Leider kein Schweinepriester

Was Franz Meurers „Glaube, Gott und Currywurst“ so unzeitgemäß macht

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Franz Meurers „Platz bei den Menschen“ ist, scheint sein Buch zu bestätigen: Am Beispiel des kölnischen Sozialraums „Veedel“ zeigt der katholische Priester auf, wie die Kirche inklusiv sein kann und dabei auch die Interessen jener berücksichtigt, die kaum auf finanzielle Ressourcen und/oder viele Bildungsmöglichkeiten zurückgreifen können, die Schicksalsschläge erlitten haben oder sich ganz einfach durch eine alternative religiöse, kulturelle oder sprachliche Zugehörigkeit auszeichnen.

Viele aktuelle Probleme der Kirche finden sich im Buch wieder: So beschreibt Meurer anfangs am Beispiel Maria Magdalenas, welches feministische Potenzial der christliche Glaube enthalten könnte, wenn man den weiblichen Figuren in der Bibel mehr Aufmerksamkeit schenken würde. Auch ökologische Fragen werden dabei – immerhin – berührt.

Einerseits erläutert der Autor dabei detailliert und exemplarisch die vorbildhafte Funktion, die Glaube und Kirche auch in einer ärmeren Gemeinde einnehmen können, andererseits bewegt sich der selbstbeweihräuchernde Ton des Buchs häufig an der Schmerzgrenze: Mit Präzision wird das „Menschenhaus“ (der Kirchenbau) und jede seiner Etagen präsentiert, mit Stolz berichtet der Priester auch von den kleinsten Tätigkeiten in der Gemeinde, von denen jede mit großer Bedeutung aufgeladen wird. Alles erscheint in einem tadellosen Licht, ganz so, als sei es die Kirche, die Meurers „Veedel“ zu einem besseren, mündigeren, „menschlicheren“ Ort gemacht habe. Beurteilen lässt sich das schwer, bezweifeln jedoch durchaus.

Unangenehm fällt beispielsweise auf, dass Meurer in einer Seitenbemerkung die christliche Religion gegenüber dem Hinduismus aufwertet. So heißt es, in seiner Gemeinde habe ein evangelischer Pfarrer zehn Jahre lang jeden Abend zwei Toilettenwagen geputzt, während ein Brahmane in Indien sich sicherlich zu schade für so etwas sei. Christliche Hierarchien funktionieren demnach, so Meurer, von unten, und zeugen von Barmherzigkeit. Das ist ein kulturell extrem verkürzter Blick, der Meurer wenig Einsicht in andere religiöse Glaubensgemeinschaften und -systeme attestiert.

Doch bereits der Buchtitel und das Covermotiv grenzen, euphemistisch formuliert, an Realsatire. Die „heilige Trinität“ von Glaube, Gott und Currywurst wird mit einer Darstellung tierlicher Körperteile (Currywurst), auf denen das zugehörige Besteck in Form eines christlichen Kreuzes thront, inszeniert. Deutlicher lässt sich kaum sagen, für wie irrelevant Autor und Verlag tierliche Interessen und speziesübergreifende politische Belange halten. Die Sogkraft des Wortes Mensch (oder Menschlichkeit), das dem Untertitel seine Schlagkraft gibt, ist natürlich kaum zu überbieten, und jede Abgrenzung zu anderen Tieren gilt auch heute noch den meisten Menschen als emanzipatorisch – Charlie Chaplins Ausspruch „we are not cattle“ ist ein Beispiel dafür, der auch im Buch gern bemühte Ausdruck Menschenwürde ein weiteres. Der Untertitel des Buchs, „Unser Platz ist bei den Menschen“, klingt fast so, als sei das auf moralischer Ebene etwas neues, und als habe man in den vergangenen Jahrhunderten nichts anderes gemacht, als Menschen für ihr Menschsein zu unterdrücken und allen anderen Tieren ein glückliches Dasein voller Leichtigkeit und Freiheit zu verschaffen. Auch, wenn diese anthropozentrische Demarkationslinie von Meurer nicht intendiert sein muss, so wäre es intelligent gewesen, sich ihrer Reproduktion durch Titel und Coverbild bewusst zu sein.

