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Bob Dylans neues Album „Rough and Rowdy Ways“

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Doppel-Album hätte kaum einer noch erwartet. Nachdem Bob Dylan jahrelang darauf bestanden hat, Stücke aus dem Repertoire anderer zu singen, die man von ihm nicht unbedingt hören wollte, ist er nun zu sich zurückgekehrt: zu seinen eigenen Texten und zu seinem musikalischen Spätstil. Rough and Rowdy Ways ist wohl kein Meisterwerk, dafür sind schon Dylans stimmliche Möglichkeiten mit 79 Jahren inzwischen zu begrenzt, aber ein beachtliches Album, allerdings nicht bloß der zweiten CD wegen, auf der nur das vielgelobte „Murder Most Foul“ zu hören ist. Die Lieder auf der ersten CD, vermutlich jünger als seine vorerst letzte lange Ballade, sind durchweg respektable Bob-Dylan-Songs. Die Musik ist manchmal bluesartig stampfend („Goodbye Jimmy Reed“), meist aber ruhiger, mit Elementen von Folk und Jazz. Die Band spielt sicher und unangestrengt, nicht sehr abwechselungsreich, auch nicht besonders schnell. Sie ist ganz darauf eingestellt, Dylan zur Geltung zu bringen: seinen eher langsamen, aber eindrücklich rhythmisierten, leisen Sprechgesang. 

Wie so oft auf seinen späten Alben sind die Texte nicht immer leicht zu verstehen. In einigen Songs versucht Dylan, wortreich eine Persona zu entwerfen, so im ersten Stück „I Contain Multitudes“, so auch im letzten „Key West (Philosopher Pirate)“. Identifikation und Distanz sind dabei schwer auszuloten. Geschichten wie einmal in „Hurricane“ oder „Joey“ erzählt Dylan nicht mehr. Meist variiert er ein Thema oder auch nur einen Vers, so in „Crossing the Rubicon“, das sich schon bald von Cäsars Rubikon entfernt und ihn zur Metapher macht. Der Faszination einer Formulierung dürften manche der Songs ihre Existenz verdanken. Das sprachliche Repertoire ist dabei groß, es reicht von umgangssprachlichen Ausdrücken bis zu hochsprachlichen wie „immortality“ („Key West (Philosopher Pirate)“) oder „goddess of the dawn“ („Crossing the Rubicon“).

Das im Vergleich zu einigen früheren Songs weniger starke name-dropping beschränkt sich vor allem auf Dichter von Poe und Blake in „I Contain Multitudes“ bis zu „Ginsberg, Corso and Kerouac“ in „Key West (Philosopher Pirate)“. Nichts Überraschendes also, sie alle gehören zu Dylans Lektüre-Universum. Und dass sich gelegentlich ein Vers von Shakespeare einschleicht, ist gleichfalls nicht eben neu bei ihm. Vertraut sind seinen Hörern mittlerweile, neben den historischen, auch die mythologischen Anspielungen, von der antik-griechischen ‚Mutter der Musen‘ bis zum Falschen Propheten der Bibel („False Prophet“). Ebenso ist es, selbstredend, mit den popmusikalischen Referenzen von Elvis Presley („Mother of Muses“) über Jimmy Reed („Goodbye to Jimmy Reed“) bis zu den Rolling Stones („I Contain Multitudes“). Einer ist gleich doppelt präsent: Jimmie Rodgers wird mit dem Albumtitel zitiert, und auf der Innenseite ist er zusammen mit der Carter Family abgebildet. Schon ungewöhnlicher ist, dass auch Beethoven und Chopin erwähnt werden. Aber Dylans Musen mischen gern.

Von den neun Songs bleiben am lebhaftesten in Erinnerung „I‘ve Made Up My Mind to Give Myself to You“, ein trauriger „gospel of love“, der die „sad guitars“ beschwört, die in anderen Stücken noch vernehmlicher sind; das nicht zuletzt durch das Akkordeon von Donnie Herron melodisch weiche, nachdenklich fließende „Key West (Philosopher Pirate)“; und schließlich „Mother of Muses“, ein fast klassischer Musenanruf, mit brüchiger Stimme intoniert. Dieses Gegenstück zu „Father of Night“ ist eine Hymne an Mnemosyne und eine Liebeserklärung an Kalliope, die Muse mit der schönen Stimme und Mutter des Orpheus.

Insgesamt sind manchmal einzelne Verse eingängiger und einprägsamer als die ganzen Songs. Dennoch verleiht Dylan ihnen durch seine zugleich sparsame und souveräne Art der Interpretation viel Überzeugungskraft. Das ist ein Triumph des Künstlers, der seiner selbst wieder sicher ist. Ein ebenso einfacher wie schöner Vers, den man auf seinen Verfasser anwenden kann, beschließt „Mother of Muses“: „I‘m travelling light, and I‘m slow-coming home“. 

Titelbild

Bob Dylan: Rough and Rowdy Ways.
2 CDs.
Sony Music, 2020.
14,99 EUR.

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