Peter Rühmkorf, Marcel Reich-Ranicki, eine Polemik

Über Literaturkritik und mediale Öffentlichkeit in der Nachwendezeit

Von Stephanie BaumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephanie Baumann

Vorbemerkung der Redaktion: Der Beitrag ist zuerst Ende 2019 in der Zeitschrift „Germanica“ der Université de Lille erschienen, die ihrem Heft 65 den Titel „Marcel Reich-Ranicki – une critique littéraire populaire?“ gibt. Wir danken der Autorin, die an der Université Polytechnique Hauts-de-France (Valenciennes) lehrt, sowie den Herausgeberinnen der Zeitschrift Martine Benoit und Carola Hähnel-Mesnard für die Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung in literaturkritik.de.

 

Ich, Marcellus Rex Zerreiski,
dico: dieses Buch ist Scheisski.
Quod est simplex demonstranski
mit zähn Fingärr seiner Handski.

Dieses gelbe Buch, sprach Moses,
ist ein wert- und ausdrucksloses,
sprachlich sowie substantiell,
herzlich grüßt Sie Ihr Marcel!

(Peter Rühmkorf)

Im Nachlass von Peter Rühmkorf im Deutschen Literaturarchiv in Marbach findet sich eine Art Plakat mit diesen Reimen und zwei Karikaturen[1]. Die bunten Aquarelle stellen Reich-Ranicki dar, wie er mit über dem Kopf erhobenen Händen ein gelbes Buch zerreißt. Das Bild-Zitat spielt auf das Titelblatt der Spiegel-Ausgabe aus dem Jahr 1995 an, in der Reich-Ranickis „Verriss“ von Günter Grass’ Wenderoman Ein weites Feld erschien. Die Fotomontage war einer Rembrandt-Darstellung von Moses, der die Gesetzestafeln zerbricht, nachempfunden. An ihrer Stelle sieht man ein Buch mit dem Titel von Grass’ Roman und seinem Konterfei[2]. Rühmkorfs Reime greifen nicht nur inhaltlich die Verriss-Geste auf, sondern zitieren auch formale Elemente des öffentlichen Briefes an Grass – mit Anrede und Grußformel. Er formuliert mit ihnen eine an Kinderverse erinnernde Parodie von Reich-Ranickis Kritik. Die doppelte Form der Verse und Karikaturen verweisen auf das Kritik-Doppel: auf die Polemik im Spiegel und auf das Gespräch in Das Literarische Quartett, wo – nach Leserprotesten – auch über das Moses-Bildzitat des Spiegel-Titelblattes gesprochen wurde. Mit Moses wird auf die jüdische Herkunft des Kritikers hingewiesen, der auf dem Bild eine wüste Geste des Zerreißens ausführt. Diese Darstellung veranlasste verschiedene Interpreten, Grass zuallererst, zur skandalisierenden Aussage, das Buch werde „als Heizmaterial zur Bücherverbrennung“[3] verrissen. Die Anspielung auf Moses taucht auch in Rühmkorfs Parodie auf. Reich-Ranicki, der gern Erwartungen enttäuschte[4], gab sich im Literarischen Quartett von all dem unberührt. Er kehrte jegliche negative Deutung kurzerhand in ihr Gegenteil um, indem er die Anspielung auf Moses als positiv für sich verbuchte („etwas hochgegriffen“) und die Aufmerksamkeit auf Michelangelo umlenkte (es handelte sich wohl um eine Verwechslung mit der Rembrandt-Vorlage) – „so ein schlechter Maler oder Bildhauer war er nicht“[5].

Rühmkorfs Kommentare zum Grass-Verriss durch Reich-Ranicki beschränkten sich nicht auf die Karikaturen. Er veröffentlichte einen kompilatorischen Text mit dem anspielungsreichen Titel Ich habe Lust, im weiten Feld… (1996). Dieser deutet nicht nur auf den Grass’ Roman-Titel hin, sondern kündigt die Intention und Position des Schreibenden an, handelt es sich doch um das Incipit eines Volksliedes, dem die Worte folgen: „zu streiten mit dem Feind / wohl als ein tapf’rer Kriegsheld / ders treu und redlich meint“ (Text ca. 1740)[6]. Rühmkorfs Text ist gattungsmäßig schwer zuzuordnen: es ist eine sorgfältig komponierte Auskopplung von (überarbeiteten) Tagebucheinträgen aus den Jahren 1994 bis 1996, die mit Briefen und Ausschnitten aus Rühmkorfs Laudatio zu Reich-Ranickis 75. Geburtstag verbunden sind. Rühmkorf beschreibt darin die Genese und den Verlauf des Zerwürfnisses zwischen dem Kritiker und sich. Reich-Ranicki schweigt; er reagierte weder auf diese Schrift noch auf einen Brief, in dem Rühmkorf ihm „autoritäres Niederschreien eines schwierigen Buches“[7] vorwirft[8].

Oft haben die von Reich-Ranicki rezensierten Autoren ablehnend auf dessen Kritiken reagiert – nicht nur Günter Grass. Martin Walser schrieb mit Tod eines Kritikers (2002) ein Buch, das aufgrund der dort verbreiteten antisemitischen Klischees eine kalkulierte Feuilleton-Debatte auslöste[9]. Weniger bekannt ist Rühmkorfs Auseinandersetzung mit Reich-Ranickis Rezension von Grass Ein weites Feld[10]. Bei der Auseinandersetzung zwischen Rühmkorf und Reich-Ranicki ging es um Literaturkritik und politische Deutungsmacht. Auch persönliche Loyalitäten spielten eine Rolle: Rühmkorf war nicht nur mit Reich-Ranicki bekannt, sondern auch mit Grass befreundet – sie hatten „lebenslang an den gleichen Fronten gekämpft und an den gleichen Nüssen geknackt“[11]. Rühmkorf, der Reich-Ranicki in der Gruppe 47 kennen gelernt hatte, veröffentlichte Gedichte in der Frankfurter Anthologie und schrieb Rezensionen für die FAZ. Er stand daher in regem Austausch mit Reich-Ranicki, wie die jüngst veröffentlichte Korrespondenz über beinahe vier Jahrzehnte eindrücklich belegt. Rühmkorf hatte unter den freien Rezensenten eine Sonderstellung inne. Er wurde besser bezahlt als andere Autoren, weil er „immer Grundlagenforschung mitliefre“, wie Rühmkorf zu Beginn ihrer Arbeitsbeziehung sein Anliegen begründete, das Reich-Ranicki zustimmend positiv beschied[12].