Zudem ist völlig unklar, wer mit „die Menschen“ gemeint ist. Es kann sich jedenfalls nicht um die Menschen handeln, die unter den Konsequenzen des Fleischkonsums großer Industrienationen zu leiden haben, und auch nicht um jene Menschen, die dieses Problem längst erkannt haben. Dass der Menschenbegriff hier ganz im Sinne humanistischer Dogmen unscharf bleibt, ist auch der denkbar einfachen Sprache des Buches geschuldet. Gefüllt mit Plattitüden, die teilweise einem Kinderbuch entnommen scheinen, verkündet das Buch: „Weil uns alles geschenkt ist, wollen wir in unserem Viertel auch großzügig sein. Mit Pommes und Würsten. Mit Liedern im Gottesdienst. Mit dem, was Menschen mögen.“ Es gibt einige Personen, die Würsten und Gottesdiensten skeptisch gegenüberstehen. Sind das dann keine Menschen? Passen Menschen, die sich gesund und nachhaltig ernähren wollen, die alternative Welterklärungsmodelle anbieten und leben, nicht in das Weltbild des Autors?

Grundsätzlich verstrickt sich Meurer in humanistische, werttheoretische Paradoxien, wenn er die Idee der fundamentalen Gleichheit aller Menschen gegen nicht-menschliche Tiere ausspielt. Einerseits wird ihm, wie er schreibt, „schlecht“, wenn er an die Fischmägen voller Plastik oder an Lebensmittelverschwendung denkt, andererseits scheint ihm nicht bewusst zu sein, unter welchen Umständen seine vielbesungene Currywurst einmal gelebt hat und welche verschärfenden Folgen das System, in dem dieselbe Wurst entstanden ist, für das Artensterben und den Klimawandel hat. Diese lückenhafte Ethik ist selbstredend weit verbreitet und zeugt von einem inkonsistenten moralistischen Bekennertum. Allerdings sollte von einer Person des öffentlichen Lebens, die im Herder Verlag ein Buch als „Hoffnungsträger“ veröffentlicht, etwas mehr zu erwarten sein.

Tatsächlich wird die Idee der fundamentalen Gleichheit aller Menschen für die Mehrzahl all jener, die Meurers Buch lesen, unverdächtig bleiben. Zu oft wird im Alltag das Menschlichkeitsidiom affirmiert und perpetuiert, zu sehr gilt uns dieses humanistische Ethos als normatives Ideal. Was menschlich ist, muss gut sein, und wer „bei den Menschen ist“ wie Franz Meurer und seine Gemeinde, der macht alles richtig. Der Humanismus, der diesem Dogma zugrunde liegt, gebärdet sich seit seinen Anfängen als universell, inklusiv, offen, liberal, rational, solidarisch, zivilisiert, barmherzig und verantwortungsvoll. Seine Hochschätzung der Gnade mit den Schwächeren, ganz so wie sein Ruf nach der Gleichberechtigung aller, endet jedoch bereits bei der eigenen Speziesgrenze.

Der Priester spricht beispielsweise viel von Schöpfungsverantwortung, erwähnt lobend Greta Thunberg und die vielen aktiven Kinder und Jugendlichen, vergleicht ihre Ethik mit jener des Papst Franziskus, benennt das Artensterben und den Klimawandel: „Wir sollten unsere Haltung ändern“, schließt er, und: „So kann es nicht weitergehen.“ Weiter heißt es, dass „(j)edes Ding und jedes Lebewesen“ miteinander in Verbindung stehen. Das mit dem Plastik, der Umweltzerstörung und der Gewalt gegen die Natur müsse ein Ende haben. Wenn das jetzt aber hieße, auf die Currywurst zu verzichten, geht das offenbar einen Schritt zu weit. Dabei wäre das eigentlich einer der einfachsten und effektivsten Schritte, „unsere Haltung zu ändern“. Papst Franziskus wurde im letzten Jahr noch angeboten, für eine Million Dollar, die er dann für wohltätige Zwecke spenden könne, wenigstens während der Fastenzeit vegan zu leben. Das Angebot hat er abgelehnt. So viel zum Veränderungswillen innerhalb der katholischen Kirche, von dem Meurer in seinem Buch so schwärmt.

