Gesprächsweise

Alexander Kluge in Dialogen mit Ferdinand von Schirach und Joseph Vogl

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ich bewundere Alexander Kluge. Ich bewundere, was Joseph Vogl gleich zu Beginn eines der beiden neuen Gesprächsbände Kluges „Navigationsfähigkeit“ nennt, die seine Gespräche – und all seine Texte haben etwas von einem Gespräch – auszeichnet. Diese Texte sind dabei Unterhaltungen und Unterhandlungen über Geschehenes, und zwar über die Auffassungen, die durch ein Ereignis (seine „Eventualität“) hervorgebracht werden oder die selbst ein Ereignis hervorbringen.Sie bieten also nicht einfach den Zugriff des gesunden Menschenverstandes, der auch nicht zu verachten ist, dem es aber mindestens an jener Tiefenschärfe fehlt, die hier entwickelt wird: wenn nämlich im Gespräch das Interpretament, das einer kolportierten Situation und Handlung zugrunde gelegen haben mag, seinerseits gedeutet und dann auch noch diese Deutung im Dialog verhandelt wird. Und „manchmal wird man damit so weit gebracht, Dinge zu erzählen, die man bis dahin selbst noch nicht wusste“, wie Vogl sagt.

Das gelingt Kluge mit diesen beiden Gesprächspartnern verlässlich. Sowohl mit dem Literatur- und Kulturwissenschaftler Joseph Vogl als auch mit dem Juristen und Schriftsteller Ferdinand Schirach führte er schon in der Vergangenheit Dialoge, die in Buchform vorliegen: Soll und Haben mit Vogl, mit Schirach Die Herzlichkeit der Vernunft. Dabei ist Vogl jener, der mehr in die Gesprächsführung einzugreifen scheint, beide stellen hier Fragen, beide nötigen einander bündige Formulierungen, doch auch relevante Umwege ab, jedenfalls da, wo Vogl nicht Thesen seiner Arbeiten referiert, etwa aus Der Souveränitätseffekt, wenn es um „Machttechnologien“ geht. Aber auch Schirach, der oft in der Rolle des Anwalts die Hypothesen Kluges bestätigt, ist ein starkes Gegenüber.

Kluge also verhandelt, denn er mag das bloße Meinen nicht: Liest man seine Gedanken zum Virus, ahnt man, warum das so ist: Beide, Doxa und Corona, sind „Bruchstücke von Intelligenz“. Beide hinterlassen „ein Loch in der Wirklichkeit“, wie Vogl im assoziationsreichen Austausch über die Wirtschaftskrise formuliert. In beidem ist der Mensch der „Zwerg seiner eigenen Verhältnisse“. Dagegen steht der Text als Echolot, das Gespräch wird, oder das Gespräch, das Echolot wird, ähnlich einer Fledermaus: „Alle Menschen sind Fledermäuse in diesem Sinn“, wie Kluge bemerkt – der dieses Bild übrigens schon früher gebrauchte, und zwar für Walter Benjamin –, um dann auf das Potential dessen, was diese Fledermäuse zu leisten vermögen, noch so einzugehen: „Die Staatsgeheimnisse stehen alle im Wirtschaftsteil der F.A.Z.“… Das Virus drohe die Gesprächskultur zu zerstören,  eine engstirnige Bekämpfung von Corona separiere die Gesellschaft in biologische Einheiten und Hausstände. Auf Kluges Vorschlag, man solle die Gültigkeit auch anderer „Verwandtschaften“ als der familiären reklamieren, erwidert Schirach: „Es dürfte schwer werden, einen Polizisten davon zu überzeugen, dass Geistesverwandtschaft das Gleiche ist wie ein gemeinsamer Hausstand.“

Dass das Virus das Soziale in Frage stellt, ist das Hauptthema der beiden Dialoge mit Schirach: „Trotzdem“ gebe es das Gespräch, so sagt schon der Titel. Aufgrund der Anlage der Texte, der Dynamik der Assoziationen, ist es allerdings nicht immer leicht anzugeben, was die Themen der Improvisationen sind. Kluge beschreibt etwa die Eingriffe in Grundrechte und kommt dabei auf die schwankende Expertise, die alle Wissenschaft kennt. Schirach solle sich vorstellen, er sei der Bundeskanzler. Was würde er dann beschließen, wenn etwa drei Virologen drei verschiedene Modelle als richtig beurteilen, nämlich „alles herunter[zu]fahren“, „möglichst viele Menschen [… zu] infizieren“ oder es mit Öffnungen und Schließungen zu versuchen, mit einer „Art Stotterbremse für das öffentliche Leben“. In diesem Zusammenhang kommt Schirach auf sein Stück Terror zu sprechen, weil es auch da um Entscheidungsgewalt geht, aber doch in einer anderen Konstellation. Bis zum Divergieren von Realität und Utopie in den Erklärungen der Menschenrechte in Frankreich und den USA führt der Dialog. Eine Utopie ist dann auch, dass Corona als „Naturkatastrophe […] eine Wende“ auslösen könnte, wie das Erdbeben in Lissabon nämlich, das Kluge „Katalysator im Prozess der Aufklärung“ nennt.

