FBI #140-35907 – Die Akte Charles Bukowski

Der FBI-Bericht liefert wenig Kompromittierendes über den Autor, sagt aber viel über den ahnungslosen Umgang der Behörde mit dem literarischen Untergrund

Von Rafael Arto-HaumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rafael Arto-Haumacher

Nach zahlreichen Gelegenheitsjobs erhielt Charles Bukowski im Jahr 1959 eine Festanstellung beim Post Office Department Los Angeles. 625 Dollar verdiente er monatlich. Die Arbeit des Briefesortierens war körperlich nicht besonders anstrengend und auch mit einem morgendlichen Kater zu bewältigen. Zudem ließ sie Bukowski genug Energie, um abends und nachts zu schreiben. In diesem Job sollte Bukowski, ungewöhnlich für ihn, trotz massiver gesundheitlicher Probleme die folgenden elf Jahre bleiben.

Am 08. Januar 1968 wird er von einem Post-Kollegen bei seinem Vorgesetzten angeschwärzt. Dieser wiederum meldet dem Federal Bureau of Investigation (FBI), dass

he learned from a confidential source [….] that HENRY CHARLES BUKOWSKI, JR., a Distribution Clerk, […] was allegedly writing obscene articles for the “Open City” newspaper at Los Angeles, California, and that he was not married to the individual shown as his beneficiary for his Life and Health Benefits Insurance.

Das Schreiben pornografischer Artikel in obskuren Literaturzeitschriften und das Leben in wilder Ehe – diese Vorwürfe reichen für eine offizielle Untersuchung durch die Postbehörde und das FBI. Schließlich ist Bukowski als Postangestellter gleichzeitig Staatsbediensteter. Das FBI übernimmt dabei die Federführung. Dies liegt zum einen in den verschiedenen Funktionen begründet: Als Sicherheitsbehörde, die in zum Teil geheimdienstlicher Tätigkeit staatsgefährdende Aktivitäten untersucht, ist das FBI zugleich Teil des Justizministeriums und mit der Verfolgung von Straftaten befasst; zudem arbeitet es auch anderen Behörden zu, in diesem Fall der Post als staatlicher Organisation. Zum anderen muss man sich die politisch-soziale Lage in den USA des Jahres 1968 vergegenwärtigen: Massenproteste gegen den Vietnamkrieg, ein resignierender Präsident Lyndon B. Johnson, der unter Druck Friedensverhandlungen mit den Vietcong verkünden muss, Studentenrevolten, die Ermordung Martin Luther Kings, militante Rassenunruhen. All das ergibt eine Gemengelage, in der die Nerven der amerikanischen Staatsmacht blank liegen und überall Umsturzversuche und staatsfeindliche Vorgänge vermutet werden. „1968 was by far the most devastating year of the decade for Americans“, schreibt die Wissenschaftlerin Linda Churney. Zumal Literaten, staatlicherseits gemeinhin als kommunistisch indoktriniert eingeschätzt, häufig im Verdacht der Staatszersetzung standen: Neben Charles Bukowski wurden auch Autoren wie Truman Capote oder Henry Miller vom FBI überwacht.

Die FBI-Akte, die zu Bukowski angelegt wird und die die Ermittlungsergebnisse des FBI wie des Post Office Department enthält, trägt das Aktenzeichen 140-35907. Ihre Vertraulichkeitseinstufung wurde 1998 aufgehoben, sie war jedem amerikanischen Staatsbürger im Rahmen des Freedom of Information Act zugänglich. 2013 wurde sie auf der Webseite bukowski.net, einem zentralen Online-Informationsmedium zum Autor, veröffentlicht und ist mittlerweile auf der Ressourcen-Seite des FBI frei zugänglich. Bezüge zu Personen sind – außer zu Bukowski selbst – geschwärzt, jedoch lassen sich viele Verbindungen aus dem Kontext oder im Abgleich mit Bukowskis bekannten biografischen Informationen herstellen.

Bukowski ist für das FBI allerdings kein Unbekannter. Er wurde in den 1940er-Jahren bereits unter dem Aktenzeichen 454414 geführt. Er hatte der Musterungsbehörde bei seinen zahlreichen Umzügen keine Adressen mehr mitgeteilt. Daher wurde ihm unterstellt, sich der Wehrpflicht zu entziehen, worauf er einige Tage in Haft verbrachte, um letztlich aus medizinischen und psychischen Gründen ausgemustert zu werden. Ebenfalls dokumentiert ist eine FBI-Recherche zu Bukowski aus dem Jahr 1963.