Meurer gibt sich nicht nur als Schöpfungsbewahrer, sondern will sich auch kapitalismuskritisch zeigen. Auch dabei bezieht er sich wieder auf den Papst: „Der Papst verurteilt einen nackten, radikalen Kapitalismus. Den hat er in seinem Heimatland Argentinien kennengelernt.“ Abgesehen davon, dass diese beiden Sätze für sich genommen schon politisch einfältig und bedenklich klingen, wenn man weiß, wie viel Geld der Vatikan besitzt und wie er damit umgeht, überrascht auch, dass Meurer von der argentinischen Landwirtschaft spricht, ohne die europäische Mitschuld an ihrer Lage und ihre Bedingtheit durch den Fleisch- und Milchkonsum zu benennen. Unverblümt wird einerseits zurecht erkannt, dass Argentiniens fruchtbare Böden 300 Millionen Menschen ernähren könnten, was aber unter den jetzigen Bedingungen nicht möglich ist – andererseits ist eines der Leitmotive des Buches, dass Fleischkonsum verbindend und gut sei. Wer Currywurst habe, solle Currywurst geben, denn das verbinde Menschen und man zeige dadurch Großzügigkeit. Der Autor scheint nicht zu wissen, dass der Soja-Anbau in Südamerika fast ausschließlich dem tierindustriellen Komplex dient und am Ende in den Trögen der Lebewesen landet, deren Fleisch, Eier und Milch wir vor den heiligen Hallen Gottes konsumieren. Nicht nur bezeichnet Meurer den Kommunismus in einem unscheinbaren Nebensatz als totalitaristisch, sondern inszeniert sich wie gewohnt auch als Freund und Helfer des einfachen Volkes, spricht von den simplen Dingen des Alltags, ohne ein einziges Mal in die Tiefe zu gehen oder seinen Leser*innen eine Horizonterweiterung zuzutrauen. Leider löst die Rhetorik des kleinen Mannes nicht die Probleme einer großen Welt, sondern befeuert sie. Das sollten gerade solche Menschen bedenken, die mit ihrem Werk und ihrer Stimme in der breiten Öffentlichkeit stehen – also auch Meurer. 

Darüber hinaus bleibt Meurers Grund dafür, dieses Buch überhaupt geschrieben zu haben, weitestgehend unklar. Anfangs nennt er zwar zwei Gründe: Man müsse eben „zeigen, was es noch nützen kann, in der Kirche mitzumachen“, und im ersten Petrus-Brief der Bibel stehe, dass man jedem Menschen Rede und Antwort stehen solle, „denn ihr habt ein reines Gewissen (1 Petrus 3, 15-16)“. Allerdings wird nicht deutlich, weshalb gerade eine Institution wie die Kirche – oder ein Autor, der Mitgeschöpflichkeit und Currywurst in einem Atemzug nennt – sich unmittelbar auf ein reines Gewissen berufen kann. Die Kritik am Anthropozentrismus jedenfalls beschränkt sich bei Meurer auf Gott: Den Anthropozentrismus zu überwinden bedeutet, so Meurer, dass man auf Gott hin denken müsse und nicht auf den Menschen. Dass ein paar andere Spezies dazu auch noch ein Wörtchen zu sagen hätten, fällt dem Autor nicht ein. Zudem ist Meurers Gedanke nicht neu und hat auch in christlichen Diskursen bereits Tradition.

