Viel Klatsch und Tratsch

Desmond Morris porträtiert in „Das Leben der Surrealisten“ 32 Künstler sehr oberflächlich

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Surrealismus versteht sich nach einer Eigendefinition dieser wirkmächtigen Avantgardebewegung als „Reiner psychischer Automatismus durch den man […] den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überzeugung.“ Kunst und Leben flossen im Surrealismus zusammen und er war insbesondere auch eine „Rebellion gegen das Establishment.“ Bei der Erkundung des Nicht-Rationalen und Unbewussten hat die Bildende Kunst des Surrealismus eine ungeheure Stil- und Formenvielfalt hervorgebracht. Schaltzentrale und Angelpunkt der surrealistischen Bewegung war André Breton, der ein rigides Regime führte und unliebsame Schriftsteller oder Künstler auch gerne ausschloss.

Im vorliegenden Buch bietet Desmond Morris dem Leser nun Einblicke in Das Leben der Surrealisten. Morris gehörte selbst der surrealistischen Bewegung an, lernte viele ihrer Protagonisten noch persönlich kennen und stellte seine Werke unter anderem 1950 zusammen mit Joan Miró aus. Daneben ist er aber auch ein anerkannter Verhaltensforscher und schrieb Weltbestseller zum Verhalten von Mensch und Tier.

Wie Desmond Morris einführend selber schreibt, konzentriert er sich in seinem Buch auf „die Surrealisten als Menschen, als herausragende Individuen. Wie war ihre Persönlichkeit, was waren ihre Vorlieben, ihre Charakterstärken, was ihre Schwächen?“ Bei der Auswahl seiner 32 porträtierten Künstler hat er sowohl „offizielle surrealistische Künstler“, wie auch „zeitweilige“ oder auch „abgelehnte“ und „ausgestoßene“ berücksichtigt. So finden wir ein surrealistisches Spektrum, dass von Eileen Agar über Francis Bacon, Salvador Dalí, Marcel Duchamp und Meret Oppenheim bis zu Man Ray und Yves Tanguy reicht.

Die Porträts beginnen jeweils mit einem kurzen Steckbrief zu Geburtsdaten, Eltern, Wohnorten und Liebesbeziehungen. Und wie schon angedeutet, geht Morris in der Folge weniger auf die Kunst der Porträtierten ein als vielmehr auf ihren Lebenslauf von Geburt an. Das ist gespickt mit Gerüchten und persönlichen Erinnerungen und ein besonderes Interesse findet auch immer wieder ihr Sexualleben. Zu Agar schreibt Morris so, dass sie „sexuell weit abenteuerlustiger als die meisten Frauen ihrer Generation“ gewesen zu sein scheint: „Offenbar fand sie auch nichts dabei, drei Liebhaber gleichzeitig zu haben. Sie war eine Hedonistin, auf eine fröhlich-kindliche Art.“ Zu ihrer Kunst erfährt man derweil nichts. Eine polemische Breitseite teilt Morris gegen das umstrittene Zentralgestirn der Surrealisten, André Breton, aus: „Er war auch ein aufgeblasener Langeweiler, ein skrupelloser Diktator, ein überzeugter Sexist, ein extremer Schwulenhasser und ein verschlagener Pharisäer. Niemand mochte ihn besonders.“

Über weite Strecken bleibt das Buch so in oberflächlichen Episoden aus pikantem Klatsch, eigenen Erinnerungen und persönlicher Polemik stecken. Es bietet nur wenig Einblicke in die Kunst der Porträtierten und nichts erfährt man hier über die für den Surrealismus ja programmatische Kunst als Lebensform und über die existenziellen Kämpfe, die damit zusammenhängen. Lichtblicke bieten zwischendurch die Porträt-Fotos der Künstler und Abbildungen ihrer Kunstwerke. Aber insgesamt trägt dieses Buch wenig zu einer fundierten Geschichte des Surrealismus bei und bleibt so doch sehr enttäuschend.

Titelbild

Desmond Morris: Das Leben der Surrealisten.
Mit zahlreichen Abbildungen.
Aus dem Englischen von Willi Winkler.
Unionsverlag, Zürich 2020.
352 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005563

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