Im Zentrum der nachfolgenden Betrachtungen steht Rühmkorfs Ich habe Lust, im weiten Feld … als Reaktion auf Reich-Ranickis Verriss. Manche Argumente, die im Zuge dieser Polemik vorgetragen wurden, weisen Merkmale ritualisierter Entgleisungen auf: Simplifizierung, Personalisierung, Polarisierung… Sven Hanuschek merkte bereits an, dass Tagebücher nicht notwendigerweise nur eine monologische Gattung sind. Sie können auch als eine Art „Reinszenierung belastender Konflikte“ gelesen werden[13]. Dies trifft für Rühmkorfs Schrift Ich habe Lust… zu, anhand derer im Folgenden eine nicht unbedeutende Konfliktlinie der literarisch-medialen Öffentlichkeit der Nachwendezeit aufgezeigt wird. Rühmkorfs Text ist in den Kontext gesellschaftspolitischer Selbstverständigungsdebatten einzuordnen, die spätestens mit dem Historikerstreit einsetzten und seit Mitte der 80er Jahre einen beispiellosen Feuilleton-Boom auslösten[14]. In einem ersten Teil skizziere ich kurz den Anlass des Streits sowie einige Charakteristika der mündlichen und schriftlichen Kritik von Ein weites Feld. Anschließend nehme ich die Rühmkorfsche Streitschrift in den Blick und gehe schließlich auf jene ideenpolitische Kontroverse ein, die Rühmkorf wiederholt erwähnt: den Historikerstreit.

Der Anlass

„Schlecht ist schlecht, und es muss gesagt werden.“ Mit diesem Fontane-Zitat beginnt Reich-Ranicki die Rezension von Grass Roman Ein weites Feld, der zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung spielt und diese Ereignisse auf vielfältige Weise mit der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts verbindet und insbesondere mit der Zeit von Theodor Fontane. „Andere“ könnten dann „mit den Erklärungen und Milderungen kommen“[15]. Dass keine differenziert argumentierende Kritik zu erwarten ist, verdeutlicht der Rezensent gleich zu Beginn. Er möchte ein breitenwirksames Urteil fällen. Das Objekt der angekündigten Polemik wird daher zunächst als eines ausgewiesen, das von aktueller Würdigkeit ist[16]. Der Autor wird am Anfang und am Ende der Kritik gelobt, indem auf vergangene Leistungen hingewiesen bzw. ein gelungener Passus gelobt wird[17], hier die Skizze eines Gesprächs mit Uwe Johnson, leider „nur 5 Seiten von 781“[18]. In seiner mündlichen Kritik im Literarischen Quartett wiederholt Reich-Ranicki die wichtigsten Elemente seiner schriftlichen Kritik. Die anderen Gesprächsteilnehmer treten nur bedingt als Gegenspieler auf. So stimmt Helmuth Karasek Reich-Ranickis Urteilen zu („beflissen“, wie Rühmkorf anmerken wird)[19], Carl Corino kommt selten zu Wort, einzig Siegrid Löffler versucht ihrer Rolle gemäß seufzend den von ihr so genannten „Groß-Kritikern“ zu widersprechen[20]. Die von Reich-Ranicki vorgebrachten ästhetischen Argumente sind tatsächlich schnell zusammengefasst: In Ein weites Feld werde nur mitgeteilt, nicht aber erzählt, nur festgestellt, nicht aber dargestellt[21], die Personen wirkten wie Marionetten, nicht wie lebendige Figuren[22]. Die Konstruktion der Geschichte sei „mühselig“, die Prosa „wertlos“, „langweilig“ „unlesbar“, der Roman „ganz und gar missraten“[23], es werde „Gedankliches nicht ins Sinnliche übertragen“[24]. Darüber hinaus liest und hört man Spekulationen über mögliche persönliche Ursachen der von Reich-Ranicki unterstellten schriftstellerischen Krise des einst „leidenschaftlichen Amateurpolitikers“ Grass[25].

Diese Polemik rief, wie die Zuschauer des Literarischen Quartetts erfahren, Grass’ Widerspruch hervor. Reich-Ranicki antwortet darauf nicht nur, indem er seine Aussagen noch einmal wiederholt, er verteidigt seine deutlich wertende Kritik noch einmal grundsätzlich unter Verweis auf den NS-Propagandaminister Goebbels und die Abschaffung der Kritik unter dem Nationalsozialismus. Damit erzielte er sogar Wirkung bei Rühmkorf[26]. Den Vorwurf, dass der Verriss ästhetische Fragen wenig berücksichtige und in erster Linie politisch motiviert sei, bestätigt Reich-Ranicki im Fernsehen. Er überbietet hier seine Aussagen aus dem Spiegel noch einmal, indem er dem Roman jegliche literarische Qualität abspricht:

Wir kehren hier immer wieder in der Diskussion zu bestimmten Ansichten zurück, Ansichten die geäußert werden von dem Fonty oder von dem Tallhofer. Wir können über nichts anderes reden! Wenn wir über das Künstlerische in diesem Buch reden sollen, müssen wir gleich das Thema abschließen. Es ist nichts Künstlerisches da![27]

