Das System ist der Fehler

Christian Linker hinterfragt in „Influence – Fehler im System“ anhand eines Blackouts unseren digitalen Alltag

Von Katrin DittewichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Dittewich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

What the Fuck. Schon wieder ein Buch, das ­− wie viele andere zuvor – vom Zusammenbruch des gesamten Internets und der dadurch entstehenden Apokalypse handelt. Aber der Near-Future-Thriller Influence ist kein Buch wie alle anderen.

Es geht um Netzpolitik, um eine faire und demokratische Mitwirkung aller im Internet. Dafür setzen sich der Politikwissenschaftsstudent Amir Karim und Lokalpolitikern Solveig Sander ein. Und auch ein Netzaktivist namens Habakuk fordert einen bewussteren Umgang, vielleicht sogar einen Neuanfang des Internets. Er ist ein anonymer Blogger, fast schon ein fanatischer Prediger, der die Sünden der gläsernen Menschen anprangert, von der zersplitternden Gesellschaft spricht. Protagonist Amir ist selbst Teil dieser Gesellschaft, arbeitet nebenbei als Clickworker, erledigt mit vielen anonymen Anderen Kleinstaufgaben für ein unbekanntes Ganzes. Dass es dabei um Daten und den Handel mit ihnen geht, wird schnell klar. Amir ist nun derjenige, der beim Aufdecken dieses Vorgangs, den Solveig und Habakuk gleichzeitig leaken wollen, helfen soll. Doch bevor der große Skandal stattfinden kann, ist plötzlich das Internet weg. Weltweite Cyberkalypse.

Samt dem Chip mit den Informationen auf dem Weg zu Habakuk wird Amir immer wieder durch das fehlende Internet aufgehalten, gar sabotiert. Hilfe findet er in einer Influencerin, die wie zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Sie fliehen zusammen vor ihren Verfolgern und der ausbrechenden Anarchie. Auf der Flucht wird Amir vor die Entscheidung gestellt, ob er, der sonst lieber im Hintergrund bleibt, zum Helden werden kann, an großen statt kleinen Rädern dreht, um nicht die Symptome, sondern das ganze Internet zu verändern. Denn: „Wir suchen den Fehler im System, aber das System IST der Fehler.“

Mit nervenzerrender Gemütlichkeit wollen die beiden binnen drei Tagen die Welt retten und Geschichte schreiben. Reden und Texte schreiben ist auch Amirs erklärtes berufliches Ziel, doch von wenigen Momenten abgesehen, findet sich dieser Anspruch nicht im Buch wieder. Influence spricht inhaltlich, sprachlich und durch die zwei Hauptcharaktere in den Mittzwanzigern ein vor allem junges Zielpublikum an – das des Herausgeberverlags Bold. Es stellt die wichtigen politischen, teils philosophischen Fragen zum Internet der Zukunft und trifft damit nicht nur den Puls der Zeit, sondern gewinnt aufgrund der aktuellen Situation auch eine neue Brisanz.

Der Thrill für den Leser liegt gerade am Anfang in der unterbewusst auftauchenden Frage, was man selbst tun würde. Was wäre, wenn? Das lässt einen nicht los. Linkers Buch ist eines, das man genauso wenig wie sein Handy aus der Hand legen möchte – aus Angst, etwas zu verpassen. Dennoch ist es nicht das große Kino oder gar Hollywood, das man in diesem Thriller findet, im Gegenteil, gerade wenn es spannend und actionreich wird, wirkt die Handlung etwas ungelenk. Und auch wenn sich das Buch zunehmend in kurzen Handlungssträngen verliert, und das Ende enttäuscht, werden heutige Mechanismen von Influence, Einflussnahme, wirksam aufgedeckt, unsere digitalisierte Welt mit der Vielzahl an Themen, die damit zusammenhängen, hinterfragt.

Der Kinderbuch- und Romanautor Christian Linker hebt sich in seinem insgesamt vierzehnten Buch durch die eingegangene Verbindung von Politik und Cyperkalypse von anderen Autoren ab – allerdings ohne den Leser dabei belehren zu wollen. Er gibt nur den Denkanstoß, um Fehler im System selbst zu finden.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2020 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2020 erscheinen.

Titelbild

Christian Linker: Influence. Fehler im System.
bold, München 2020.
304 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423230117

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