Isolde – die (nicht nur?) musikalisch Überlegene

Peter Petersens „Isolde und Tristan“ als Rehabilitierung der wagnerschen Heroine

Von Verena BrunschweigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Brunschweiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits die lapidar als solche bezeichnete „Einleitung“ des musikwissenschaftlichen Werks Isolde und Tristan lässt aufhorchen. Wer stellte sich schon einmal die im Prinzip banale, aber doch recht interessante Frage, wie oft Operntitel beide Namen eines Liebespaars bringen, und wenn ja, in welcher Reihenfolge? Mikhail Glinkas Ruslan und Ludmilla fällt einem da beispielsweise ein, und tatsächlich verhält es sich mehrheitlich so, dass der männliche Held zuerst genannt wird. Dazu Peter Petersen:

Der Vorrang des Mannes ist kaum verwunderlich, sofern ein Sujet in historische oder gar mythische Vergangenheiten des ,Abendlandes‘ zurückweist, als die Geschlechterrollen noch ganz fraglos androzentrisch definiert waren. So auch in Richard Wagners Vorlage Tristan und Isold von Gottfried von Straßburg.

Gerade im letzten Satz liegt jedoch der Hase im Pfeffer, denn der Dichter des Mittelalters zeigt sich in vielerlei Hinsicht sogar progressiver als der bekanntlich reichlich misogyne (und antisemitische) Komponist des 19. Jahrhunderts, was die Präsentation seiner Heldin betrifft. Da hätte sich schon ein Blick in die mittelhochdeutsche „Vorlage“ gelohnt … Gerade Wagners Oper, laut Peter Wapnewski so reich an menschlicher Ursubstanz, trägt nicht unwesentlich zur spekulären phallozentrischen Konstruktion der Frau in der narzisstischen Konstitution der Identität des Mannes bei.

Die musikalische Identität des Protagonistenpaars ist Petersen zufolge in der Wagner-Forschung bis dato nicht hinlänglich unter die Lupe genommen worden. Sein Buch füllt diese Lücke und wartet nicht zuletzt mit zahlreichen Notenbeispielen auf, die sehr anschaulich belegen, dass kein Weg daran vorbeigeht, von der Akkordanalyse zur Kadenzanalyse überzugehen:

Schon zu Mozarts Zeiten wäre niemand auf die Idee gekommen, einen übermäßigen Quintsextakkord mit einem Dominantseptakkord gleichzusetzen, nur weil er den Tönen nach identisch ist. Je nachdem wie er weitergeführt wird – a l s o  e r s t  i m  R ü c k b l i c k – wird klar, um was für eine Akkordpersönlichkeit es sind handelt.

Auch Chromatik und Diatonik sind keine Gegensätze, vielmehr deutet Petersen deren musikalische Ligatur als Symbol für die Vereinigung der Liebenden im Tod.

In neueren Partituren kamen zu diesen Unstimmigkeiten weitere hinzu, so die sich immer weiter diversifizierenden transportierenden Instrumente, die im Notenbild enharmonische Varianten hervorbringen, die allein der Not geschuldet sind, dem jeweiligen Instrumentalisten eine einfache, bequem lesbare Stimme zu bieten.

Das ist natürlich in der Tat ein wichtiger praktischer Aspekt, den man auch nachvollziehen kann, wenn man noch nie Korrepetitorin für einen Sänger war, der Modest Mussorgskys Songs and Dances of Death in e-Moll einstudiert …

Ob hinlänglich bekannte Briefe Wagners an Mathilde Wesendonck so häufig und ausführlich zitiert werden müssten, bleibt indes fraglich. Ebenso frappieren doch recht lange Absätze zum Inhalt des Stücks. Auch ein unerträglich pronatalistisches Zitat des Komponisten aus Oper und Drama hätte es nicht gebraucht.

„Hörer, die die Oper kennen, werden bemerken, dass Anfang und Schluss der Liebestragödie hier direkt hintereinander gesetzt sind.“ Es ist stark anzuzweifeln, ob irgendjemand, der das Stück nicht kennt, jemals zu Petersens Buch greifen wird …

„Der neue Blick auf TRISTAN, der mit diesem Buch angeboten wird, führt nicht zu einem neuen Verständnis des Werks als Ganzem“, so der Autor selbst in seinem Fazit. Das ist meines Erachtens auch gar nicht zu leisten. Nichtsdestoweniger lohnt sich die Lektüre des Werks, auch und gerade für Literaturwissenschaftler*innen, denen bislang vielleicht entgangen ist, dass die Protagonistin für die umfassende Chromatisierung der Musiksprache steht oder dass das Tremolo der Streichinstrumente das Zittern der Körper unterstreicht.

Isolde ist zweifellos die spannendere Figur, denn das „Hauptmotiv der Oper ist mit ihr verbunden, auch hat sie mit ,ihrem‘ Sehnsuchtsmotiv zweimal ,das letzte Wort‘ – am Ende von Akt I und am Ende des ganzen Dramas“.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Peter Petersen: Isolde und Tristan. Zur musikalischen Identität der Hauptfiguren in Richard Wagners „Handlung“ Tristan und Isolde.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2019.
176 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826067969

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