Im Spiegel hatte er bereits geschrieben, dass er Grass’ politische Auffassungen „nicht immer ganz ernst nehmen“ könne: „Sie wissen sehr wohl, dass die DDR ein schrecklicher Staat war, dass hier nichts zu beschönigen ist. Doch Ihr Roman kennt keine Wut und keine Bitterkeit, keinen Zorn und keine Empörung. Ich gebe zu, ich kann das nicht begreifen, es verschlägt mir den Atem“[28]. Ein anderes Argument findet sich im Artikel wie in der Fernsehsendung: Im Roman stellt eine jüdische Figur, Professor Freundlich fest, dass Deutschland nach der Wiedervereinigung „für Juden unbewohnbar“ geworden sei. Sigrid Löfflers Einwand, Reich-Ranicki verwechsle immerzu Aussagen der Figuren mit Aussagen des Autors, wehrt er ab. „Warum? Das sagt Professor Freundlich – er muss Selbstmord verüben und seiner Frau empfiehlt er zu den Töchtern nach Israel auszuwandern. Warum? – hätte ich gerne gewusst!“[29]. Es folgen keine weiteren Einwände, den zeitgenössischen Rechtsextremismus spricht weder Reich-Ranicki noch einer der anderen Gesprächsteilnehmer an. Reich-Ranickis Argumentation fokussiert schließlich ganz auf die im Roman vorgenommene Beurteilung der DDR. Er zitiert Fonty, einen „dummen Menschen“, dessen Dummheit sich im ganzen Roman ausbreite, mit Äußerungen wie „Was heißt hier Unrechtsstaat! Innerhalb dieser Mängel lebten wir in einer kommoden Diktatur“[30]. Der Grundtenor des Buches laute: „So schlimm war es ja wieder nicht, die Leistungen sollte man nicht übersehen, und auch in Wuppertal oder Bonn wird nur mit Wasser gekocht“[31].

Zum Vergleich: In Rühmkorfs unveröffentlichten, handschriftlichen Notizen, die er für die Textfassung überarbeitete, heißt es, er habe gehört, dass Reich-Ranicki das Buch zunächst mit drei plus beurteilt habe. „Es soll ihn aber Augstein angestachelt haben, der ja genau wie der neue Aust ein widerlicher Antikommunist ist, – + MRR wieder mal zu eitel, um einem Angebot widerstehen zu können“[32]. Zum Weiten Feld: „Ich komme nicht richtig rein in den Roman. Es ist keine Handlung, keine Spannung, keine Action da – sagen wir Marke Biberkopf. Eigentlich handelt es sich bei den beiden Figuren Fonty + Tallhover nur um zwei Ankleidepuppen, die sich wechselseitig die Garderobenteile zureichen“[33]. Die Meinungen von Rühmkorf und Reich-Ranicki gingen in der Beurteilung des Romans kaum auseinander.

Bücher? – oder Personen

Ein weites Feld kam im August 1995 heraus, Rühmkorfs Tagebuch Tabu I 1989-1991 sollte im Dezember desselben Jahres erscheinen. Dies brachte ihn in einen Loyalitätskonflikt. Wie aus dem Manuskript von Tabu hervorgeht, befürchtete er (in diesem Zusammenhang treten gehäuft Schach- und andere Spielmetaphern auf) gegen Grass als „Setzstein“[34] ins Spiel gebracht zu werden. In der Frankfurter jüdischen Gemeinde war auf Einladung von Reich-Ranicki eine Diskussion über Ein weites Feld mit Grass, Reich-Ranicki und ihm selbst angesetzt[35]. Er fragte sich, ob er nicht besser absagen sollte.

Rühmkorf bangte um das Schicksal, das seinem Werk widerfahren würde, wenn er absagte, genauer gesagt bangte er um den Verlust all seiner „Optionen“ („Spiegel – FAZ – – Quartett – + alles was dranhängt“[36]). Er sagte ab, und mit der Streitschrift trat er gewissermaßen die Flucht nach vorn an. Sie folgt einer genauen Dramaturgie, die hier nur angedeutet werden kann. In der Exposition tritt Reich-Ranicki mit dem Wunsch an den Tagebuchschreiber heran, dieser möge eine Laudatio zu seinem 75. Geburtstag halten, was Rühmkorf – aus politischen Gründen, wie er betont – akzeptiert: „In einer Zeit, wo Carl Schmitt schon wieder eine rechte Nobeladresse ist, Wallfahrten zum 100. von Ernst Jünger gesellschaftsfähig geworden sind und der 8. Mai („enteignet, entfremdet, entwendet ein Jubiläumsanlaß für das deutschnationale Gesocks, das statt von ‚Befreiung‘ lieber von ‚Vertreibung‘ reden möchte…“)[37]. Dann wird der deutsche Literaturbetrieb mit Journalisten, Autoren und Publikum erwähnt. Im Eintrag vom 28.4.1995 führt der Autor weiteres Personal ein, Freunde kommen zu Besuch, „die Grassens“[38]. Wie nebenbei, scheinbar unmotiviert, taucht eine letzte Figur auf: Joachim Fest. Reich-Ranicki erwähnt ihn in einer Unterhaltung, die Rühmkorf im Tagebuch notiert. Es geht um die unerwünschte Begegnung Reich-Ranickis mit Albert Speer auf einem Empfang, der anlässlich von Joachim Fests Hitler-Biographie bei Wolf Jobst Siedler stattfand[39]. Schließlich wird der Konfliktpunkt und das Ziel des Tagebuchschreibers benannt: „Grenzüberschreitungen von Kritikern, die – ebenso wie Kartellabsprachen unter diesen (FAZ, Spiegel, Literarisches Quartett) – bekämpft gehören“[40]. Kartellabsprachen, die Rühmkorf umso mehr fürchtete, als er Reich-Ranickis Aufträgen als Rezensent für das FAZ-Feuilleton die „zehn der angenehmsten, produktivsten Jahre meines freien Schriftstellerlebens“ verdankte[41].

Schließlich kündigt der Autor an, er müsse sein Verhältnis zu Reich-Ranicki in eine neue Balance bringen. Es gebe Anlass, über Reich-Ranicki als Person, über dessen Literaturkritik und Machtposition, aber auch über seine eigene Rolle nachzudenken. Er prangert wiederholt die Willkür von Reich-Ranickis literarischen Urteilen an[42]: diesem fehle das „erforderliche absolute Gehör für Kunst in der Kunst“ und so schwinge er oft den „Taktstock gegen die Musik“[43]. Einen Mangel an Maßstäben führt Rühmkorf auf Reich-Ranickis „Bruch mit einem ideologischen Wertsystem“ zurück, der offenkundig seelische Spuren hinterlassen habe: „nirgendwo dialektisches Denken“, sondern nur „unerlöste Antithesen“, die wie „Trümmerstücke eines zu Bruch gegangenen Glaubensgebäudes“ in den Rezensionen herumirrten[44]. So werfe die „im Zorn verabschiedete Kunstdoktrin“ (der sozialistische Realismus) noch heute lange Schatten. Der Diarist betont vor allem die politische Dimension von Reich-Ranickis literarischen Urteilen:

Renegaten haben ihre eigene Zeitrechnung: vor der Bekehrung – nach der Bekehrung. Erst mit der eigenen Konversion beginnt für sie die Geschichte, wobei alle, die nach ihm kommen, den Damaskus-Termin nicht richtig mitgekriegt haben. Wer zu spät kommt, den bestraft Reich-Ranicki. Seine Muse: Justitia. Und die richtet bekanntlich mit verbundenen Augen und ohne Ansehn des ästhetischen Scheins[45].

