Der Preis „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“

Nobilitieren und Valorisieren der ‚vergessenen‘ radiophonen Kunstform Hörspiel?

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

1. Hörspielpreise – eine vergessene Kategorie in der Literaturpreislandschaft? 

Sowohl im deutschsprachigen als auch im europäischen Kulturbetrieb existieren zahlreiche Preise, die unter variantenreichen Bezeichnungen regelmäßig (und zumeist exklusiv) aktuelle Hörspielproduktionen in diversen Formen – von undotierten Ehrungen bis zu beachtlichen Preisgeldern – und in höchst divergenten Entscheidungsprozeduren – von Expertenjury bis zu spontanem Publikumsvotum – prämieren. Genannt seien etwa der „ARD-Online-Award“, der „Axel-Eggebrecht-Preis“, der „Deutsche Hörspielpreis der ARD“, der „Deutsche Kinderhörspielpreis“, der „Günter-Eich-Preis“, der Preis „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“, der „Hörspielpreis der Kriegsblinden“, der „Karl-Sczuka-Preis“, der „Zonser Hörspielpreis für regionalsprachliche Hörspiele“ oder der „Prix Ars Acustica“, der „Österreichische Staatspreis für Hörspiel“, der „Prix Europa“ oder der „Prix Italia“. Diese keineswegs vollständige Auflistung kann sicherlich als ein Indiz für den Stellenwert des Hörspiels als etablierter, akustisch dominierter Kunstgattung im kulturellen Bereich gewertet werden. Zugleich evoziert sie die Frage, warum zahlreiche Institutionen, die hinter den Preisen stehen, als Auslober*innen entsprechender Auszeichnungen fungieren. 

Die simple Antwort könnte in Anlehnung an Ralf Schnells Darstellung im Handbuch Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945 lauten: Literaturpreise repräsentieren „einen der wenigen noch verbliebenen Bereiche wirksamen öffentlichen Mäzenatentums“ (Schnell 2003, 36), da sie nicht nur Autor*innen bzw. Werke öffentlichkeitswirksam ehren, sondern auch das Renommee der Preisstifter*innen als Akteure des Literaturbetriebs in symbolischer Form steigern. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen stützen diese Position, indem sie davon ausgehen, dass „der erste und zentrale Beweggrund zur Gründung eines Literaturpreises […] für viele Akteure die Beachtung inner- und außerhalb des literarischen Feldes [ist]“ (Dahnke 2016, 214).

Jedoch wird diese Antwort den komplexen Erscheinungsformen des gegenwärtigen Medien- bzw. Literaturbetriebs nur partiell gerecht. Gerade im Falle des Hörspiels und seiner vielfältigen, bislang nur ansatzweise erforschten Preis- und Auszeichnungslandschaft gilt es, neben der Steigerung des Stifter-Renommees alternative Gründe in den Blick zu nehmen. Würffels klassische Darstellung zum „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ (Würffel 1978, 106-128) rekurriert darauf, dass der sehr angesehene Preis seit seiner erstmaligen Auslobung und Verleihung 1951 einen Längsschnitt der Hörspielgeschichte dokumentiert habe, da er „alljährlich für das bedeutendste, in deutscher Sprache konzipierte Originalhörspiel verliehen“ (ebd.) wird, das von einer Rundfunkanstalt der ARD im jeweils vorangegangenen Jahr gesendet wurde. Es verwundert kaum, dass besonders die Geschichte dieses Preises inzwischen mehrfach aufgearbeitet wurde (ebd.; Vormweg 1981; Bloom 1985; Johanning 2001; Lenz 2001; Ladler 2001). Sicherlich relevant ist Margret Blooms Hinweis, dass die Verleihungen der Preise sowohl eine kulturpolitische als auch eine PR-Funktion für das Hörspiel als Genre und für die es produzierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunksender wahrnehmen: „Insgesamt läßt sich feststellen, daß die diversen Hörspielpreisverleihungen die Entwicklung der herrschenden Hörspielideologie sowohl nachvollzogen als auch unterstützten und somit zu einem fruchtbaren Element für das Anliegen der Hörspielproduzenten wurden.“ (Bloom 1985, 56) In diesem Junktim aus Repräsentation und Bestenauslese unter einer großen Quantität an Neuproduktionen einerseits sowie Distribution und Steigerung der öffentlichen Resonanz andererseits liegt sicherlich der Reiz des Hörspielpreises im Allgemeinen, verbunden mit einer markt- respektive angebotssteuernden Funktion mittels Nobilitierung der (gegebenenfalls) progressivsten Gestaltung im Kontext genretypischer Inszenierungsformen im Speziellen. 

2. Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste und ihre Hörspielpreise „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ 

Die im Folgenden näher betrachteten Preise „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ gelten – neben dem bekannteren „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ – als sehr renommierte Auszeichnungen für zeitgenössische deutschsprachige Hörspielproduktionen (Buggert 2017, 8; Faulstich/Strobel 1986, 165; Kopper 2006, 216; Schede 1999, 100). Der undotierte Ehrenpreis wird seit April 1977 als „Hörspiel des Monats“ im Auftrag der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste von einer jährlich wechselnden Jury verliehen für aktuelle Hörspielproduktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seit 1987 wird aus den zwölf Monatssiegern zusätzlich das „Hörspiel des Jahres“ bestimmt, seit 2019 nehmen auch Hörspielproduktionen des Schweizer Radios und Fernsehens und des Österreichischen Rundfunks am Wettbewerb teil. Die Statuten des Preises regeln den Kreis der Einreichungsberechtigten und den Modus der Preisvergabe präzise: 

§ 1 Eine von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste eingesetzte unabhängige Jury wählt einmal monatlich aus dem Ursende-Angebot der Rundfunksender der ARD das HÖRSPIEL DES MONATS. Gegen Ende ihrer Sitzungsperiode wählt dieselbe Jury aus den zwölf von ihr benannten Hörspielen des Monats das HÖRSPIEL DES JAHRES. § 2 Sämtliche in § 1 genannten Sender können pro Monat eine Hörspielproduktion zum Wettbewerb […] einreichen. Der vorgeschlagene Titel muss im selben Monat zur Ursendung vorgesehen sein. (Deutsche Akademie 2017, 233)

Respektable und in den Annalen des Wettbewerbs für das kulturelle Gedächtnis bewahrte Produktionen wie Gemälde einer Schlacht (von Howard Barker), Sanierung (nach dem gleichnamigen Theaterstück von Vaclav Havel), Verwandlungen (nach der gleichnamigen Novelle von Richard Huelsenbeck), Michael Farins Metropolis (nach dem gleichnamigen Roman von Thea von Harbou und dem gleichnamigen Film von Fritz Lang), Enigma Emmy Göring (nach dem gleichnamigen Theaterstück von Werner Frisch), BOUT DU MONDE – Ende der WeltOrphée Mécanique oder Dshan (von Lothar Trolle nach Motiven des gleichnamigen Romans von Andrej Platonow) tragen den Ehrentitel und gelten als Repräsentant*innen der Genreentwicklung (Buggert 2017, 8f.). 

Idee und Konzeption des Preises gehen zurück auf eine Initiative des einstigen Präsidenten der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, Ulrich Lauterbach. Als Regisseur und Hörspielleiter des Hessischen Rundfunks wollte er in den 1970er Jahren dem Einflussverlust des Radios und dem damit einhergehenden Rückgang des Stellenwerts von Hörkunst im Allgemeinen und Hörspielen im Besonderen zugunsten des Visuellen (und des neuen Leitmediums Fernsehen) entgegentreten. Offizielle Zielsetzung des Preises ist es seit dieser Zeit, die Wahrnehmung und das Interesse an der Kunstform Hörspiel im öffentlichen Bewusstsein zu stärken und dem Genre zu größerer publizistischer Resonanz zu verhelfen, wie es in der Präambel der Preisstatuten festgelegt wurde (Deutsche Akademie 2017, 233). Daneben ist das „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ mit dem Hörspieldramaturgen und ehemaligen Leiter der Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks Christoph Buggert verbunden, da er den Wettbewerb mehr als drei Jahrzehnte lang im Auftrag der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste organisatorisch geleitet hat (Buggert 2017, 7f.). 