Die Ermittlungen des Jahres 1968 folgen zwei Richtungen: Nachdem man verifiziert hat, dass er tatsächlich der Verfasser der Texte ist, ist das FBI vornehmlich daran interessiert herauszufinden, ob von Bukowski eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung ausgeht, während die Postbehörde prüfen möchte, ob Bukowski aufgrund sittlich-moralischer Verfehlungen aus dem Dienst zu entlassen sei. Süffisant stellt Bukowski die offiziellen Leitlinien für das Verhalten von Postangestellten in Der Mann mit der Ledertasche (1971) an den Anfang seines ersten Romans, in dem er seine Zeit als Postbediensteter aufarbeitet:

Alle Angestellten werden auf das Berufsethos für Postangestellte (siehe Abschnitt 742 der Dienstvorschriften) und das Verhalten der Angestellten (siehe Abschnitt 744 der Dienstvorschriften) hingewiesen. […] Vom Personal der Post wird erwartet, daß es nach den höchsten sittlichen Grundsätzen handelt, die Gesetze der Vereinigten Staaten achtet und sich im übrigen an die Vorschriften und Richtlinien der Postverwaltung hält. Neben einwandfreiem sittlichem Verhalten […] hat jeder Postangestellte die besondere Gelegenheit und Verantwortung, sich durch ehrbares und rechtschaffenes Verhalten des öffentlichen Vertrauens würdig zu erweisen. So trägt er zum guten Ruf und zum Ansehen der Post und der gesamten Bundesregierung bei.

Die inkriminierten Texte, als Beweise in der FBI-Akte hinterlegt, betreffen vier Kolumnen, die Bukowski im Untergrund-Magazin Open City 1967 und 1968 veröffentlicht hatte. In einem der Texte geht es um Malcom X, den schwarzen Autor LeRoi Jones (richtiger Name: Amiri Baraka, 1934-2014) und eine Diskussion zwischen dem Ich-Erzähler Bukowski und seiner Lebensgefährtin zur seinerzeit hoch aktuellen Rassenfrage:

„well, who do YOU think is the superior race?”
“it depends upon who you are, if you are white then the white race is superior, if you are black then the black, if you are yellow, then the yellow”

Dass sich ein Untergrund-Autor überhaupt mit der Rassenthematik beschäftigt, scheint für das FBI Verdachtsmoment genug. Eine Sympathie Bukowskis für die Black Power-Bewegung lässt sich aus der Kolumne dagegen keineswegs herauslesen. Bukowski hat ohnehin nie für eine soziale oder politische Bewegung Partei ergriffen. Das schützte ihn dennoch nicht vor dem späteren Vorwurf, rassistisch zu sein.

In einer anderen der im Fokus stehenden Kolumnen geht es um eine durchgeknallte Story mit trinkwütigen Pärchen, 5.000 freigelassenen Vögeln, verprügelten Ehefrauen, Sexszenen, imaginierter Sodomie, vergewaltigenden Polizisten und einem wollüstigen Pfarrer – ein gefundenes Fressen für die konservativ-puritanischen Behördenvertreter. In einer weiteren der Kolumnen äußert sich Bukowski negativ über seinen Postjob, was gerade der Postbehörde sauer aufstoßen muss: „IT’S A HORRIBLE PLACE. IT’S THE WORST PLACE YOU CAN BE.“ Außerdem haben die Special Agents des FBI eine Ausgabe des Untergrund-Magazins Mainstream aufgetrieben, in der Bukowskis Antwort auf einen Fragebogen von Walter Lowenfels abgedruckt wurde. Aber nicht die Antwort findet das Interesse des FBI, sondern die Tatsache, dass die Herausgeber von Mainstream die Antwort zensiert haben. Ihre ironische Begründung ist maschinenschriftlich von einem Beamten festgehalten:

Charles Bukowski’s reply is the only one which we have censored for obscenity […] But Mr. Bukowski, as he confesses, was drinking when he wrote his reply. Since we weren’t drinking when we edited him, nor do we think our readers will be drinking when they read him, we thought he had us at too much of an advantage.

Der Behörde gilt das als Beleg für die besonders anstößige Schreibweise des Verdächtigen, der sogar in einem moralisch als äußerst liberal geltenden Umfeld von seinesgleichen zensiert werden muss.

