München, ganz unten

Roland Krauses Titelheld ist in Wirklichkeit kein „abgezockter Sauhund“

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Laut Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache ist ein Sauhund – wenig überraschend – dasselbe wie ein Saukerl, nämlich „ein übler, gemeiner Mensch“. Für „abgezockt“ findet sich in der Ausgabe von 1978 selbstverständlich kein Eintrag, obwohl es garantiert auch schon damals abgezockte Menschen gab. Der Online-Duden nennt die Bedeutungen „kaltschnäuzig, routiniert, nur schwer zu überraschen oder zu überlisten“, und definiert „Abgezocktheit“ als „kühles Draufgängertum, routinierte Dreistigkeit“. Das ist sprachlich interessant, weil das Passivpartizip niemanden bezeichnet, der abgezockt (also „ausgenommen“) wurde oder wird, sondern jemanden, der des Abzockens kundig und fähig ist.

Samson Simonek heißt der Held im neuen Roman von Roland Krause, geboren 1964 in Lindau und in München lebend. Simonek ist kein gemeiner Mensch, und des Abzockens ist er zwar kundig, aber nur in begrenztem Maße fähig. Grenzen setzen ihm sein Gewissen und mehr noch sein Überlebenswille – er gesteht, sehr an sich zu hängen. Das hindert ihn nicht daran, auch sich selbst nicht zu trauen. Kein Wunder, in diesem zwischen Halbwelt und Unterwelt changierenden München, wie man es aus keinem Reiseführer kennt. Kleine Ganoven fallen hier der eigenen Dummheit zum Opfer, notfalls helfen große Gangster oder korrupte Polizisten nach. Auch das offenherzig, aber nicht pornografisch beschriebene Liebesleben Samsons wird zeitweise vom allgegenwärtigen Misstrauen vergiftet.

Vordergründig geht es um die Jagd auf eine millionenschwere Skizze des Heiligen Sebastian von Leonardo da Vinci. Eigentliches Thema aber sind einfallsreiche Variationen auf die Geschichte vom betrogenen Betrüger. Es gibt viele Tote in diesem Roman und nicht nur einmal ist Samson der Täter, wobei Notwehr vorliegen mag, in die aber meist erst eine Straftat geführt hat. Die einigermaßen „Guten“ sind interessante Leute. Wie da ein ehemaliger Briefträger über sich selbst hinauswächst und unter Lebensgefahr den Kunstexperten spielt, diese Beschreibung sorgt für fesselnde Lektüre. Bei der Schilderung der Gegenseite hapert es. Ausgemachte Dummköpfe und eine dämonische Exotin stammen eher vom Reißbrett als aus dem wirklichen Leben. Interessant und glaubhaft aber ist Stani, ein Bandenchef mittleren Ranges, der trotz gewisser Machtfülle ständig um Status und Leben bangen muss.

Roland Krauses Roman ist in der Ich-Perspektive geschrieben, und das ist gut so. Von der ersten Zeile an nimmt der authentische Ton der knorrigen, illusionslosen und bildreichen Sprache gefangen. Immer wieder scheint hinter derben Sprüchen feines Empfinden durch. Die Lektüre ist ein Genuss, ein Hörbuch mit echtem Münchner Dialekt müsste ein Hochgenuss sein.

Samson gibt Sentenzen von sich, die so einleuchtend wie erschreckend sind. „Jeder, der richtig Kohle absahnt, tritt dabei einem anderen ins Kreuz.“ Wenn er die politische Macht und auch die Stadt München als Huren bezeichnet, hat er dafür gute Gründe. An Brechts berühmten Vergleich zwischen dem Einbruch in eine Bank und der Gründung einer Bank erinnert Samsons Ausspruch, dass Spekulanten die erfolgreicheren Kriminellen sind.

Als Musikliebhaber hat Samson für alle Lebenslagen passende Klänge parat. Zur Beruhigung Perle im All von GReeeN, zum Hirnauslüften I Need A Dollar von Aloe Blacc und zum Chillen London Calling von The Clash. Viele weitere Titel werden genannt und sind als Begleitmusik zum Text wärmstens zu empfehlen. Der Roman von Rudolf Krause beleuchtet inhaltlich und sprachlich überzeugend einen Schattenbereich unserer Gesellschaft.

Titelbild

Roland Krause: Ein abgezockter Sauhund. Kriminalroman.
Emons Verlag, Köln 2020.
256 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783740809478

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