Positiv vermerkt er, Reich-Ranicki stünde für das „Einfache, das schwer zu fassen ist“, und attestiert ihm „anziehendes Draufgängertum“[46]. Wiederholt kommentiert er seine „Do-ut-des-Politik“[47], einen Kuhhandel, an dem er womöglich selbst beteiligt sei[48]. Eine „knistrige Materie“, ein als „elektrisch empfundener Gegenstand“ sei das Verhältnis einer „rechts angesiedelten Zeitung zu ihren linken Teilzeitschreibern“[49]. Fungiere er selbst als „Feigenblatt“[50] für einen Renegatenmacher, der versuche „schwankend gewordene Sozialisten/Kommunisten im Sinne seiner Biographie zu knicken und sie über FAZ-Beiträgerschaft und Preiszuwendungen auf den rechtsliberalen Tugendpfad zu lenken“[51]? In einem Brief an Reich-Ranicki, in dem er seine Absage der Veranstaltung mit ihm und Grass begründete und der ebenfalls in der Streitschrift auftaucht, heißt es, Reich-Ranicki habe „einen Graben zwischen der Schönen Literatur und ihrer zur ideologischen Lehrmeisterin verklärten Kritik aufgerissen“[52]. Das „absolute Nonplusgehtnichtmehr“ sei die Erwähnung Goebbels im Zusammenhang mit einem „bewährten Nazigegner und Radikaldemokraten“[53]. Im folgenden Eintrag notiert Rühmkorf, er habe sein halbes Leben damit verbracht, nicht seine Bücher, sondern Personen zu verteidigen. Damit sei jetzt Schluss. „Ranicki ist kein Mann des Enlightenments, sondern eine Leuchte des Obscurantismus“[54].

Im Hintergrund

In Rühmkorfs Streitschrift taucht, wie eingangs erwähnt, eine an dem Konflikt unbeteiligte Person auf, Joachim Fest[55]. In der Geburtstagsrede wird eine Szene aus dem Jahr 1973 geschildert: Der als ‚Panorama‘-Leiter frisch entlassene Joachim Fest sitzt auf der Premierenfeier seiner Hitler-Biographie mit Reich-Ranicki in „freundschaftlicher Umschlingung“ auf dem Sofa. Der Autor P.R. hatte eine „konkret-Polemik“ über das Buch mit dem Titel „Eine Festschrift für Hitler“ verfasst, war aber dennoch eingeladen („so bunt waren damals die Bräuche“[56]). Als Reich-Ranicki ihn entdeckte, habe er ihm „ein für alle gedachtes ‚Alles Blödsinn. Alles ganz großer Blödsinn‘“ zugerufen[57]. In der nächsten Szene, die der Redner schildert, ist Reich-Ranicki von Joachim Fest zum Leiter des Literaturteils der FAZ ernannt worden. Auch Reich-Ranicki erzählt in seiner Autobiographie von diesem Empfang – wenn auch anders. Hier steht die ebenso überraschende wie unerwünschte Begegnung mit Albert Speer im Mittelpunkt. Speers Anwesenheit war Fest wohl bekannt, und Fest hatte ihn nicht gewarnt. Fest habe offenbar gar nicht darüber nachgedacht, „um es vorsichtig auszudrücken“, dass er „Bedenken haben [könnte], einem der führenden Nationalsozialisten die Hand zu reichen und mich mit ihm an einen Tisch zu setzen“[58]. Zwar sei ihm damals an einem Streit mit Fest nicht gelegen gewesen, so Reich-Ranicki[59]. Sein späterer Konflikt mit ihm – gemeint ist der Historikerstreit – sei hier jedoch im Keim enthalten gewesen[60]. Fest habe schon damals in Gesprächen wiederholt die NS-Verbrechen relativiert.

Der Historikerstreit, die ideenpolitische Auseinandersetzung, deren Hauptakteure Nolte, Wehler, Mommsen, Hillgruber u.a. ebenso wie Reich-Ranicki und Rühmkorf der Generation der in den zwanziger Jahren Geborenen angehörten[61], hatte bekanntlich mit der Veröffentlichung von Ernst Noltes Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ in der FAZ begonnen. Noltes rhetorische Frage, ob der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki „das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten“[62]  gewesen sei, suchte den Konsens in Frage zu stellen, der die Shoah als deutsche Schuld im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik verankerte. Nolte strebte damit eine Revision der Geschichtsschreibung an, die – wenn sie im Ergebnis nicht gelang – doch wochenlang in deutschen Zeitungen diskutiert wurde. Reich-Ranicki war als Chef des Literaturteils über die Publikation von Fest nicht informiert worden und es erschien in den folgenden Wochen auch keine Gegenrede in der FAZ. Fest hatte, so Reich-Ranicki in Mein Leben, eine ganze Reihe kritischer Artikel dazu abgelehnt[63].