3. Die Jury und ihre Jury-Begründungen: Exemplarische Analysen 

Die Auszeichnung „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ ist explizit als Jurypreis konzipiert, der ein recht klares Kompetenzprofil von den Juror*innen erwartet: Die Jurymitglieder sollen im Bereich der Literatur- und Medienkritik publizistisch ausgewiesen sein, ohne dass sie im engeren Sinne als Hörspielkritiker*in tätig gewesen sein müssen. Eine Satzungspassage lässt die Intention der Jury-Berufung erkennen; es geht nicht zuletzt um eine perspektivische Lobbyarbeit für das Hörspiel: 

Neben anerkannten Hörspielkritikern können (…) auch Kultur- oder Medienjournalisten gewonnen werden, die das Hörspiel bisher nicht als ihr unmittelbares Arbeitsfeld angesehen haben, jedoch bereit sind, die radiophone Gattung Hörspiel künftig in ihr berufliches Engagement einzubeziehen. (Deutsche Akademie 2017, 235)  

Schaut man auf die Geschichte der Jurybesetzung seit 1987 (ebd., 261-361; die Jahre ab 2017 online), zeigt sich, dass sich die 33 Jurys aus bislang insgesamt 103 Mitgliedern (davon 39 Frauen und 64 Männer) zusammensetzten. Viele Juror*innen weisen einen bis dato hohen Bekanntheitsgrad im Literaturbetrieb auf, vorrangig im Bereich des Kulturjournalismus, der Kultur- und Literaturhäuser, der Wissenschaft und Forschung sowie des Theaters und Fernsehens. Folglich waren bzw. sind sie in literaturaffinen Bereichen tätig als Literaturwissenschaftler*innen oder Autor*innen, Literaturkritiker*innen, Rezitator*innen oder Dramaturg*innen. Daher finden sich in mehr als 30 Jahren zahlreiche Juror*innen mit hoher feldbezogener Expertise sowohl in wissenschaftlicher als auch künstlerischer Hinsicht, wie etwa Hermann Beil, Jörg Drews, Lutz Hagestedt, Wolfgang Hegewald, Peter W. Jansen, Gert Sautermeister, Hansgeorg Schmidt-Bergmann, Gerhard Schmidt-Henkel, Nathalie Singer, Wolfram Wessels oder Elsbeth Wolffheim. Die Juror*innen-Liste dokumentiert, „dass es neben einem durchaus ansehnlichen Publikum auch höchst kompetente Jurys und Medienkritiker gibt, die der Kunst im Rundfunk jenen öffentlichen Raum außerhalb der Programme einräumen, den sie verdient.“ (Lindenmeyer 2017, 121) Im Bereich der Jury-Besetzung sei eine Auffälligkeit im Segment der Hörspielpreise am Rande vermerkt, die auf die Vernetzung innerhalb der Hörspielszene hinweist: Der Radio-Feature-Autor, Hörspielkritiker und Journalist Jochen Meißner kann sicherlich als produktivster Hörspielkritiker der letzten Jahre gelten, da er in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten verschiedensten Hörspieljurys angehörte, unter anderem im Rahmen des „Hörspielpreises der Kriegsblinden“, des „Deutschen Kinderhörspielpreises“, des „Hörspielpreises der ARD“, des „Hörspiels des Monats“/„Hörspiels des Jahres“ 2002 und 2012 sowie der Nominierungsjury des „Deutschen Hörbuchpreises“. Die Jurybesetzung für das „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ erfolgt im Einvernehmen zwischen der im jährlichen Turnus federführenden ARD-Rundfunkanstalt und der Stifterin, Ausschlusskriterien sind die hauptamtliche Mitarbeit in der ARD sowie alle Sachverhalte, die die „Neutralität der Juryentscheidung“ (Deutsche Akademie 2017, 235) gefährden könnten. 

Über den Modus der Juryarbeit hat Diemut Roether, Jury-Mitglied 2009, pointiert berichtet: 

Zwischen sechs und zehn Hörspiele reichen die Redaktionen der ARD und des Deutschlandradios jeden Monat ein und in diesem Jahr erhielten wir einen guten Eindruck von der Arbeit dieser Hörspielredaktionen. […] Es gab bezaubernde Ideen und großartige, überwältigende Inszenierungen. Diese Juryarbeit hat uns noch einmal vor Augen geführt, wie vielgestaltig die Hörspiellandschaft der öffentlich-rechtlichen Sender ist. Mehrere hundert Hörspiele produzieren die öffentlich-rechtlichen Sender im Jahr. Man kann diese Form der Kulturproduktion, die ja zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört, gar nicht genug loben. Hier werden junge Autoren entdeckt und gefördert und große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. […] Und es ist gut, dass die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste durch den Preis „Hörspiel des Monats“ jeden Monat auf diese Produktionen aufmerksam macht. (Roether 2017, 152-155)

