Was sind das hier für Leute?

Raymond Queneaus Roman „Zazie in der Metro“ in einer Neuübersetzung

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist in Queneaus literarischem Schaffen nach mehr als einem Dutzend Romane ein Spätwerk geworden und eines, das ihm Popularität verschaffte – nicht zuletzt durch Louis Malles Verfilmung aus dem Jahre 1960. Der Roman blieb bis heute das, was wir einen Longseller nennen. Die eigenwillig erzählte Geschichte einer frechen Göre aus der Provinz, die ein kurzes Wochenende bei ihrem Onkel in der großen Stadt verbringt, damit sich die Mutter mit ihrem neuen Lover ungestört vergnügen kann, findet noch immer ihre Leser. An einer Stelle heißt es, in Zazies Alter sei alles ein Witz. In diesem Roman stimmt es jedenfalls – er ist wie ein nicht enden wollender übermütiger, launenhafter Witz durch einen langen Tag und eine lange Nacht voller Chaos mit liebenswerten Figuren wie aus dem Panoptikum. Gelegentlich mag so ein Witz wie ein Traum erscheinen. Jedenfalls verhilft Queneaus Roman der alten Calderón‘schen Mutmaßung, wonach das Leben ein Traum sei, zu ihrem Recht. Zazie in der Metro ist geboren aus Witz und Traum.

Der Autor besitzt unverkennbar eine große Empathie für das Menschlich-Allzumenschliche, weshalb wir bei ihm vorzugsweise einfachen Menschen begegnen. Hinzu kommt ein literarisches Talent für alles Komische und Groteske, für all die Zweideutigkeiten und Schrullen im Leben. Die Ironie genießt bei ihm Heimatrecht, und zwar aus purer Menschenliebe, und schon gar der Wortwitz, den der Autor wie Fallstricke genüsslich überall auslegt – Zazie ist voll davon.

Darum ist die Vermutung schnell zur Hand, Queneau gehe es in der Hauptsache um die Sprache, beziehungsweise um das, was Ludwig Wittgenstein sinnfällig Sprachspiele nannte, und worunter dieser den Zusammenhang von Sprache und Milieu verstand, also unser verbales Rollenspiel, unsere Sprach-Maskeraden, diese ganze Welt verbaler Verabredungen, die für Außenstehende zur Geheimsprache wird. Queneau beherrscht das Spiel mit Sprach-Konventionen meisterhaft – nachzulesen auch in den genialen Stilübungen von 1947.

Wie die meisten Romane von Queneau wurde auch Zazie von Eugen Helmlé übersetzt. Die Übersetzungen stammen also zum großen Teil aus der gleichen Zeit, in der auch die Originale entstanden. Sie enthalten denselben Zeitgeist, sind vom gleichen mentalitätsgeschichtlichen Horizont umgeben – in unserem Fall sind es die späten fünfziger Jahre. Man möchte von Authentizität sprechen, um diesen etwas überstrapazierten, aber nicht ganz unpassenden Begriff ins Spiel zu bringen. Das schien für fast siebzig Jahre zu gelten. Doch nun hat sich der Suhrkamp Verlag für eine Neuübersetzung entschieden und dem Übersetzer Frank Heibert schien es immerhin geraten, die Entscheidung zu begründen und im Nachwort von den sehr spezifischen Schwierigkeiten des Werks zu berichten.

Der Zufall wollte es, dass mein Lieblingsradiosender neulich zu einer kleinen Hörer*innen-Diskussion über das Für und Wider von literarischen Neuübersetzungen einlud, als ich gerade in die Zazie-Lektüre vertieft war. Erwartungsgemäß gab es gute Gründe für das Pro wie für das Contra. Am Ende entscheidet das konkrete Ergebnis, denn selbstredend gab und gibt es schlicht überflüssige Neuübersetzungen, die gar noch zum Ärgernis gerieten. Um es gleich vorwegzunehmen, letzteres trifft auf Heiberts Übersetzung auf keinen Fall zu. Trotzdem halte ich sie für nicht besser als Helmlés Version. Sie ist anders, das ja, und legitim ist so ein Versuch allemal. Natürlich hatte ich neben Heiberts immer auch Helmlés Fassung aufgeschlagen, wodurch mir der Charme der älteren Übersetzung erst recht zu Bewusstsein kam, eben jenes historisch gewordene Idiom mit seinem besonderen Klang. Ganz offensichtlich vermitteln Wörter ein spezifisches Aroma.

Damals brauchte der Übersetzer nichts zu „aktualisieren“. Aber warum sollte das heute erforderlich sein? Ist uns Helmlés Sprache unverständlich geworden? Bei literarischen Übersetzungen hat die Adäquatheit den Vorrang, wobei man der Sprache nicht das Recht auf ihre Geschichte streitig machen sollte. Auch kann eine Übersetzung wohl nicht mehr Verstehbarkeit liefern als das Original. Ist dieses kryptisch, wird es auch jede Übersetzung sein müssen. Was dort versteckt ist, sollte ein Übersetzer nicht aus dem Versteck holen, allenfalls ein neues suchen.