Im Marbacher Literaturarchiv findet sich eine Korrespondenz mit Fest. Ein Brief ist an „Dr. Fest“ gerichtet, es handelt sich um Fests Bruder, der Reich-Ranicki gebeten hatte, einen Beitrag zu einer Festschrift für Joachim Fest zu verfassen. Reich-Ranicki erklärt, warum er dies nicht tun werde, und kündigt an, seinen Brief in Kopie an Joachim Fest zu schicken[64]. In einem möglichen Beitrag zu dieser Festschrift hätte er nicht etwa die „wunderbare deutsch-jüdische Symbiose im Berlin der zwanziger Jahre“ diskutiert, sondern er hätte auf ein „Bauwerk deutscher Architektur verwiesen“, auf die Berliner Mauer, welche ihn stets an die Mauer des Warschauer Gettos erinnere, die keine Folge von 1945, sondern von 1933 sei. Er habe sich zu diesem Fragenkomplex der deutschen Geschichte nie geäußert, denn: „[n]iemand hat mich danach gefragt, niemand wollte meine Ansicht kennen, und ich meine auch, daß alle im Recht sein mögen, die meinen, daß ich in dieser Sache befangen sei[65].“ Zum Bruch mit Fest sei es durch den Nolte-Artikel 1986 gekommen. Fest hätte nicht das Recht gehabt, Noltes Elaborat ohne Rücksprache mit ihm in der FAZ zu publizieren. Er hätte ihm geraten, ihn allenfalls mit „zwei oder drei Antworten kompetenter Fachleute“ zu veröffentlichen. Er sei nicht nur monatelang unwidersprochen geblieben, sondern Fest habe schließlich sogar einen verschärfenden Artikel geschrieben, der von großer Loyalität gegenüber Nolte geprägt sei. Damit aber habe Fest nicht nur den Konsens zerstört, der seiner Arbeit in der FAZ, sondern auch „[s]einer Existenz in diesem Lande“[66] zugrunde liege. Fest hatte im August 1986 in Reaktion auf Jürgen Habermas’ Artikel in der Zeit[67] Noltes Thesen verteidigt und Habermas bescheinigt, seine Argumentation laufe auf die „platteste Verschwörungstheorie“[68] hinaus. In Reich-Ranickis Mein Leben taucht im Kapitel über den Historikerstreit die Formel vom „Ende der Schonzeit“ auf, welche im Zusammenhang mit der Diskussion über Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod (1976) geprägt wurde. Sie bezeichnete jene Tendenz der bundesdeutschen Debatte, die mit dem Historikerstreit begann und dann aber vor allem in der Walser-Bubis-Debatte fortgesetzt wurde.

Warum aber erwähnt Rühmkorf Fest und den Historikerstreit in seiner Streitschrift? Er verweist damit auf gemeinsame politische Gegner. Dann rücken jedoch zunehmend politische Differenzen im Verhältnis zu Reich-Ranicki in den Vordergrund. Immer wieder heißt es, dieser rede einer „neudeutschen ‚Einheits‘-Ästhetik“ das Wort[69], applaudiere nur noch Bekehrten[70], obwohl er einst die „littérature engagée“ verteidigt hatte[71]. Dass er die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten genauso kritisch sah wie Günter Grass, kann man seiner Büchnerpreisrede von 1993 entnehmen, Deutschland, ein Lügenmärchen[72].

Nachbemerkung

„Gestatten einen Lungenzug aus langer Friedenspfeife. Fünf Jahre Fehde sind genug, wie ich die Welt begreife“[73]. So beginnt das Gedicht, das Rühmkorf Reich-Ranicki im Jahr 2000 zu seinem 80. Geburtstag schickt. Die Antwort erhält er drei Wochen später „Nein, mein Lieber, so geht das nicht.“ Reich-Ranicki zählt „mit kühlen Grüßen“ all jene Verletzungen auf, die er bis dahin schweigend hingenommen hatte. Er zeigt sich zur Versöhnung bereit, die er jedoch nüchtern an eine Bedingung knüpft. „Ich erwarte nicht, dass Sie zurücknehmen, was Sie damals verzapft haben. Nur sollten sie jetzt etwas über meine Arbeit schreiben – nicht unbedingt liebevoll, doch freundlich und respektvoll“[74]. Wenige Monate darauf schreibt Rühmkorf in der FAZ eine „Zwanglose Postalie in Sachen M.R.-R.“ über die Autobiographie von Reich-Ranicki Mein Leben. Besonders berührt habe ihn, heißt es dort, „der gänzliche Mangel an Larmoyanz gerade in den bedrückendsten Passagen“[75]. Für diesen Satz bedankte sich Reich-Ranicki umgehend[76]. Rühmkorf hatte anerkannt, dass Reich-Ranicki sich einer Opferrolle nicht etwa „unfair“ bediente, wie er ihm in seiner Streitschrift unterstellt hatte[77], sondern dass er sich einer solchen vielmehr in vielen Situationen verweigerte. Nach der Rezension tauschten die beiden weiterhin Briefe aus. Im allerletzten Brief von Rühmkorf aus dem Jahr 2006, zwei Jahre vor seinem Tod, ging es noch einmal um Günter Grass, nämlich um dessen Buch Beim Häuten der Zwiebel, in dem dieser seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS eingestand. Wiederum versuchte Rühmkorf für Grass einzutreten[78]. Eine Antwort ist nicht überliefert.

Zurück zu den eingangs zitierten Versen, mit denen Rühmkorf Reich-Ranickis „knalltütenmässigen“ Stil der Literaturkritik parodiert[79]. In Rühmkorfs Göttinger Poetikvorlesung aus dem Jahr 1999 heißt es zur Form des Kinderverses: „Es ist ja bemerkenswert, dass der Kindervers – nicht der altbackene Kinderstubenvers, für den ich nicht zuständig bin –, überall seine Gattungen und Unterarten hinweg ein anarchisches, antiautoritäres, despektierliches Wesen offenbart, das keine Obrigkeit ungeschoren und übermenschliche Helden gar nicht erst aufkommen läßt“[80]. Der Kindervers vergreife sich an Ordnungshütern, wobei er jedoch nicht eindeutig verfahre: „Und was sich zunächst wie eine Abwertung der Autorität ausnimmt, erscheint alsbald als Umwertung“[81]. Damit handele es sich bei dieser urliterarischen Form der Umwertung um eine „Urzelle gesellschaftlicher Demokratisierung“[82].

Der Disput zwischen Rühmkorf und Reich-Ranicki ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch für die Nachwendezeit, in der nicht nur im Ausland wiederholt und zu mehreren Gelegenheiten Angst vor einem neuen deutschen Nationalismus aufkam. In dem geschilderten Beispiel tritt eine Konfliktlinie zutage, die nicht trotz, sondern gerade aufgrund ihrer polemischen Dimension interessant ist. Sie verdeutlicht aus historischer Perspektive, mit welcher Vehemenz einige Debatten im wiedervereinigten Deutschland auch über das Medium der Literatur und dessen Funktion für die Gesellschaft ausgefochten wurden. Dass eine solche literarische Öffentlichkeit überhaupt existierte und dass die beteiligten Akteure mit großer medialer Aufmerksamkeit rechnen konnten, ist kein geringes Verdienst von Marcel Reich-Ranicki.

