Wenn Mörderinnen Mütter werden

Philippe-André Lorenz untersucht in „No subject will ever be taboo“ komische Gewaltdarstellungen in Quentin Tarantinos „Kill Bill“-Filmen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei den Dreharbeiten zu Quentin Tarantinos Blockbuster Kill Bill ging es nicht immer sonderlich lustig zu. So wurde 2018 bekannt, dass er die Schauspielerin Uma Turman nicht nur bespuckte, sondern sie gegen ihren Protest zu einem gefährlichen Stunt drängte, bei dem sie sich schwer an der Halswirbelsäule verletzte.

Auf der Leinwand lässt der Regisseur hingegen gerne „komplex[e] […] Darstellung[en] von Gewalt […] mit dem Phänomen der Komik [verschmelzen]“, wie Philippe-André Lorenz in seiner „Untersuchung komischer Gewaltdarstellungen“ in dem Zweiteiler konstatiert. Sichtlich beeindruckt von der „Fülle tarantinoesker Komik im Kontext seiner Gewaltdarstellung“ zeigt sein „sequenzbasierter Analyseansatz“ deren Funktionsweise „anhand konkreter Filmabschnitte“ auf. Dabei arbeitet er die einzelnen Gewaltdarstellungen im Wesentlichen entlang der Szenenfolge ab, beendet sein close reading der einschlägigen Szenen jedoch mit dem „Töten und Sterben der hinterhältigen Ellen Driver“, so dass – neben einigen anderen komischen Gewaltdarstellungen – ausgerechnet der groß angelegte Showdown zwischen Beatrix und Bill unberücksichtigt bleibt. Lorenz’ zweites Interesse gilt den Weiblichkeitskonstruktionen in Kill Bill, denn die Filme seien auch „aus einer gendertheoretischen Betrachtungsweise beachtenswert“.

Bevor er sich jedoch den Werken selbst zuwendet, legt er dar, welchen Gewalt- und vor allem welchen Komik-Begriff er seiner Untersuchung zugrunde legt. Während Lorenz sechs gleichwertige Aspekte des ersteren unterscheidet, ist sein Komikbegriff noch um einiges komplexer und vielschichtiger. Differenziert er zunächst zwischen den beiden Triaden „Makro-, Mikro- und Referenzkomik“ sowie „Handlungs- Figuren- und Redekomik“ so fächert er diese in einem zweiten Schritt weiter auf und zeigt im Laufe seiner Arbeit, wie sich alle die unterschiedlichen „Komikkategorien“ in Tarantinos Filmen verschränken.

Lorenz’ Untersuchung beeindruckt vor allem durch die detaillierte Analyse einzelner Szenen und die profunde Kenntnis intertextueller Bezugnahmen der Kill Bill-Filme. Beide fundieren seine überzeugende Analyse des Komischen in Tarantinos Gewaltdarstellungen.

Ebenfalls positiv hervorzuheben ist, dass er sich des englischsprachigen Originals bedient und nicht wie manch andere Film-Forschende die deutsche Synchronisation heranzieht. Wie wichtig seine Entscheidung ist, macht er an einer Szene deutlich, in welcher der Wortwitz des Originals in der deutschen Synchronisation verloren geht und so ein „signifikanter Effekt der Komikminimierung im Übersetzungsprozess des Films“ zu verzeichnen ist. Ein derart gravierender Unterschied zwischen Original und Synchronisation kann allerdings nicht erstaunen, liefert die Filmgeschichte doch zahlreiche Beispiele dafür. So sind bekanntlich einige der hierzulande berühmtesten Film-Sentenzen nur in der jeweiligen deutschen Synchronisation zu finden. Humphrey Bogarts bekannte Versicherung „Ich seh dir in die Augen, Kleines“ hat im „Here’s looking at you, kid“ des Originals (Casablanca 1942) nur eine vage Entsprechung. Charles Bronsons lakonisch-kaltherzige Antwort „Irgendeiner wartet immer“ auf Claudia Cardinales sehnsuchtsvolles Abschiedswort, die neugegründete Siedlung Sweetwater warte auf ihn, in C’era una volta il West (1968 dt. Spiel mir das Lied vom Tod) wiederum hat nicht das Geringste mit dem Dialog des Originals zu tun, der dort völlig anders verläuft. In ihm erklärt die von der Schauspielerin verkörperte Jill, sie hoffe Bronsons Figur Harmonica komme „someday“ zurück, worauf er wiederum „Someday…“ antwortet.

Lorenz übersetzt die englischen Zitate aus den von ihm untersuchten Filmen allerdings selbst nicht immer ganz zutreffend. Das Wort „Friend“ in Elle Drivers „Budd, I’d like to introduce my friend the black Mamba“ wäre beispielsweise nicht wie von ihm mit „Freund“, sondern mit Freundin zu übersetzen. Denn immerhin ist die Schwarze Mamba weiblich und hier außerdem eine Anspielung auf Kiddos Codename als Mörderin. Auch fällt auf, dass Lorenz zwar zumeist den queerpolitischen Gender-Asterisk benutzt, gelegentlich aber zum generischen Maskulinum greift. Warum das jeweils so ist erhellt sich nicht und wird auch nicht erläutert. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass Lorenz’ nominalistischer Stil seine Argumentation zwar nicht beeinträchtigt, die Lektüre aber nicht eben zum Vergnügen macht.

