Umnachtet zwischen Kategorien und Phantasmen

Volker Sielaff navigiert sich in seinem Gedichtband „Barfuß vor Penelope“ stilsicher durch das Ungewisse einer widersprüchlichen und offenbar nur poetisch aushaltbaren Spätmoderne

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es fällt grundsätzlich schwer, die Vielfalt und Komplexität eines Lyrikbandes im Rahmen einer Rezension einzufassen. Und doch lohnt es sich – gerade im Falle des in Dresden lebenden Publizisten und Schriftstellers Volker Sielaff –, wenn auch nur in Streiflichtern einige Schneisen zu schlagen in seine lyrische Form, die sich (wieder) stärker der Ordnung des Reimes zuwendet, wenngleich thematisch Brüche und Ambivalenzen ausagiert werden, die lange Linien in persönliche Gegenwart und übergreifende Geschichte ziehen.

Da fällt zunächst vieles ins Auge, was spätmoderne Gleichzeitigkeit und postmodernen Eklektizismus verschränkt und – zugespitzt formuliert – zwischen Blütenstaub, Bio-Macht und Badesalz die gegenwärtige Existenz in ihrer Widersprüchlichkeit zu rahmen sucht. Inmitten dieses Facettenreichtums, der unterschiedlichen Töne und Stile des Beschreibenden und Direkt-Adressierenden, des Umgangs mit den Reimfreiheiten changiert die Wahrnehmung des Dichters zwischen Kunst- und biographischen Künstlerbetrachtungen, einzelnen Alltagsbeobachtungen disparatester Natur und flackernden Reiseszenen, an Brücken, Meeren, in der Lausitz sowie in Feldern hinter den Gleisen mit dem Bahnhof als Sehnsuchtsort der Bewegung von „Danzig bis Shanghai“.

Jenseits dessen kondensieren sich allerdings vage Motivkreise mit weitreichenden Interpretationsspielräumen: Zum einen – natürlich – die Liebe als Halluzinationserfahrung, pendelnd zwischen rauschhaftem Beginn und wahnhaftem Abgesang, als prägender Eindruck des Scheiterns und der starken Körper- und Leiblichkeit als Gegenimpuls zur idealisierenden Vergeistigung („Ich will auch nicht lernen von dir, nur dich berühren für und für.“). Bei alledem schwankt der ästhetische Reiz der Verse zuweilen stark – manches streift die Grenzen zum Verwechselbaren und Gewöhnlichen, zum fast Simplizistischen. Von besonderer Strahlkraft ist auch das oft im Hintergrund der Lyrik Sielaffs stehende Gewicht einer machtvoll konventionellen Gesellschaft als moralisch richtendes Regulativ und Normalisierungsmaschinerie, die gerade den Künstler, den Dichter – apostrophiert als „Niemand“ – in seinen Potenzialen und seiner Individualität angreift:

Da wolltest Du schon
dieser Niemand sein, der unbeirrt
durch die menge geht
und dem riesen
ein auge aussticht:

mit einer Feder,
die glänzt.

Vor mythologischem Horizont wird der Dichter zur tragischen Figur zwischen der Identitätslosigkeit in der Massengesellschaft und dem permanenten Emanzipationsversuch im literarischen Schreiben. Im Anspielen des Odysseus-Stranges transzendiert Sielaff die eigene Lyrik auch an vielen anderen Stellen mit einem ausgeprägten historischen Bewusstsein: Pessimismus und Absurdität entstehen dabei nicht zuletzt im Aufeinanderprallen aller scheiternden Systeme des 20. Jahrhunderts in Form von Verfolgung, Flucht und Stigmatisierung und dem diese begleitenden behaglichen und luxuriösen Villenleben eines abgekoppelten Milieus, das ebenso zu jeder Zeit präsent bleibt:

Passé, vorbei das süße Leben,
es hält sich fern, zeigt uns kalt nur
den Abfall der Systeme und im Holze
stecken Splitter, winden wie die Würmer
sich die Zeiten, graue Theoreme.

Oder:

ich suchte

und fand sie nicht:
die Menschnatur.

Am Ende spricht aus Sielaffs Zeilen eine tiefe humanistische Traurigkeit über die menschliche Vernichtungskraft – gipfelnd in fragmentarisch, fast haikuartig werdenden Versen, die die Fortsetzung negieren und nur das permanent (und dabei natürlich erfolglose) Sicht-neu-Entwerfen kennen. Diese Unmöglichkeit von Kontinuität und Identität wird zumindest im Raum der Literatur fassbar und für die Lesenden zugänglich, sodass im Bewusstsein der eigenen Zerrissenheit vielleicht doch so etwas wie eine poetische Identität, ein ästhetisches Über-Leben möglich wird.

Titelbild

Volker Sielaff: Barfuß vor Penelope.
edition AZUR, Dresden 2020.
106 Seiten , 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783942375450

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