Anmerkungen

[1] Ich bedanke mich herzlich bei Dorit Krusche für den Hinweis auf die Karikaturen im Rühmkorf-Nachlass. Da die Publikationsgenehmigung für das Plakat nur für die erste, gedruckte Version dieses Artikels in Germanica 65/2019 vorliegt, ist es nur dort abgebildet. Joachim Kersten und Stephan Opitz danke ich für den Hinweis auf Rühmkorfs Ich habe Lust, im weiten Feld... Thomas Anz danke ich für die freundliche Genehmigung, aus dem Brief von Marcel Reich-Ranicki zu zitieren.

[2] Marcel-Reich Ranicki, „ …es muss gesagt werden. Ein Brief an Günter Grass zu dessen Roman Ein weites Feld“, in : Der Spiegel, 34/1995, S. 162-169. Den Begriff des Verrisses gebraucht Reich-Ranicki selbst. So lautet der Titel einer Sammlung mit Negativkritiken Lauter Verrisse, Stuttgart, dtv, 1984.

[3] Von der Assoziation „Bücherverbrennung = Bücherverreißung“ ist bereits in Rühmkorfs Manuskript von Tabu die Rede und wird dort Grass zugeschrieben: Der Verleger Gerhard Steidl, bei dem Ein weites Feld erschien, habe in einem Telefonat mit Rühmkorf „Günters Leiden an dem Titelblatt hervorgeschoben, diese tiefe Verletzung (Bücherverbrennung = Bücherverreißung, so ihn [sic]) was mir [Rühmkorf, S.B.] aber zunehmend nicht mehr geheuer wurde.“ Zit. nach Joachim Kersten, „‚Ziemlich singuläre Befreundung‘. Günter Grass und Peter Rühmkorf“, in: Volker Neuhaus, Per Ohrgaard, Jörg-Philipp Thomsa (Hrsg.), Widerhall auf das Jahr der Revolten 1968, Freipass. Forum für Literatur, Bildende Kunst und Politik, Schriften der Günter und Ute Grass Stiftung, Bd. 3, Ch. Berlin, Links Verlag, 2007, S. 196-231, hier S. 210.

[4] Vgl. Marcel Reich-Ranickis Antwort auf die Frage, „War die Gruppe 47 antisemitisch?“ in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 13.4.2003. Dort schreibt Reich-Ranicki, er habe trotz einer ihm zu Unrecht vorgeworfenen Überempfindlichkeit auf den Tagungen niemals antisemitische Äußerungen wahrgenommen. Allerdings seien die NS-Verbrechen nie zur Sprache gekommen. Im Jahr 2003 war Klaus Brieglebs Streitschrift erschienen: Klaus Briegleb, Mißachtung und Tabu. Eine Streitschrift zur Frage: „Wie antisemitisch war die Gruppe 47?“, Berlin/ Wien, Philo Verlag, 2003.

[5] Vgl. Literarisches Quartett vom 24.8.1995, im Internet unter www.youtube.com/watch?v=NNb9F-SY3tY [11.5.2019] Der Spiegel-Redakteur Helmuth Karasek rechtfertigte im Literarischen Quartett das Titelbild. Der entsprechende Passus wurde im Spiegel unter der Rubrik „Rückspiegel“ abgedruckt: „Das Titelbild ist ein Bild, mit dem seit Jahren für das ‘Literarische Quartett’ geworben wird. Das haben wir als Zitat benutzt beim SPIEGEL, und wir haben Herrn Reich-Ranicki auch gesagt, daß wir das benutzen. So war es doch, oder?“ Reich-Ranicki: „Ja, aber ich wußte nicht, daß das – daß ich allein drauf bin, ich dachte, ich bin zusammen mit Grass – das ist mir alles völlig egal. Es ist folgendes: Das Bild ist, soviel ich weiß, nachgeahmt einem Gemälde von Michelangelo. Da wird Moses gezeigt mit den beiden Tafeln in der Hand. Ich finde Michelangelo im Zusammenhang mit meiner Person nicht beleidigend. So ein schlechter Maler oder Bildhauer war er nicht; auch der Vergleich mit Moses ist ein bißchen hochgegriffen“. Karasek: „Aber nur ein bißchen.“ Reich-Ranicki: „Ja, ein bißchen hochgegriffen. Ich habe schon gehört, Leute sind empört, daß ich gegen dieses Titelbild nicht protestiert hätte. Ich denke nicht daran zu protestieren. Für mich ist nur eine einzige Frage von Interesse, nämlich, trägt dieses Titelbild dazu bei, daß mehr Leute, als ohne Titelbild, diese Nummer des Spiegel kaufen und meinen Artikel lesen. Wenn ja, dann bin ich froh, daß dieses Titelbild drauf ist, das stört mich überhaupt nicht.“  Zitiert nach: „Rückspiegel“, in: Der Spiegel, 35/1995, S. 222.

[6] Jens Tismar, Das deutsche Kunstmärchen des zwanzigsten Jahrhunderts, Stuttgart, J. B. Metzler, 1981, S. 174, FN 177.

[7] Peter Rühmkorf, Ich habe Lust im weiten Feld…, Göttingen, Wallstein Verlag, 1996, S. 44.

[8] Ebd., S. 49.

[9] Vgl. Samuel Salzborn/ Marc Schwietring, „Antizivilisatorische Affektmobilisierung. Zur Normalisierung des sekundären Antisemitismus“, in: Michael Klundt/ Samuel Salzborn/ Marc Schwietring/ Gerd Wiegel: Erinnern, verdrängen, vergessen. Geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert, Gießen, NBKK, 2003, S. 42-76, bes. S. 61-64.

[10] Oskar Negt (Hrsg.), Der Fall Fonty. „Ein weites Feld“ von Günter Grass im Spiegel der Kritik, Göttingen, Steidl Verlag, 1996. Die Debatte stieß auch in Frankreich auf Interesse, vgl. Olivier Mannoni, Un écrivain à abattre. L’Allemagne contre Grass, Paris, Ramsay, 1996.