Weil die Dialoge mit Vogl sich von vornherein mit verschiedenen Themenstellungen befassen, sind sie inhaltlich teilweise klarer. Das „Gespräch über Gespräche“ skizziert zunächst, worum es bei Dialogen an sich gehen könne. Auch da kommt man auf (Goethes) Wahlverwandtschaften, auf Nachrichten an manches „hypothetische Wesen“ zu sprechen. Im zweiten Text, zunächst einem gemeinsamen Nachdenken über Moby Dick, geht es um den Naturbegriff, auch um den Kampf des Menschen gegen die Natur: Sogar als Feind habe sie etwas Verlockendes; „attraktiv“ an ihr seien etwa „die Kausallöcher“, wie Vogl bemerkt, und auch die monströse „Überdeterminierung“ an ihr fasziniere, wenn es um Ungeheuer geht.

Der Natur im Menschen selbst geht das nächste Gespräch auf den Grund, der Bestie, die er sei, aber auch der Maschine, die er zuweilen sein wolle. Daran anschließend wird mit dem Thema „Geld“ dieser Aspekt vertieft, ein „Kältestrom“ sei es, während der Mensch „temperiert“ sein müsse. Erträgt es der Mensch, wenn „der Markt […] und seine Gesetze […] die Vertreter Gottes auf Erden“ sind? Ein weiterer Gedankenaustausch betrifft „Geister in den Maschinen“. Und die Meditation zu Europa nimmt vorweg, was dann der Dialog über Macht ausführlich behandelt: Existiert Macht nur dann, wenn sie  „Nachhaltigkeit“ für sich beanspruchen, also „sich selbst reproduzieren kann“? Hier berühren Kluges Gespräche mit Vogl einerseits und Schirach andererseits einander, bis zum Thema des Erdbebens von Lissabon, das sich im Austausch mit Vogl auch auf die Finanzkrisen bezieht. „Schöne Ansichten der Zerstörung“ beschließen den Band.

Die Krise als Chance bestimmt diesen letzten Text thematisch, als Vorgehensweise prägt diese Idee jeden der Dialoge. Man braucht ein Gegenüber, der Mensch bedarf dieser ihm wie gesagt oft vorenthaltenen Verwandtschaft, dieser Selbstvergewisserung im Gespräch. Das bedeutet nicht, dass ihn der Text bessere. Vielleicht ist es bloß so, dass die Meinungen und die Menschen, die nur diese vertreten, „in ihrer Grausamkeit […] ,ungeschickt‘“ sind. Sie kennen nicht die „Fließgesetze der Macht“. Die Zunahme an Geschicklichkeit – Vogl nennt es Kluge betreffend dessen Humanismus – ist dagegen mit Hoffnungen verbunden. Sonst gäbe es immer nur die Meinung: die bestenfalls die letzte, mächtigste wäre. „Es gibt keine Gutartigkeit Gottes“, wie Kluge dazu bemerkt. Das klingt düster, aber das Gespräch bleibt ja. Es weist über sich hinaus, als Komplexitätsverdacht, so überdauert es noch Gott, jedenfalls jede Imagination von Souveränität, die man mit diesem Namen verknüpft.

Die Gespräche Kluges mit Vogl wie auch mit Schirach ergeben sich aus diesem notwendigen Überdauern, sie machen geschickter. „Erzählerischen Charakter“ habe das, was ist – man verstehe es also auch nicht anders. Die „möglichen äußeren Grenzen“ seien „innerhalb […] erkennbar“, wie Vogl, übrigens mit Bezug auf „Kakanien“, bemerkt, man kann und muss nicht wie ein vorgestellter Gott auf die Dinge blicken, der das doch auch nicht zu tun vermag, was die sprachliche Auseinandersetzung leistet. Diese sei wie eine Haut, von der Kluge sagt, sie irre sich – im Gegensatz zum Auge – nicht, sie sei das „kritischste“ Organ.

Unsere Zeit bedarf guter Orientierungshilfen und damit auch dieser Bände. Anzumerken ist noch, dass die Gespräche mit Vogl in allerdings erheblich gekürzten Fassungen verstreut schon vorlagen. Ebenso sei erwähnt, wie sorgsam in diesem Band die Kommentierung bis hin zum Register ist. Da es oft Gespräche über Gesprächs- oder Textsituationen sind, über Walter Benjamin, Michel Serres und viele andere, ist man dankbar dafür.

Titelbild

Ferdinand von Schirach / Alexander Kluge: Trotzdem.
Luchterhand Literaturverlag, München 2020.
80 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783630876580

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Alexander Kluge / Joseph Vogl: Senkblei der Geschichten. Gespräche.
Diaphanes Verlag, Berlin 2020.
208 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783035803471

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