Aufgrund des vorliegenden Materials leitet das FBI eine offizielle Untersuchung, eine „full field investigation“, ein. Zunächst einmal fordert das Bureau alle verfügbaren Registereinträge von Behörden in Los Angeles an, später auch von New York, Philadelphia und New Orleans, wo Bukowski in jungen Jahren lebte. Die Akten des House Committe on Un-American Activities, die des Bureau of Investigations Civil Service Commission sowie des Passport Office enthalten jedoch keine Einträge. Das unstete Leben vor allem in den 1940er- und 1950er-Jahren zeigt die Auflistung der zahlreichen Adressen und Arbeitgeber Bukowskis. Sein „arrest record“ belegt einige kurze Inhaftierungen, hauptsächlich wegen Trunkenheit. In einem Fall ist eine Strafe von 20 Dollar belegt. Darüber hinaus ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein subversives oder illoyales Verhalten Bukowskis.

Außerdem belegen die Recherchen eine Ehe mit anschließender Scheidung sowie die Existenz einer Tochter. Bei der Ehepartnerin handelt es sich um Barbara Frye, mit der Bukowski von 1955 bis 1958 verheiratet war, sowie um Marina Bukowski, mit deren Mutter, Frances Smith, Bukowski zeitweise in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebte. Smith, die als „common law wife“, gemeint ist die spezielle amerikanische Art der Ehe ohne Trauschein, in den Akten geführt wird, wird ebenfalls überprüft: Sie hat, so hält man als belastendes Indiz fest, einige Treffen der Kommunistischen Partei besucht sowie ein Abonnement der People’s World, „a West Coast communist newspaper“, besessen.

Zumindest hinsichtlich der Ehen von Charles Bukowski lieferte die Akte für die Bukowski-Forschung ein interessantes Detail, denn die Einträge legen nahe, dass Bukowski bereits 1952 verheiratet war, und zwar mit Jane Cooney Baker, seiner langjährigen Geliebten, die er als Figur in zahlreichen seiner Texte verewigt hat. Diese Ehe hatte er offensichtlich in einem Formular seiner Personalunterlagen angegeben, wohingegen er bei der Eheschließung mit Barbara Frye behauptet hatte, zuvor nicht verheiratet gewesen zu sein. Auch wenn Bukowski die Ehe mit Jane Cooney Baker in drei Gedichten der Jahre 1959, 1960 und 1966 andeutet, hat er diese Heirat nie bestätigt. Sie konnte bis heute nicht durch einen Nachweis im offiziellen Marriage License Bureau belegt werden.

Nachdem die Abfrage der verfügbaren Register erledigt ist, beginnt ein weiterer, aufwendigerer Schritt bei den Recherchen. Zahlreiche Special Agents werden ausgeschickt und sollen Informationen von ehemaligen Vermietern, Arbeitgebern sowie vom Umfeld Bukowskis einholen. Eingeschärft wird den Ermittlern ein behutsames Vorgehen, insbesondere bei Recherchen im sensiblen Schul- und Universitätsumfeld. Keinesfalls dürfe bei den Befragten der Eindruck entstehen, „that the investigation is of a criminal or security type“. Man solle die Befragten vielmehr glauben machen, es gehe um eine „background investigation of the captioned individual who is an applicant or employee of the Federal Government“. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Untersuchung des Typs „Security Investigation for a Nonsensitive Position”.

Viel fördern die aufwendigen Vor-Ort-Recherchen nicht zutage. Die meisten ehemaligen Arbeitgeber, bei denen Bukowski nur kurz als ungelernter Arbeiter beschäftigt war (Supreme Lighting Company, Sunbeam Lighting Company, Merry Company oder Borg-Warner), können sich weder an Bukowski erinnern noch geben die Personalakten relevante Einträge her. Der Manager des Grafic Arts Center sagt sogar aus, seiner Meinung nach sei Bukowski „a loyal American.“ Ebenso können seine ehemaligen Vermieter oder Nachbarn – hier sind insgesamt mehr als 40 Personen befragt worden – nichts Negatives über den schreibenden Postangestellten sagen, ganz im Gegenteil: Einer seiner Vermieter gibt an, Bukowski sei ein „excellent tenant who never associates with any of his neighbors.“ Auch empfange er niemals Besuch, auch nicht von Frauen. Sogar Bukowskis High School-Zeit, immerhin seit fast 30 Jahren vergangen, wird durchleuchtet. Jedoch ergibt die Anfrage bei der Los Angeles High School, die Bukowski 1939 bis 1941 besuchte, lediglich, dass er eine durchschnittliche C-Bewertung hatte, ansonsten aber keine „derogatory information“ gespeichert sei. Im Zuge der Recherchen kommt auch die wiederholte Rückmeldung, man habe von Informanten, die in kommunistischen Kreisen verkehren, die Aussage erhalten, ein Henry Charles Bukowski sei dort weder aktiv noch bekannt.