[11] Peter Rühmkorf, Tabu I. Tagebücher 1989-1991, Hamburg, Rowohlt, 1997, S. 469. Einschränkend fügt er hinzu: „Als kurzfristiger Dissens: daß ich über den Kommunismus günstiger dachte – vielleicht weil über den Menschen in der Marktwirtschaft schlechter.“ Ebd.

[12] Rühmkorf an Reich-Ranicki, am 8.8.1974, in: Marcel Reich-Ranicki. Peter Rühmkorf. Der Briefwechsel, hrsg. von Christoph Hilse und Stephan Opitz, Göttingen, Wallstein Verlag, 2015, S. 9.

[13] Vgl. Sven Hanuschek, „Nur was man intus hat, kann man auch verspielen. Über Rühmkorfs publizierte Tagebücher“, in: Jan Bürger/ Stephan Opitz (Hrsg.), ‚Lass leuchten!, Peter Rühmkorf zwischen Aufklärung, Romantik und Volksvermögen, Wallstein Verlag, Göttingen, 2010, S. 118-134, hier S. 125.

[14] Es waren Jahre, in denen das Feuilleton die Funktion der politischen Analyse von den Politik-Ressorts übernahm. Vgl. dazu Thomas Steinfeld, „Das Feuilleton und die Zukunft der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland“, in : Ders. (Hrsg.), Was vom Tage bleibt. Das Feuilleton und die Zukunft der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland, Frankfurt a.M., Fischer Taschenbuch Verlag, 2004, S. 19-24, hier S. 19, S. 22.

[15] Marcel Reich-Ranicki, „ …es muss gesagt werden. Ein Brief an Günter Grass zu dessen Roman ‚Ein weites Feld‘“ [1995], in: Ders., Meine deutsche Literatur seit 1945, München, Deutsche Verlagsanstalt, 2015, S. 489-499, hier S. 489.

[16] Vgl. Hermann Stauffer, „Polemik“, in: Gert Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Band 6, Tübingen, Max Niemeyer Verlag, 2003, S. 1403-1415, hier S. 1411.

[17] Beispiele aus anderen, politisch motivierten Negativkritiken sind zahlreich: So stellt sich Reich-Ranicki zunächst als Anna Seghers „Bewunderer“ vor, bevor er ihr Zynismus im Umgang mit Stalin vorwirft. Marcel Reich-Ranicki, „Bankrott einer Erzählerin. Anna Seghers: ‚Das Vertrauen’“ [1969], in: Ders. (Hrsg.), Lauter Verrisse, Stuttgart, Deutsche-Verlags-Anstalt, 1970, S. 46-49, hier S. 46. Peter Weiss’ frühes Werk ist für ihn „aus der Geschichte der deutschen Literatur nach 1945 nicht mehr wegzudenken“, – im Gegensatz zum Theaterstück Trotzki im Exil, in dem Weiss die „Hinrichtung der bürgerlichen Gesellschaft“ fordere. Marcel Reich-Ranicki, „Die zerredete Revolution. Peter Weiss: ‚Trotzki im Exil’“ [1970], in: Ders., Lauter Verrisse, a.a. O., S. 97-101, hier S. 97ff. Reich-Ranicki wirft Weiss insbesondere vor, die proletarische Weltrevolution „von der Stockholmer Loge aus“ zu besingen – eine polemische Formulierung, die auf die „Große Kontroverse“ verweist, in der 1945-1946 die literarischen Vertreter der „inneren Emigration“ Walter Thieß und Walter von Molo Exilanten wie Thomas Mann vorwarfen, auf den „Logenplätzen und Parterreplätzen der Geschichte“ gesessen und der „deutschen Tragödie“ von dort aus zugesehen zu haben. Vgl. „Exildebatte“, in : Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld, transcript, 2015, S. 53-56, hier S. 53f. In Reich-Ranickis Nachruf auf Peter Weiss aus dem Jahr 1982 ähnelt die Schilderung von Weiss’ politischen Anschauungen dann deutlich denen seiner eigenen Desillusion. Vgl. Marcel Reich-Ranicki, „Peter Weiss, der Poet und Ermittler“ [1982], in: Ders., Über Ruhestörer, Stuttgart, dtv, S. 131-137, hier S. 134f.

[18] Ebd., S. 489 und 499.

[19] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 43.

[20] Literarisches Quartett vom 24.8.1995, a.a.O.

[21] Reich-Ranicki, „Ein Brief“, a.a.O., S. 495.

[22] Ebd., S. 494. Auch bei diesem Begriff handelt es sich um eine Art Standard-Vorwurf, der beispielsweise auch in der Rezension von Weiss’ Trotzki im Exil auftaucht. Reich-Ranicki, „Trotzki im Exil“, a.a.O., S. 100.

[23] Reich-Ranicki, „Ein Brief“, a.a.O., S. 489. Literarisches Quartett vom 24.8.1995, a.a.O.

[24] Reich-Ranicki, „Ein Brief“, a.a.O., S. 497.

[25] Ebd., S. 489f.

[26] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 43f. und 47.

[27] Literarisches Quartett vom 24.8.1995, a.a.O.

[28] Reich-Ranicki, „Ein Brief“, a.a.O., S. 498.

[29] Literarisches Quartett vom 24.8.1995, a.a.O. Auch in der schriftlichen Kritik geht er auf diesen Punkt ein: vgl. Reich-Ranicki, „Ein Brief“, a.a.O., S. 498f.

[30] Ebd., S. 498.

[31] Ebd.

[32] Zit. nach Kersten, „Ziemlich singuläre Befreundung“, a.a.O., S. 211.

[33] Ebd.

[34] Ebd.

[35] In seinem Tagebuch notiert Rühmkorf dazu: „GG hat ohne mich zu fragen, die Einladung von MRR nach Ff/M (jüd. Gemeinde) angenommen. […] Graß wollte, – + es ist das Absurde – im Grunde die Hl-Sprechung durch den politischen + kulturpolitischen/ästhetischen Gegner“, zit. nach ebd., S. 211. 

[36] Ebd., S. 210.