Ein denkbares Ziel des Buches scheint es vielmehr zu sein, die Kirche wieder nahbarer erscheinen zu lassen. Einerseits behauptet der Autor dabei, eine volle Kirche als oberstes Ziel zu setzen sei problematisch: „Wer die Kirche voll haben will, hat sie leer. Warum? Weil es das falsche Ziel ist.“ Diese Erkenntnis steht jedoch in radikalem Widerspruch zu Meurers auffälliger Freude darüber, dass seine Kirche dank des sozialen Engagements der Gemeinde so gefüllt sei. Immer wieder betont der Priester dabei auch, dass Dankbarkeit gegenüber Gott heilsam und gut sei und dass er dies auch Eltern vermitteln wolle, die mit ihren Kindern gemeinsam beten möchten: „Wenn sie mit ihrem Kind beten, öffnet sich ein Raum der Andacht für alle Beteiligten. Kinder wie Eltern stehen dann gemeinsam vor Gott in einer entspannten Atmosphäre. Zusammen sind sie dankbar.“ Das mag eine etwas idealisierende Perspektive auf die Ausübung des christlichen Glaubens sein, die leider auch in Anbetracht globaler Probleme nicht immer zeitgemäß ist. Meurer spricht diese Probleme teilweise an – ganz wie es heute zum guten Ton gehört –, doch seine Lösungsvorschläge sind karg.

Sein christlicher Anthropozentrismus, die darunterliegenden humanistischen Dogmen und inkohärenten Werttheoreme koproduzieren einander dabei nur. Autor*innen wie Meurer, die sich für eine bessere und ökologischere Welt aussprechen, verfallen bei aller Fortschrittlichkeit und Reflexion immer noch einer gattungsnarzisstischen Versuchung, die in ihrer normativen Folgsamkeit die Tiere vergisst: Das Menschlichkeitsidiom, dessen sich Meurer bedient, ist nicht nur inklusiv – das heißt: feministisch, antirassistisch etc. –, sondern auch exklusiv gegenüber allem, was nicht menschlich ist. Wirklich mutig gewesen wäre es, in Anbetracht speziesübergreifender ökologischer Probleme auch den Begriff des Menschen herauszufordern und zu fragen, was die Kirche dazu wirklich zu sagen hat. Das hat Meurer leider nicht geleistet. Stattdessen ist das Buch gespickt mit persönlichen Kommentaren, Einblicken in das gemeinschaftliche Leben des Autors und wenig unterhaltsamen Plattitüden. Das wäre kein Problem, wenn es nicht auf Kosten eines wichtigen ökologischen Diskurses ginge.

Es ist einfach, große Worte darüber zu schwingen, dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, dass der Klimawandel unser aller Existenz bedroht, dass wir mit dem „restlichen“ Leben auf der Erde eng verwoben sind und endlich handeln müssen. Dass auch die Kirche diesen Weg mitgehen müsse. Autor*innen, Politiker*innen, und viele andere Personen des öffentlichen Lebens, die sich so äußern, werden dabei allerdings selten konkret – meist geben sie sogar Empfehlungen in die falsche Richtung, weil sie bestimmte Zusammenhänge noch nicht erkannt haben oder nicht sehen wollen. Das gilt leider auch für Meurers Buch, ein Paradebeispiel des immer noch so anthropozentrischen Weltverbesserungsgebarens in der öffentlichen Diskussion.

Ein Buch jedenfalls, welches, wie der Verlag behauptet, „Mut macht, neue Wege zu gehen“, sollte nicht beim Menschen Halt machen. Das schadet am Ende auch uns selbst. Tatsächlich schlägt das Buch nur Wege vor, die längst begangen wurden, und enthält kaum einen innovativen Gedanken zur Frage, „wem die Kirche nützt“. Man kennt die Gegenrufe auf Demonstrationen: Kein Gott, kein Staat, kein Wurstsalat – und vielleicht ist das am Ende doch die bessere Alternative zu Meurers katholischer Werbebroschüre.

Titelbild

Franz Meurer: Glaube, Gott und Currywurst. Unser Platz ist bei den Menschen.
Herder Verlag, Freiburg 2020.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783451392399

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