Bukowski selbst wird von der Postbehörde zweimal zu einer Anhörung vorgeladen. Am 25. Februar 1968 schreibt er an seinen ersten Verleger Jon Webb:

Ich weiß nicht, ob ich es euch schon erzählt habe, aber ich bin bereits zum zweiten Mal von den Oberpostlern vorgeladen worden: Meine Kolumne, „Notes of a Dirty Old Man“, paßt ihnen nicht. […] Jemand hat mich angeschwärzt. Ich hätte ein uneheliches Kind in die Welt gesetzt, und ich wäre der Autor der beigefügten Kolumnen – manche Passagen waren mit Tintenkuli unterstrichen. Ich hatte etwas über die Zustände bei der Post geschrieben; das war ihnen gar nicht recht. Und dann noch was, wo es um Sodomie ging.

Eine der Anhörungen, die am 08. Februar 1968 in den Postbehördenräumen stattfand und eine Stunde dauerte, ist in den Akten protokolliert. Bukowski gibt zu, 41 Kolumnen für Open City geschrieben zu haben. Seine Kolumnen seien „an inter-mixture of fiction and fact“, sie seien stark fiktionalisiert – „highly romanticized in order to give the story juice“ – und aus reinem Spaß an der Sache geschrieben, „for sheer joy“.  Er gibt außerdem zu, in einer eheähnlichen Beziehung zu leben, über die er auch private Details preisgibt: „He admitted that she shares his appartment and bed from time to time and limited periods of a few days.“ Als Fazit gibt der verhörende Vorgesetzte zu Protokoll, er wisse zwar nichts über die Loyalität Bukowskis den Vereinigten Staaten gegenüber, aber den Verbleib im Postdienst könne er nicht befürworten: „his moral character leaves something to be desired. […] he would not recommend BUKOWSKI for retention as an employee of the USPOD [United States Post Office Department].”

Ob sich Bukowski im Klaren darüber ist, dass es hier nicht nur um eine Untersuchung durch seinen Arbeitgeber geht, sondern dass das FBI im Hintergrund eine größere Maschinerie in Gang setzt, ist nicht überliefert. Allerdings vermutet er durchaus, man wolle durch die Anhörung seine politische Gesinnung hinterfragen, denn am 20. April 1968 schreibt er an seinen Autorkollegen und Freund Harold Norse: „You find this hard to believe? I do too. Especially since I have no politics.“

Trotz enormen Rechercheaufwands kann Bukowski kein subversives Verhalten oder eine umstürzlerische Absicht nachgewiesen werden. Es bleibt lediglich der Vorwurf eines moralisch fragwürdigen Charakters. In der Rückschau mag es verwunderlich erscheinen, dass das FBI einen solch hohen Rechercheaufwand für einen zu der Zeit noch unpopulären Schriftsteller betrieb. Offensichtlich ging das FBI davon aus, ein Netzwerk subversiver Schreiberlinge offenlegen zu können. Fragwürdig ist überdies, auf welch breiter Ebene ein kleiner Postangestellter und amerikanischer Staatsbürger ausgespäht wurde, ohne dass mehr als ein dünner Anfangsverdacht bestand, der sich auf einige wenige Texte in Publikationen ohne wirkliche Breitenwirkung gründete.

Noch verwunderlicher ist es allerdings, dass das FBI keinerlei Versuche machte, die Szene des literarischen Untergrunds zu begreifen. Auch wenn das FBI in den 1960er-Jahren – wie Abel Debritto in seinem Standardwerk Charles Bukowski. King of the Underground von 2013 schreibt – viele literarische Untergrundzeitschriften beobachtet hat, zeugt die Bukowski-Akte von einer Engstirnigkeit im Umgang mit der literarischen Szene, die alles, was nicht offenbar kommunistisch oder originär politisch ist, ausblendet. Special Agents mögen zu jener Zeit im Umgang mit politischen Agitatoren geschult gewesen sein, der Umgang mit Literaten war offensichtlich nicht ihr Metier. Man hat weder den Versuch unternommen, die inkriminierten Bukowski-Texte anders als als Subversion und Pornografie zu interpretieren, noch ist man aufgabenrelevanten Fragen nachgegangen: Wie hoch waren die Auflagen und welche Breitenwirkung erzielten die Literaturmagazine? (Open City brachte es immerhin auf 35.000 Exemplare, die meisten anderen Magazine gerade mal auf ein paar hundert.) In welcher sozio-kulturellen Schicht wurden diese Magazine rezipiert? Wie war die Szene vernetzt? Wie war Bukowskis Stellung in dieser Szene? Wie war das Verhältnis zwischen literarischem Untergrund und Bürgerbewegungen? Hier stießen das Recherche-Instrumentarium und die Denkweise des FBI an ihre Grenzen.