Die jahrzehntelange Geschichte des Preises, im Web materialreich dokumentiert, lässt – wie dies an anderer Stelle für den „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ konstatiert wurde – Rückschlüsse darauf zu, wie „die Jury beständig jedenfalls den Versuch gemacht hat, Fortschritte und Veränderungen zu akzentuieren, statt auf Normen und Konventionen zu bestehen.“ (Vormweg 1981, 130) Referenzpunkt und Teil der öffentlichen Valorisierung ist das Wertungskondensat der Juryarbeit in Form der veröffentlichten Jurybegründungen. Bemerkenswerterweise weisen diese Texte eine große quantitative Varianz auf: von wenigen Sätzen bis zu ganzseitigen Urteilen, von dominant inhaltsreferierenden Ausführungen bis zu pointierten Laudationen unter expliziter Bezugnahme auf die Genreentwicklung. 

Im letzteren Sinne wird 1999 zum Jahressieger Gespräche mit Lebenden und Toten proklamiert und aspektorientiert substantiiert:  

Ausschlaggebend für unsere Entscheidung ist Ulrich Gerhardts Umsetzung für den Funk. […] Ulrich Gerhardt setzt konsequent auf den stimmlichen Ausdruck, der sein Radiostück trägt und aus der beklemmenden Dichte der Textvorlage eine bewegende Hörerfahrung macht. Seine Kunst der nuancierten Stimmenführung – das tonlose, das druckvolle, das pointierte, das belegte Sprechen usw. – zeigt sich hier in ihrer ganzen Virtuosität. Die radikale Reduktion der Sprechhaltung, bei der auch nicht ein Hauch von Anklage oder Sentimentalität aufkommt, verweist auf die große Intensität des Mediums. […] Im Vergleich zu den übrigen Einreichungen des Jahres ist der in diesem Hörspiel vollzogene Umgang mit Sprache und Sprechen einzigartig. (Deutsche Akademie 2017, 299)

Zahlreiche Jury-Begründungen enthalten ähnliche formal-ästhetische Wertungen. So liest man, dass es den Verantwortlichen des Hörspiels Dshan, Jahressieger 2015, gelinge, die Textvorlage umzusetzen „in einen atemlosen Erzählstrom, der sich unweigerlich auch zu einem Hörstrom steigert, mehr noch zu einer fast schon akustischen Simultanität der Stimmen und Ereignisse.“ (ebd., 357). 

Oftmals werden dezidiert jene akustischen Qualitäten betont, die zum Proprium des Hörspiels zählen: „Ein Spiel mit dem Hören! Der Wortlaut wird zum Thema, der Wortlaut materialisiert sich.“ (ebd.), liest man etwa zur Würdigung des Jahresgewinners von 2014, dem Hörspiel Ickelsamers Alphabet. Das „Hörspiel des Jahres 2011“, Vier Lehrmeister, überzeuge als „karges Hörspiel“ durch „überlegt eingesetzte künstlerische Mittel“ (ebd., 344). Daneben kann man aber auch erkennen, dass die formal-ästhetische bzw. inszenatorische Leistung des Regisseurs bzw. der Schauspieler*innen als wesentliche Eigenschaften herausgegriffen werden: 

Wesentlich zum herausragenden Gesamteindruck der Produktion trägt das gelungene Zusammenspiel der Beteiligten bei. Barbara Plensat überzeugt mit einer feinnervigen und präzisen Regie. Peter Kaizars dezente, effektvoll akzentuierende Komposition bildet eine kongeniale Klangumgebung. Besonders hervorzuheben sind die Leistungen der Sprecher. (ebd., 313) 

– so der Tenor zum „Hörspiel des Jahres 2003“ Kein Brief gestern, keiner heute. Ebenso wird das Hörspiel Raoul Tranchirers Bemerkungen über die Stille im Jahr 2007 ausgezeichnet, da der Regisseur Thomas Gerwin die Kurztexte der Vorlage von Ror Wolf „zu einer akustischen Besichtigung komponiert [hat]. […] Gerwins Klang-Konglomerate aus Blubbern und Brummen, Rascheln und Raunen, Wabern und Wummern wiederholen lautmalerisch die Auflösungsprozesse in Wolfs Texten.“ (ebd., 329) Diese Passage akzentuiert en passant einen intermedialen Vergleich der Transpositionsleistung, was gerade bei Literaturadaptionen für das Radio als bewertungsrelevante Kategorie mehrfach nachweisbar ist. 

