Zuschauen, zuhören und dazulernen

Zum zweiten Mal nach „Bitter Wash Road“ lässt der Australier Garry Disher in „Hope Hill Drive“ Constable Paul Hirschhausen in der Einsamkeit von South Australia ermitteln

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bitter Wash Road hieß der deutsche Titel des mehrfach preisgekrönten Kriminalromans, in dem der australische Autor Garry Disher (Jahrgang 1949) seinen Lesern 2013 (deutsche Ausgabe im Unionsverlag 2016) mit Paul „Hirsch“ Hirschhausen einen neuen Helden vorstellte. Der Constable der South Australia Police sorgt für Recht und Ordnung im einsamen Buschland zweieinhalb Stunden nördlich von Adelaide. Viele Kilometer weit erstreckt sich hier das Nichts, gelegentlich unterbrochen von einer einsamen Farm, deren Bewohner das Fleckchen Land, das sie besaßen, längst an einen reicheren Nachbarn oder eine der sich fest in chinesischer Hand befindlichen Agro-Firmen verkauft haben.

Da es, wo es wenig gibt, auch wenige Verbrechen geben sollte, besteht Hirschs Alltag in der Regel darin, auf langen Kontrollfahrten durch die staubige Gegend rund um seinen Wohnort, die Kleinstadt Tiverton, den dort noch Lebenden das Gefühl zu geben, beschützt zu sein, jugendliche Rowdys in die Schranken zu weisen und an den Wochenenden und Feiertagen in den wenigen Kneipen für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Doch eines Tages ist es vorbei mit diesen Routineeinsätzen.

Zunächst ist es eine kleine Herde von Zwergponys, die in einer Nacht kurz vor Weihnachten Ziel eines scheinbar so sinnlosen wie blutigen Angriffs wird. Das Gemetzel schafft es sogar für zwei Tage ins überregionale Fernsehen, ehe es wieder von anderen Scheußlichkeiten verdrängt wird. Tivertons Bürger sind sich schnell einig: Als Täter kommen nur zwei Jugendliche aus zerrütteten Familien in Frage, denen man hier alles zutraut. Zumal sie es waren, die kurz vorher den alten und kaum mehr fahrtüchtigen Pick-up der Ponyzüchterin für eine Spritztour gestohlen hatten und deshalb von Hirsch dazu gezwungen worden waren, sich öffentlich bei der Besitzerin des Wagens zu entschuldigen. Doch die beiden haben ein hieb- und stichfestes Alibi.

Als kurz darauf auf einer abseits gelegenen Farm zwei Leichen – eine sich im Zeugenschutzprogramm befindliche Polizistin und ihr Sohn  entdeckt werden, kehren die Übertragungswagen, die sich, nachdem das Pferdemassaker als Medienereignis verblasst war, aus der Kleinstadt verabschiedet hatten, schnell wieder zurück. Aber nicht nur die, sondern auch Untersuchungsbeamte aus Adelaide und sogar dem weit entfernten Sydney machen sich plötzlich dort, wo Paul Hirschhausen Konflikte in der Regel mit einem vertrauensvollen Gespräch am Farmzaun aus der Welt schafft – seinen „Ermessensspielraum“ verteidigt er gegenüber allen Kritikern innerhalb der Polizeibehörde immer bis zum Äußersten –, breit. Und fast alle eint ihre eisige Verachtung für den kleinen Provinzbullen, der nur gut zu sein scheint für die Organisation der Drecksarbeit und ansonsten lediglich das zu wissen braucht, was auch der Öffentlichkeit nicht lange vorenthalten werden kann.

Allein der Mann, der wegen einer Korruptionsaffäre vor einem Jahr seinen Job als Ermittler verloren hatte und zum Streifendienst ins Buschland rund um Tiverton abkommandiert worden war, beherrscht seinen Job besser, als die großspurigen Polizisten aus den Metropolen annehmen. „Zuschauen, zuhören und dazulernen“ dürfen am Ende eher alle anderen, während Paul Hirschhausen dank seiner Orts- und Menschenkenntnisse schnell die richtigen Schlüsse zieht. Und so ist er es letztlich auch, der die beiden nach dem Mord an Mutter und Bruder verschwundenen Mädchen, nach denen in der ganzen Gegend hektisch gesucht wird, aufspürt und dem Mörder am Ende allein gegenübersteht.

Hope Hill Drive beginnt ruhig, legt dann aber deutlich an Tempo zu und eilt am Schluss von einer überraschenden Wendung zur nächsten, bis der Showdown am Silvestertag nicht nur für Klarheit bezüglich des brutalen Doppelmords sorgt. Garry Disher versteht sein Handwerk, lockt seine Leser auf falsche Spuren, verknüpft so geschickt wie leichthändig einzelne Handlungsfäden miteinander und übertreibt es nicht mit der Schilderung von Gewalt. Selbst im ländlichen Südaustralien aufgewachsen, gelingen dem Autor wunderbare Porträts von den hier lebenden Menschen und der sie prägenden, unwirtlichen Natur:

Eine von Tod geprägte Landschaft, fand Hirsch. Hoffnungen starben, Menschen starben […]. Hier draußen konnte ein Mord geschehen und unentdeckt bleiben, dachte er. Nirgendwo hier draußen ist es neutral. Die Landschaft ist aufgeladen, mitschuldig.

Nach dem Berufskriminellen Wyatt, der keines Vornamens bedarf und dem Leser mehr ans Herz wächst, als ein Mann seines Schlages das eigentlich dürfte, dem rund um Melbourne ermittelnden Inspector Hal Challis und seiner Kollegin Ellen Destry sowie dem in Kaltes Licht (Unionsverlag, 2019) seinen ersten Auftritt absolvierenden Sergeanten Alan Auhl, der sich, aus der Pensionierung zurückgekehrt, mit so genannten „Cold Cases“ beschäftigt und um der Gerechtigkeit Willen manchmal vergisst, was er als Polizist der Gesellschaft schuldet, ist Paul „Hirsch“ Hirschhausen eine weitere sich fest ins Gedächtnis einprägende Figur eines Schriftstellers, der zu den Besten weltweit in seinem Metier gehört. Für November 2020 hat Dishers australischer Verlag übrigens das dritte Abenteuer dieses Mannes angekündigt. Peter Torberg, der auch Hope Hill Drive wieder glänzend ins Deutsche gebracht hat, sollte schon einmal Stift und Papier bereitlegen.

Titelbild

Garry Disher: Hope Hill Drive. Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Unionsverlag, Zürich 2020.
336 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005631

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