Bemerkenswerterweise gibt es in der Akte zu Bukowski Mini-Dossiers, beispielsweise zur New Left School of Los Angeles oder zur linken Vereinigung Students for a Democratic Society. Dossiers, die weitaus aufschlussreicher gewesen wären, etwa zu den Magazinen oder den Schlüsselfiguren, sind dagegen nicht angelegt worden. Auch hatte sich 1963, als Bukowski offensichtlich schon einmal vom FBI ins Visier genommen wurde, ein Special Agent immerhin die Mühe gemacht, in die örtliche Bibliothek zu gehen und in drei literarischen Nachschlagewerken nach Bukowski zu suchen, natürlich ohne Ergebnis. Doch ähnliche Recherchen, die eine grundlegende Einordnung Bukowskis in die Literaturszene zugelassen und seine Eigenbrötlerrolle zutage gefördert hätten, sind 1968 ausgeblieben.

Man kann sicherlich froh darüber sein, dass das FBI in Bezug auf diese Fragen keinen gründlicheren Job gemacht hat. Der Versuch, sich intensiver mit der Szene zu befassen, in der Bukowski keineswegs fest verankert war, hätte womöglich weitere unterschwellige Repressalien gegen Autoren und Herausgeber bedeutet.

Als im Laufe der Untersuchung klar wird, dass Bukowski keine staatsfeindlichen Aktivitäten nachzuweisen sind, geht es offensichtlich nur noch um die Frage, ob er mit seinem als unsittlich empfundenen Charakter länger als Staatsbediensteter beschäftigt werden kann. Die Empfehlungen seiner Vorgesetzten fallen eindeutig zu seinen Ungunsten aus, außerdem kommt er auf eine ganze Reihe an dokumentierten gesundheitsbedingten Fehlzeiten. Seinem drohenden Rauswurf kommt Bukowski durch die eigene Kündigung zuvor, sodass er Anfang Januar 1970 aus dem Postdienst ausscheidet. Er hat von seinem Verleger John Martin das Angebot bekommen, für 100 Dollar im Monat professioneller Schriftsteller zu werden. Mit der Notiz „Resigned before determination was completed“ wird die FBI-Akte geschlossen, es werden keine weiteren belegten Recherchen angestellt. Im Leben des Charles Bukowski bleibt die Beobachtung durch das FBI allenfalls eine – sicherlich dubiose – Randnotiz.

 

Literatur

- Bukowski, Charles: Aufzeichnungen eines Außenseiters. Notes of a dirty old man. Frankfurt 1977.
- Bukowski, Charles: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend. München 2007.
- Bukowski, Charles: Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang. Augsburg 1990.
- Bukowski, Charles: 439 Gedichte. Hg. u. übers. von Carl Weissner. Frankfurt 2003.
- Bukowski, Charles: Hot Water Music. Erzählungen. München 1991.
- Bukowski, Charles: Schreie vom Balkon. Briefe 1958 – 1994. Hg. von Seamus Cooney. Hamburg 2005.
- Cherkovski, Neeli: Das Leben des Charles Bukowski. München 1993.
- Debritto, Abel: Charles Bukowski, King of the Underground. From Obscurity to Literary Icon. New York 2013.
- FBI-Akte zu Charles Bukowski. In: vault.fbi.gov. URL: https://vault.fbi.gov/henry-charles-bukowski-jr. (abgerufen am 05.07.2020).
- Schäfer, Frank: Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z. Leipzig 2020.
- Sounes, Harold: Charles Bukowski. Locked in the Arms of a Crazy Life. New York 1999.
- Timeline. In: bukowski.net. URL: https://bukowski.net/timeline/, Stand 06.07.2020. (abgerufen am 05.07.2020).