Neuer Name, alte Probleme

Im vorletzten Band seiner Bernie-Gunther-Reihe schickt der 2018 verstorbene Bestsellerautor Philip Kerr seinen Helden als Schadensregulierer nach Griechenland

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als der britische Autor Philip Kerr im März 2018 im Alter von 62 Jahren starb, ging damit auch eine der interessantesten Krimireihen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte zu Ende. Ihr Held: Bernie Gunther, Mordermittler im Berlin der 30er Jahre, später in geheimer Mission für etliche Nazigrößen unterwegs, nach dem Krieg zunächst in russischer Gefangenschaft, dann für eine Weile auf Kuba und schließlich unter dem Namen Walter Wolf als Nachtportier im Grand Hôtel du Saint-Jean-Cap-Ferrat an der französischen Côte d‘Azur. Aber jedes Mal musste der Mann weiterziehen, weil ihn prompt seine Vergangenheit einholte und zur nächsten Flucht zwang.

Am Anfang von Band 13, dem vorletzten der Reihe, findet ihn der Leser im Frühjahr 1957 in München wieder. Gunther nennt sich inzwischen Christof Ganz und muss noch vorsichtiger sein, denn sein letztes Abenteuer, beschrieben im Vorgängerroman Berliner Blau (2019), hat ihm zu all dem Ungemach, das ihn seit Kriegsende verfolgt, auch noch die Ostberliner Staatssicherheit als Todfeind beschert. Also sich still verhalten, keinesfalls auffallen und vor allem nicht von jenen erkannt werden, mit denen ihn seine Karriere im Dritten Reich einst zusammenbrachte. Ein Job als Leichenwärter im Schwabinger Krankenhaus scheint dafür wie geschaffen zu sein. Als freilich nach der Explosion eines Blindgängers erst eine unbekannte Leiche und kurz darauf die Polizei an Gunthers neuem Arbeitsplatz auftauchen, passiert doch, was zu vermeiden Kerrs Held sich immer anschickt.

Schramma heißt der Kriminalsekretär, der sich an eine Begegnung mit Gunther vor über 20 Jahren erinnert und seine Kenntnis über die wahre Identität seines Gegenübers sofort dazu benutzt, ihn zu erpressen und in ein verbrecherisches Komplott zu verwickeln. Das läuft freilich ganz anders als von dem korrupten Beamten geplant und bringt Gunther ein Wiedersehen mit einem weiteren alten Bekannten aus seiner Zeit in der Kriminalbehörde am Berliner Alex. Aus Dankbarkeit vermittelt der ihm schließlich einen neuen Job als Schadensermittler bei der Münchner Rück. Aber was sich nach einem „Ende gut – alles gut“ anhört, ist erst der Beginn eines Abenteuers, das Kerrs Helden nach Griechenland und mitten hinein in die Nachwehen eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Nazireichs führen wird. Und auch mit seinen beiden Münchner Bekannten wird sich der Weg von Gunther noch einmal kreuzen.

In dem Versicherungsfall, den er in Athen aufklären soll, geht es um stolze 35.000 D-Mark. Mit dieser Summe hat ein deutscher Abenteurer sein Schiff versichert, das nach einem Brand an Bord untergegangen ist. Doch vieles an dem Unglück will sich nicht erschließen. War der Sporttaucher wirklich in der Ägäis unterwegs, um gemeinsam mit einem Münchner Archäologie-Professor und unter Zustimmung der einschlägigen griechischen Ministerien antike Schätze zu heben? Und wohin ist dieser Professor Buchholz nach der Katastrophe verschwunden?

Noch während Gunther versucht, all den Ungereimtheiten auf den Grund zu kommen, wird der Schiffskapitän Opfer eines Mordanschlags und plötzlich hat Kerrs Held, die griechische Polizei davon zu überzeugen, dass er nicht der Täter ist. Als sich schließlich noch der israelische Geheimdienst und einige international gesuchte deutsche Kriegsverbrecher vor Ort in die Sache einmischen, wird es auch für Bernie Gunther immer brenzliger, zumal sich endlich herausstellt, dass es den beiden modernen Argonauten keineswegs um das Heben von antiken Schätzen ging, sondern um einen Goldschatz, den die Nazis 1943 den Juden von Saloniki geraubt hatten und beim Abtransport durch ein Unglück an das Meer verloren.

Trojanische Pferde erzählt seine Geschichte geradliniger als man das von den letzten Bänden der Reihe her kennt. In denen wechselten sich jeweils eine Gegenwarts- und eine Vergangenheitsebene ab. Als verbindendes Glied zwischen den beiden fungierte die Hauptfigur. Diesmal bleibt Philip Kerr vollständig in der Aktualität des Jahres 1957. Allenfalls kurze Rückerinnerungen einzelner Personen an die Zeit der Besetzung Griechenlands und die Verbrechen an den hier lebenden Juden, die zum Verständnis der Gegenwartshandlung nötig sind, werden eingeblendet.  

Dass Bernie Gunther sich nicht nur die Schäden, mit denen ihn sein neues Arbeitsleben konfrontiert, zu regulieren anschickt, sondern sich schließlich auch immer mehr darum bemüht, nicht länger vor sich selbst davonzulaufen, sich seiner Vergangenheit zu stellen und sich aktiv um Wiedergutmachung zu bemühen – „Wiedergutmachung ist eine ziemlich anmaßende Vorstellung für einen Typen wie mich, aber das ist es, worauf ich aus bin.“ – macht die schöne Doppelbödigkeit dieses Romans aus. Nachdem es „lange, lange her [ist], dass es mir so vorkam, als würde ich auf der richtigen Seite stehen und etwas Gutes tun“, sinniert Gunther bei seinem den Roman abschließenden Gang über die Akropolis weiter, dass, wenn nichts die hier versammelten Relikte einer großen Vergangenheit endgültig zum Verschwinden bringen konnte, auch für ihn ein Platz in der Nachkriegs-Weltordnung vorhanden sein sollte, an dem er sich wieder lebendig und real fühlen könnte.

Wo dieser Ort zu finden wäre, deutet der Roman zwar kurz an, doch seinem Autor blieb leider nicht mehr die Zeit, aus dieser vielversprechenden Andeutung eine weitere Bernie-Gunther-Geschichte zu formen.

Titelbild

Philip Kerr: Trojanische Pferde.
Aus dem Englischen von Axel Merz.
Wunderlich Verlag, Hamburg 2020.
512 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783805200462

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