Im Original beginnt der Roman so: Doukipudonktan, was Helmlé mit „Fonwostinktsnso“ und Heibert mit „Waschtinkndiso“ übersetzt, um hier wie dort Queneaus Liebe zur phonetischen Wiedergabe von Alltagssprache gerecht zu werden. Korrekt lautet die Frage: D’où qu’ils puent donc tant? Queneau liebt Verfremdungseffekte dieser Art, wenn er das Gesprochene als Lautschrift (un-)lesbar macht. Von dieser Art gibt es eine Menge im Roman und die beiden Übersetzer fanden zu ihren jeweils eigenen Lösungen, auch was die sprechenden Namen der Figuren anging. Wollte man herausfinden, was näher am Original angesiedelt ist, dürfte man recht schnell bei Erbsenzählerei landen. Was jedoch gewisse Aktualisierungen betrifft, liefert Heibert das Verfallsdatum frei Haus mit. Insgesamt schlanker wirkt indes Helmlés Version oder anders gesagt, Heibert braucht (zumindest gefühlt) mehr Worte, um das gleiche zu sagen.

Manche von Heiberts Entscheidungen kommen mir seltsam vor. Warum verwendet er für „tonton“ den Begriff Oheim anstatt das schlichte Onkel? Oder warum für Hinterfleisch (bei Helmlé) das bis dato von mir noch nie gehörte Pöter? Bei Helmlé ist Zazies Lieblingswort Arsch, bei Heibert ein „Leck mich“. Und wo Onkel Gabriel brüllt „Leck mich am Arsch“ brüllt er jetzt „Fick dich, aber echt“. Aus einer Waschtoilette (was früher eine Kommode mit Marmorplatte war, darauf eine große flache Schüssel mit einer Kanne fürs Wasser) wurde eine Nasszelle, aus einem Spatzenhirn ein Schrumpfkopf, aus dem Adjektiv waschfreundlich ein waschophil, aus kleinen Spaßvögeln werden Witzpillen usw. Die Schönheitstänzerin wird zur Cabaret-Tänzerin, wobei man die Cabaret-Tänzerinnen noch bis in die 1960er Jahre tatsächlich mit Schönheitstänzerin bezeichnete. Das heute übliche „Supi“ stört und kommt glücklicherweise nur einmal vor (wenn ich es richtig in Erinnerung habe).

Wer aber spricht so hundsgemein ordinär? Einfache Leute aus dem Kleinbürgermilieu: ein Kneipenwirt, ein Taxifahrer, ein Fremdenführer, eine Dame auf der Pirsch, eine Kellnerin, dazu noch ein paar seltsame Figuren und eben ein gutmütiger Onkel, der sein Geld als jene eben erwähnte Schönheitstänzerin in einem Cabaret verdient, verheiratet mit einer adretten Person namens Marceline. Und dann gibt es eben noch jene aufmüpfige Nichte Zazie, die das Romanpersonal in Aufruhr und in Bewegung versetzt. Für einen Tag und eine Nacht bringt sie die Anarchie in die Pariser Kiezidylle und mit ihr kommt etwas zum Vorschein, das alle irgendwie antreibt: die Sexualität. Gewiss, die Lust des Autors für Sprachwitz kommt gratis dazu, aber die Libido bringt die Menschen genauso zusammen wie ihr Sprachvermögen und verwirrt sie nicht weniger.

Es geht ja nicht allein darum, dass Zazie herauszufinden versucht, ob ihr Onkel nun „hormosessuell“ sei und was das überhaupt bedeutet, obschon die Sache zum Running Gag ausartet. Heißt es vielleicht, „dass er sich Parfüm drauftut“, will Zazie wissen. Ein andermal schnauzt Zazie zurück: „Er ist meine Tante, Sie Schwachkopf.“ Es gibt auch nicht nur die Dame auf Männerfang. Auch der ominöse Polizist, der Zazie eine Bluejeans kauft und zuerst für einen Pädophilen gehalten wird und schließlich in die Fänge der Dame gerät, unternimmt einen ziemlich dreisten Annäherungsversuch bei Marceline. Dann wäre da der etwas prüde Taxifahrer, der mir nichts, dir nichts der Kellnerin mit dem mächtigen Busen einen Heiratsantrag macht. Zazies Mutter bringt die Tochter überhaupt nur zum Onkel, damit sie ein ungestörtes Lust-Wochenende verbringen kann. Als Sex-and-Crime-Zugabe erzählt Zazie wiederum die Geschichte, als ihr betrunkener Vater ihr zu nahekommt und in flagranti von der Mutter mit dem Beil erschlagen wird. Und wie ist das mit der Kellnerin Madelaine und Marceline? Sie liefern sich eine hocherotische Szene, in der Madelaine ihre Bewunderung für Marceline ausdrückt: „Sie sind richtig klasse. […] Sie haben eine echt gute Figur. Und dazu so elegant.“ Und was hat das zu bedeuten, dass Queneau jedem Satz, den Marceline spricht, beschreibend ein „sanft“ beifügt? Und wie wird diese ewig sanfte, elegante Ehefrau am Ende, wenn Zazie wieder der Mutter übergeben wird, zu einem Marcel? Warum nennt die Schwägerin Gabriels Ehefrau jetzt auf einmal Monsieur? Welche genderqueere Geschichte haben wir da verpasst? Also behaupten wir lieber nicht, Queneau gehe es allein um die Sprache – nein, die Sexualität interessiert ihn nicht weniger. Das wieder einmal entdeckt zu haben, soll zugleich meine Lektüre-Empfehlung sein. Denn Heiberts Neuübersetzung der Zazie versteht sich jedenfalls – wie schon Helmlé – auf den anarchischen Spaß aus Sprach- und Körperlust.

Titelbild

Raymond Queneau: Zazie in der Metro. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Frank Heibert.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
239 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518428610

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