Nicht ganz so überzeugend wie die Komikanalysen gewalttätiger Szenen in Tarantinos beiden Filmen fallen Lorenz’ Ausführungen zu Kill Bills vermeintlichem „Bruch mit dem westlichen Frauenbild“ aus, wobei zunächst einmal festzuhalten ist, dass es genauer wäre, von einem patriarchalen Frauenbild zu sprechen. Aber Lorenz will mit seiner Wortwahl eine – wiederum nur vermeintliche – Differenz zwischen dem ‚westlichen’ Kino und  „Hongkong-Martial-Arts-Filme[n]“ betonen, die – wie insinuiert wird im Unterschied zu jenen – „bereits vor 1990 (dem Aufkommen feministischer Filmtheorien) gewaltausübende weibliche Hauptrollen besetzten“.

Das aber tat der ‚westliche’ Film auch, seit den 1940er Jahren etwa in einigen Werken des Film Noir, später mit dem einen oder anderen James Bond-Film oder mit Raquel Welsh als Titelfigur des Rape-Revenge-Westerns Hannie Caulder, der 1971 in die Kinos kam, mithin also bereits zwei Jahre vor Lady Snowblood, dem bekanntesten Hongkong-Martial-Arts-Film mit einer Kämpferin als Hauptfigur und einer der Filme, auf die Kill Bill wiederholt anspielt. Erinnert sei auch daran, dass Cathy Gale und ihre noch heute weit berühmtere Nachfolgerin Emma Peel mit ihren Nahkampfkünsten schon Anfang beziehungsweise Mitte der 1960er Jahre alle Kriminellen von den TV-Bildschirmen zu fegen pflegten. Eine gar so große Seltenheit waren gewalttätige Frauen also auch im ‚westlichen’ Film- und Fernsehgeschäft nicht. Angemerkt sei zudem, dass die Begründerin der feministischen Filmtheorie Laura Mulvey ihre einschlägigen Texte nicht erst in den 1990er Jahren, sondern bereits von Mitte der 1970er Jahre an publizierte.

Kill Bill und seine Komik durchbrechen Lorenz zufolge die „konservative Vorstellung“ von Weiblichkeit und betreiben gar eine „systematische Dekonstruktion“ von „[w]estlich-bürgerliche[n]“ Weiblichkeitstopoi, wie er Martin Prybliski und Franziska Schössler zustimmend zitiert. Tatsächlich aber ist es zumindest fraglich, ob die Filme und ihre Komik konservative Mutterschafts- und Mütterlichkeitsvorstellungen subvertieren, oder nicht vielmehr traditionelle, wenn nicht gar reaktionäre Mütterlichkeitsvorstellungen transportierten. Schon 2006 waren die AutorInnen des dem Zweiteiler ebenfalls gewidmeten Sammelbandes Unfinished Business über diese Frage uneins.

Der Autor der vorliegenden Rezension hat seine damals in dieser Frage etwas unschlüssige Haltung seit seiner nunmehr fast anderthalb Jahrzehnte alten Besprechung des Buches nach einer neuerlichen ‚Relektüre’ der Filme überdacht und vereindeutigt. Denn in Kill Bill wird das Publikum dazu angehalten, nicht etwa mit den Kämpferinnen über ein reaktionäres Mütterlichkeitsideal und biologistische Mutterschaftsklischees zu lachen, sondern über die – tatsächlich nur vermeintlich starken – Kämpferinnen selbst und damit über die Emanzipationsbestrebungen von Frauen in aller Welt. Selbst noch die hartgesottenen Mörderinnen in Kill Bill sind, wenn es darauf ankommt, nichts weiter als (werdende) Mütter, die von der ‚biologischen Bestimmung der Frau’ eingeholt und determiniert werden. Sie erweisen sich sogleich als weich, wenn Schwangerschaft, Mutterschaft oder Kinder ins Spiel kommen, seien es nun Vernita Green und Beatrix Kiddo in der Szene, als die Tochter der ersteren das Haus betritt und beide sogleich ihren Kampf unterbrechen, um sie zu schonen, oder sei es die namenlose Auftragsmörderin, die sofort davon ablässt, Kiddo töten zu wollen, als sie von dem positiven Schwangerschaftstest ihres Opfers erfährt. Auch Kiddo selbst hängt ihr mörderisches Gewerbe sogleich an den Nagel, als sie schwanger ist. Gerade so, wie es ganz offenbar auch Vernita Green tat. Mit allen diesen Frauenfiguren, insbesondere aber mit der Protagonistin und ihrem Verhalten zementieren Tarantinos Kill Bill-Filme reaktionäre Mütterlichkeitsvorstellungen und Mutterschaftsideologien.

Können Lorenz’ Ausführungen zur vermeintlichen Dekonstruktion konservativer Weiblichkeitsvorstellung zumindest in Bezug auf die transportierten Mütterlichkeitsvorstellungen nicht überzeugen, so kann er mit seinem genauen Blick auf die Gewaltdarstellungen in den Filmen seine These der Verschränkung verschiedener Komikformen in Kill Bill ein ums andere Mal belegen und plausibilisieren, dass sein Analyseverfahren sich auch auf andere Filme mit komischen Gewaltdarstellungen anwenden lässt.

Titelbild

Philippe-André Lorenz: No subject will ever be taboo. Eine Untersuchung komischer Gewaltdarstellungen in Quentin Tarantinos Kill Bill Vol. I und II.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2020.
146 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783849815530

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