[37] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 12f.

[38] Ebd., S. 8f.

[39] Ebd., S. 10. Vgl. Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, München, DVA, 1999,  S. 477-483.

[40] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 13. Reich-Ranicki wird zitiert: „War schon’n doller Poet“ – es geht um Brecht –, „aber die Dramen sind Dreck“. Ebd., S. 10. Hier heißt es auch, Reich-Ranicki habe „aus ideologischen Gründen“ Schriftsteller/innen niedergemacht, die „seinem Herzen nahestanden“: so etwa Christa Wolf und Heinrich Mann. Ebd., S. 12.

[41] Ebd., S. 28f.

[42] Ebd., S. 17.

[43] Ebd., S. 20.

[44] Ebd., S. 19.

[45] Ebd.

[46] Ebd., S. 21f.

[47] Ebd., S. 12, 16f.

[48] Ebd., S. 18.

[49] Ebd., S. 30.

[50] Ebd., S. 19f.

[51] Ebd. S. 31.

[52] Ebd., S. 44.

[53] Ebd., S. 46.

[54] Ebd.

[55] Ebd., S. 10, S. 26.

[56] Ebd., S. 27f.

[57] Ebd., S. 27f.

[58] Reich-Ranicki, Mein Leben, a.a.O, S. 482.

[59] Ebd., S. 483.

[60] Ebd.

[61] Ulrich Herbert, „Der Historikerstreit – Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte“, in: Steffen Kailitz (Hrsg.), Die Gegenwart der Vergangenheit. Der „Historikerstreit“ und die deutsche Geschichtspolitik, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, S. 92-108, hier S. 102.

[62] Ernst Nolte, „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ [FAZ, 6.6.1986], in : Historikerstreit. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München/Zürich, Piper, 1995, S. 39-47, hier S. 45.

[63] Reich-Ranicki, Mein Leben, a.a.O., S. 543.

[64] Marcel Reich-Ranicki an Dr. [sic] Fest [es handelt sich um Wolfgang Fest/in Kopie an Joachim Fest, S.B.], 19.1.1987, Nachlass Reich-Ranicki, DLM [03.2.25/1].

[65] Ebd., S. 2.

[66]  Ebd., S. 4. Fest sei ihm, so Reich-Ranicki weiter, „vor den Augen der ganzen Nation“ in den Rücken gefallen. Er selbst habe nur in einer Konferenz – „in Anwesenheit von eben nur zwanzig Redakteuren, die in ihrer Mehrheit ähnlich betroffen waren wie ich“ – „scharf und erregt“ gegen Nolte polemisiert. Ebd. Gustav Seibt erinnert sich in einem Nachruf: „Unvergesslich, wie Reich-Ranick […] einen Text von Nolte zerpflückte: stilistisch, logisch, am Ende erst moralisch. […] Reich-Ranicki tobte, zog erst zum Schluss seine entscheidende Karte: Diesen ganzen Unsinn – bitte in seiner Intonation! – hätte man von ihm aus gern immer wieder drucken können, wenn, ja wenn nur einmal ein Gegenartikel dazu erschienen wäre, und zwar nicht anderswo, sondern im eigenen Blatt.“ Gustav Seibt, „Marcel Reich-Ranicki. Die Kunst der Deutlichkeit“, in : Süddeutsche Zeitung, 19.9.2013. Im Antwortbrief an Reich-Ranicki versucht Joachim Fest Reich-Ranickis Vorwürfe zurückzuweisen, indem er diesem jegliches historische Urteilsvermögen abspricht. Er habe schon mehrfach bemerkt, dass historische Fragestellungen und Denkvorgänge Reich-Ranicki vollkommen fremd seien. Mehrfach habe er außerdem betont, dass er den Aussagen von Nolte nicht in jedem Punkt folge, während Reich-Ranicki inquisitorisch immer wieder unterstelle, dass er dies doch täte. Vgl. Joachim Fest an Marcel Reich-Ranicki, 19.3.1988, Nachlass Marcel Reich-Ranicki, [DLM].

[67] Jürgen Habermas, „Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung“, [Die Zeit, 11.7.1986], in: Historikerstreit, a.a.O., S. 62-76.

[68] Joachim Fest, Die geschuldete Erinnerung [FAZ, 29.8.1986], in: Ebd., S. 100-112, hier S. 110.

[69] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 45.

[70] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 32.

[71] Vgl. Marcel Reich-Ranicki, „Engagierte Literatur – wozu? Bemerkungen zu einer wichtigen Rede von Max Frisch“ [1964], in: Ders., Meine deutsche Literatur, a.a.O., S. 193-196.

[72] Peter Rühmkorf, Deutschland, ein Lügenmärchen, hrsg. v. Heinz Ludwig Arnold, Wallstein Verlag, Göttingen, 1993.

[73] Rühmkorf an Reich-Ranicki, 30.5.2000, in : Reich-Ranick – Rühmkorf, Der Briefwechsel, a.a.O., S. 233.

[74] Reich-Ranicki an Rühmkorf, 24.6.2000, in : Ebd., a.a.O., S. 235f., hier S. 235.

[75] Peter Rühmkorf, „Zwanglose Postalie in Sache M.R.-R.“, in: Ebd., a.a.O., S. 287.

[76] Reich-Ranicki an Peter Rühmkorf, am 27.11.2000, in : Ebd., a.a.O., S. 236f., hier S. 236.

[77] Rühmkorf, Ich habe Lust, a.a.O., S. 14.

[78] Peter Rühmkorf an Reich-Ranicki, am 16.8.2006, in: Ebd., a.a.O., S. 236f., hier S. 267f.

[79] Rühmkorf, „Zwanglose Postalie in Sachen M.R.-R.“, in:  Reich-Ranicki – Rühmkorf, Der Briefwechsel, a.a.O., S. 287.

[80] Zitiert nach Heinz Ludwig Arnold, „Auf dem Hochseil – Der Schriftsteller Peter Rühmkorf“, in: Peter Rühmkorf, „Das Lied der Deutschen“. Mit einem Essay von Heinz Ludwig Arnold, Wallstein Verlag, Göttingen, 2001, S. 23-46, hier S. 26.

[81] Zit. nach ebd. S. 27.

[82] Ebd.