Die Absatzüberschriften sind Zitate aus Popsongs und der Text scheint zunächst eine Art Soundtrack-of-my-Life für die nicht mehr ganz Jungen, wenn auch noch nicht so richtig Alten zu sein. Doch wie im Grunde alle hier versammelten Prosatexte tappt auch Still I dream of it nicht in die Falle nostalgischer Kindheits- und Jugendverklärung. Während eine kritische Distanz bei anderen im Band abgedruckten Texten oft durch ironische Brechung erzielt wird, geht Küchenmeister den umgekehrten Weg: die ursprüngliche Abwehrhaltung des Ichs zu den heute als peinlich empfundenen Geschmacksverirrungen der Pop-Sozialisation wird allmählich aufgegeben, zugunsten der Erkenntnis, dass auch sie einen zu der gemacht hat, die man ist. Zunächst scheint Küchenmeister mit den zahlreichen Zitaten aus Popsongs, den Verweisen auf Fernsehserien und Bands der späten 1980er- und 1990er-Jahren, der intertextuellen Bezugnahme etwa auf Roland Barthes alles aufzufahren, was man von einem Pop-Text erwartet und doch zelebriert Still I dream of it eben nicht nur die Oberfläche, wenn man beispielsweise unvermittelt und ohne weitere Erklärung auf Sätze stößt wie: „Und dann lebten in einer Wohnung, in der vorher vier Personen, ein Hund, eine Katze und ein Hamster gelebt hatten, nur noch zwei Personen, ein Hund, eine Katze und zwei neue Hamster.“ und sich plötzlich, trotz des beiläufigen Plaudertons und der vielen Haustiere eine Traurigkeit breitmacht, ohne dass man genau erführe, wieso. Still I dream of it ist insofern ein interessanter Pop-Prosatext, als er zunächst scheinbar alles liefert, was man von Pop erwartet, sich diese Popaffirmation aber einerseits in einem Prozess erst erarbeitet, während er hin und wieder eine Tiefe erahnen lässt, die man in anderem Kontext vielleicht gar nicht mit dem Etikett Pop versehen würde.

Bei den Collagen von Matthias Kniep handelt es sich, wenn man so will, um die „poptypischsten“ lyrischen Arbeiten, da hier zwar indirekt, doch in besonderem Maße, auf das künstlerische Verfahren selbst verwiesen wird, indem Kniep Bertolt Brechts Entdeckung an einer jungen Frau unter dem Titel Here in half-light, serendipity sowie Hugo von Hofmannsthal Das Zeichen als Sign O’The Times mit Zitatschnipseln aus Poptexten nachbildet. Keine Wortsequenz, die sich nicht in einem Popsong finden ließe und sei sie auch so landläufig, wie beispielsweise die Wortfolge „they do“, bei den Ramones (und bestimmt vielen anderen). Insofern verweisen Knieps aus Samples zusammengestückelte Gedicht-Nacherzählungen nicht zuletzt auch darauf, dass im Grunde fast alles in einem Popsong schon einmal irgendwo, irgendwie gesagt wurde und die Grenzen zwischen Anspruchsvollem und Populären recht willkürlich sind.

Gunter Ruckes‘ an Collagen erinnernde Grafiken Screenshots of Different Media geben sich in ihren Titeln als Fundstücke aus, als Detailaufnahmen etwa des Titelbildschirms eines Computerspiels aus dem Jahr 1983, Artwork eines italienischen Groschenromans, einem Still aus einem Anime oder Plattencover einer tschechoslowakischen New Wave-Band. Zunächst mag vielleicht gar nicht auffallen, dass es die behaupteten Medien gar nicht gibt, sondern dass sie vielmehr mit den erfundenen Arbeiten Ruckes‘ als imaginierte Medienvergangenheit erst entstehen. Und auch die den Band durchziehenden, als Assemblagen betitelten Fotografien von Andreas Erb konstruieren Gewesenes neu, indem auf den Bildern Gefundenes und Kaputtes, im Grunde Müll, etwa Kippenstummel, angerostete Kronkorken, kaputte Plastik-Pommesgabeln, neu arrangiert, aufgereiht und abfotografiert werden.

Der Herausgeberin Kathrin Schuchmann und ihren Mitarbeitern gelingt mit Textauswahl und -anordnung in dieser Ausgabe von schliff ein Popreader, der, indem er geschickt Arbeiten unterschiedlichster Gattungen zueinander in Beziehung setzt, einen in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile womöglich erstarrten und stereotypen Pop-Begriff hinterfragt. Er stellt den Blick auf vermeintlich Bekanntes gerade durch die theoretischen Arbeiten neu ein, und man bekommt Lust, sich mit dem Thema Pop auch drüber hinaus weiter auseinanderzusetzen und auch die Arbeiten etwa Rainald Goetzes, Christian Krachts oder Thomas Meineckes wieder zu entdecken.

Titelbild

Kathrin Schuchmann (Hg.): schliff. literaturzeitschrift.
Nr. 10: Pop.
edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2019.
174 Seiten, 9,80 EUR.
ISBN-13: 9783869168098

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