Zum Guten verführt?

Dorothea Erbele-Küster über den Grenzbereich zwischen Ethik und Ästhetik

Von Lukas PallitschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lukas Pallitsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gemeinhin verführt das Böse und dem sollte man widerstehen. In pointierter Weise arbeitete Paulus den Widerspruch zwischen Gut und Böse in Bezug auf menschliches Handeln im Römerbrief heraus: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ (Röm 7,19) Nun zäumt Dorothea Erbele-Küster eine theologische Intervention von der anderen Seite her mit der These auf, dass entgegen landläufiger Grundmuster das Gute verführe.

Eine solche These lässt sich nur formulieren, wenn man bedenkt, dass feste Deutungsmuster aufgebrochen und einer Neuinterpretation unterzogen werden. Die Autorin sucht mit Blick auf die biblische Auslegungspraxis einen eigenständigen Zugang, den sie in einer umfassenden Einleitung entwickelt. Auf Basis dieser Schwellenarbeit im Grenzgebiet von Ästhetik und Ethik zieht die Alttestamentlerin Dorothea Erbele-Küster in drei Interpretationsgängen prominente Bibeltexte heran, um sie auf deren poet(h)isches Substrat abzuklopfen. Da es ein Essay ist, bleibt es bei einem Versuch.

Vieles an diesem schlanken Büchlein ist gelungen. Zunächst wird das Verhältnis zwischen Ethik und Ästhetik auf der biblischen Folie umfassend bestimmt. Als Repräsentant des Sündenfalls hat sich die Schlange ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Ausgehend von dieser Episode dekonstruiert Erbele-Küster die geschlechterspezifische Zuspitzung mit der gängigen Gleichsetzung des Weiblichen mit der Sinnlichkeit – und letztlich deren beiderseitige Abwertung. Es folgt ein Parforceritt vom Sündenfall bis zur Lebenskunst, bei dem Erbele-Küster die konventionellen Leserichtungen wendet. Gerade die Lust am Text, wie sie Roland Barthes an der Schnittstelle von strukturalistischem und poststrukturalistischem Verständnis beschwor, soll den Rezeptionsvorgang steuern. Dabei geht es nicht um eine Kontrastierung von Ethik, verstanden als Reflexion auf die Unterscheidung von Gut und Böse, und Ästhetik als der Lehre der sinnlichen Erkenntnis, vielmehr sollen diese einander ergänzen. Für den rezeptionsästhetischen Zugang wird ein dialektisches Wechselverhältnis fruchtbar gemacht, das mit dem Dreischritt von Poiesis, Aisthesis und Katharsis als literaturästhetisches Modell eine Grundlage für den Pakt zwischen Text und Rezipient parat hält.

Allerdings bleiben die essayistisch geleiteten Grundlegungen in den Interpretationsgängen mitunter etwas in der Luft hängen, die Fäden werden nicht konsequent gezogen, es bleibt stellenweise bei historischen Überlegungen oder bei der Analyse von historischen oder exegetischen Details. Unverkennbar lässt sich diese Untersuchung in der Tradition der Bibel als Literatur bzw. Philosophie rücken, bei der bereits zuvor so unterschiedliche Autoren wie der Narratologe Meir Sternberg, die Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal oder der Judaist Daniel Boyarin nach neuen Zugängen und Brückenschlägen zwischen Kultur- und Literaturwissenschaft, Theologie, Judaistik und Religionsgeschichte suchten. Wie das Gros der Studien sucht die Autorin eine kritische Distanz zum immer noch vom Glauben behüteten Bibeltext. Gemessen an den Entwicklungen des, aus den angloamerikanischen Debatten entstandenen, Diskursfeldes Bible as Literature sind die hier angestellten Überlegungen und Ausführungen weniger lebhaft gestaltet. Zweifelsohne, die Arbeit ist akribisch, haftet aber in den Analysedurchgängen an Detailfragen, sodass sich der Blick nicht immer auf den größeren philosophischen Kontext weitet.

Sowohl in der systematischen Anlage als auch in der Textauswahl überzeugt die Kleinstudie von Dorothea Erbele-Küster. In drei exemplarischen Lektüredurchgängen widmet sich die Autorin mit Gen 3, Gen 1 und Ps 1 jeweils einem locus classicus der biblischen Tradition. Ins thematische Zentrum rücken die Lust, die Schönheit und das Glück. In überzeugender Weise werden poetische Struktur und ethische Urteilsbildung wechselseitig aufeinander bezogen. Auf Basis der ethischen Implikationen einer Poetik der Schöpfung wendet sich die Autorin der Sieben-Tage-Struktur zu, um dann das Sabbat-Tun auf den Dekalog zu beziehen. Unterbrechung und Vollendung des siebenten Tages können im Sinne einer impliziten Ethik als „Glück des Verweilens“ verstanden werden. Mit dem Wortspiel einer PoEt(h)ik der Schöpfung versucht die Autorin in den ästhetischen Strukturzusammenhängen eine ethische Signifikanz zu entdecken. In diesem Sinn wird die Heiligung der Schöpfung mit der Unverfügbarkeit der Natur verbunden. Teleologisch impliziert dies, dass die Szenerie nicht auf den Menschen als Krone der Schöpfung zuläuft, sondern auf eine Ethik des Sabbats. Gleichwohl haben die repetitive Konstatierung „es ist gut“ und die metanarrative Interjektion „siehe“ als Vollendung des letzten Schöpfungsaktes Züge eines hymnischen Rhythmus.

Obschon diese PoEt(h)ik in ihrem Material schlank angelegt ist, der Ertrag der essayistischen Erkundungen ist erheblich. Die Studie bündelt wichtige Themen und stellt sie unter neuem Gesichtspunkt vor. Was Dorothea Erbele-Küster unternimmt, ist schlicht, doch innovativ und wichtig für interdisziplinäre Brückenschläge: Die Alttestamentlerin liest die Texte nicht nur in der religiösen Überlieferung, sondern unter narrativen, ethischen und ästhetischen Gesichtspunkten.

Titelbild

Dorothea Erbele-Küster: Verführung zum Guten. Biblisch-theologische Erkundungen zwischen Ethik und Ästhetik.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2019.
112 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783170354654

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