Späte Jahre

Hanns Cibulka wird 100

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor allem mit seinen Ostsee- und Thüringer Tagebüchern war und ist Hanns Cibulka (1920–2004) in den nicht mehr ganz neuen Bundesländern ziemlich populär. Im Westen aber ist der im mährisch-schlesischen Jägerndorf (Krnov) geborene und aufgewachsene Autor, der auch ein außerordentlicher Lyriker war, quasi unbekannt geblieben.

Seine Tagebuchprosa aus den letzten acht Lebensjahren bietet noch einmal eindrucksvolle Beispiele für Cibulkas großartige Journalkunst. Sie belegt seine präzise Beobachtungsgabe und sein waches Gespür für Stimmungen und Zusammenhänge. Fundierte Zeitkritik findet sich hier, vom Charakter her eher konservativ und vielleicht gerade deshalb oft auch zukunftsweisend. Insbesondere das „bedenkenlose Amüsierstreben“ der Gegenwart wird scharf kritisiert, weil Cibulka darin ein säkulares Verbrechen erkennt, das ein respektvolles Bewahren und nachhaltiges Pflegen der Natur verhindert.

Alle Gegenwartskritik dieses sensiblen Dichters bleibt grundsätzlich rückgebunden an Erfahrung und Geschichte – Mnemosyne ist die ständige Begleiterin seines Schreibens: „Du allein hast uns von der alles dahinraffenden Zeit befreit, dem Unvergesslichen gilt dein Blick“.

Tambach-Dietharz am Hang des Thüringer Waldes und die thüringische Landeshauptstadt sind die Schauplätze seiner wunderbar schwingenden, manchmal sogar magisch anmutenden Prosa, ebenso wie kriegszerstörte Balkanregionen oder die grandiosen Landschaften Apuliens. Die Grafiken von Gunter Herrmann passen bestens dazu. In manchen Traumnotaten und durchgestalteten Erinnerungen werden die Jugendzeiten in der Altvater-Region oder die prägenden Kriegsjahre in Russland und Sizilien beschworen – Hanns Cibulkas behutsam poetische Sprache lässt das Vergangene plastisch und lebendig werden. Unter seinen Maximen und Reflexionen sind bedenkenswerte Altersweisheiten: „Das Alter fährt nicht wie der Blitz in den Menschen hinein, es breitet sich aus, ganz langsam, ohne Lärm“. Aber das Alter ist spürbar und präsent, etwa im liebevoll-schüchternen Umgang mit der österreichischen Gärtnerin Gundula.

Die Spaziergänge und Museumsbesuche mit ihr erschließen uns die Stadt an der Gera ganz neu. „Erfurt ist eine heitere Stadt, keine fröhliche, es ist eine Stadt ohne Hochmut“. Die eher gemächliche Klein-Metropole, wo der „Irrsinn … vorläufig noch auf sich warten“ lässt, erscheint als ein durch und durch menschlicher Ort, als eine Stadt der Blumen und Gärten: „Dort, wo der Gärtner in uns stirbt, stirbt das Leben“. Betrachtungen von Kunstwerken gehören selbstverständlich dazu, etwa der drei Aquarelle Dom und Severikirche in Erfurt von Christian Rohlfs oder des 1923 entstandenen Werks Barfüßerkirche II von Lyonel Feininger. Auch die skandalösen Hinrichtungen auf dem Petersberg kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs lässt er nicht in Vergessenheit geraten. Mit der Lokalgeschichte ist der Autor eng vertraut: „Eckhart und Luther, welch ein Gegensatz in ein und derselben Stadt. In beiden ist Schicksal, europäisches Schicksal“.

Hanns Cibulkas Prosa ist handwerklich solide, durchgearbeitet, reflektiert und geschliffen, und vor allem ist sie durchgängig grundsympathisch. Einige Gedichte sind übrigens auch dabei, Lektüre-Notizen ebenfalls. Manches liest sich nach den Erfahrungen der letzten Monate anders als zuvor: „Wer scharfhörig ist, kann von Zeit zu Zeit die große Mühle mahlen hören. Keiner weiß, auf welche Art und Weise die Natur zurückschlagen wird, doch ihre Schläge werden furchtbar sein. Die Natur hat ein längeres Gedächtnis als der Mensch“.

Ob der 100. Geburtstag von Hanns Cibulka große Beachtung finden wird? Immerhin hat Judith Schalansky einige seiner schönsten Tagebuchblätter in ihre erfolgreiche Reihe Naturkunden aufgenommen. Hiddensee erscheint in Sanddornzeit als verwunschene und bezaubernde, beinahe mythische Insel, als eine Art Gesamtkunstwerk der Natur. Das, wie dieser Autor schon vor 50, 60 Jahren klar erkannt hat, dringend geschützt und bewahrt werden muss. Frühe Öko-Literatur aus der DDR? Vielleicht. An Aktualität haben Cibulkas poetische Aufzeichnungen jedenfalls nicht verloren. Lesenswert.

Titelbild

Hanns Cibulka: Späte Jahre. Tagebuchprosa.
Ausgewählt und neu herausgegeben von Heinz Puknus. Mit Graphiken von Gunter Herrmann.
Notschriften-Verlag, Radebeul 2020.
232 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783945481882

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hanns Cibulka: Sanddornzeit. Tagebuchblätter von Hiddensee.
Mit einem Nachwort von Sebastian Kleinschmidt (= Naturkunden 64).
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020.
86 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783957578648

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