Schließlich finden sich primär thematische Begründungen, welche die herausragenden Leistungen eines Hörspiels charakterisieren, gerade dann, wenn die Themen im Kontext der Hörspielentwicklung stehen: „Mit seinem Hörspiel „Mosaik“ hat er [Klaus Buhlert] einen Autor [Konrad Bayer] wieder ins Spiel gebracht, dem die Literatur und die Radiokunst der letzten vier Jahrzehnte starke Impulse verdanken.“ (ebd., 322) Insofern bestätigt sich eine Beobachtung, die bereits mehrfach zu Literaturpreisen gemacht wurde: „Indem Werke ausgezeichnet werden, die im Sinne der Satzung des Preises als gelungen gelten, wird der Anspruch öffentlich gemacht, dass das entsprechende Werk wertvoll ist.“ (Rahmann 2017, 40)

4. Die Preisverleihung zum „Hörspiel des Jahres“ als Gabentausch

Ein elementarer Bestandteil des „Hörspiel des Jahres“ ist die obligatorische Preisverleihung. Normativ hält das Preisstatut dazu unter Fixierung organisatorischer Gestaltungselemente fest: 

Das HÖRSPIEL DES JAHRES wird zu Beginn des Folgejahres im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung dem Publikum sowie den Medien vorgestellt. […] Die Mitglieder der Jury sowie die für das HÖRSPIEL DES JAHRES Verantwortlichen (Redaktionen, Produktion) sind bei der Veranstaltung anwesend und stellen sich einer Diskussion mit dem Publikum. (Deutsche Akademie 2017, 236) 

Veranstaltungsort der Preisverleihung war in den ersten Jahrzehnten zunächst das Theater am Turm in Frankfurt am Main, nach dessen Schließung das Literaturhaus Frankfurt – auch dies ein Indiz für die Nähe zur Literatur (ebd., 199-231). 

Für die Produzent*innen und Autor*innen des jeweils ausgezeichneten Hörspiels bedeutet die Preisverleihung vorrangig einen Gewinn an Aufmerksamkeit, da sie bei dieser ritualisierten Preisverleihungsaufführung im Zentrum der lobenden Wertungen stehen, die bereits zuvor über die einschlägigen Presseverteiler publik gemacht worden sind. Als ritualisierte Ehrung folgt der Ablauf einem Muster, das viele konventionelle Elemente enthält (Dücker/Neumann 2005, 11f.): Begrüßung durch ein Vorstandsmitglied der preisstiftenden Akademie, Laudatio durch die Jury mit Verlesung der Jurybegründung, Vorspielen des Hörspiels, Plenumsgespräch mit den an der Produktion Beteiligten, die zugleich die Preisträger*innen sind, Gratulation und Überreichung der Urkunden, Akklamation, Schlusswort und Gruppenfoto. 

5. Ausblick: Forschungsperspektiven  

Dieser Beitrag sollte schlaglichtartig aus einer institutions- und rezeptionsbasierten Analyseperspektive die traditionsreiche Auszeichnung „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ beleuchten. Diese bislang noch nicht systematisch betrachteten Zusammenhänge evozieren eine Vielzahl an Fragestellungen, die einerseits um Wertungs- und Valorisierungspraktiken kreisen, anderseits die Funktion des Preises im Medien- und Literaturbetrieb kritisch analysieren könnten: Warum ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem „Hörspiel des Monats“-Preis bislang nur marginal (einschlägige Studien zu Literaturpreisen führen ihn nur in Ausnahmefällen auf)? Welchen Einfluss hat der Preis „Hörspiel des Monats“ auf die öffentliche Wahrnehmung der Kunstform „Hörspiel“ und wie ist seine öffentliche Resonanz nach 42 Wettbewerbs- bzw. Preisrunden zu bewerten? 

Festgehalten werden kann an dieser Stelle resümierend: Ein wichtiges Markenzeichen des „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ ist sicherlich die Nähe zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die mit ihr einhergehenden Multiplikationsmöglichkeiten: Wie wenige andere Preise repräsentiert diese Auszeichnung die enge Verbindung von Rundfunk und Hörspiel in Deutschland. Ein langjähriger Hörspielverantwortlicher des HR brachte das Credo des Wettbewerbs auf den Punkt: „Das Hörspiel ist die Zukunftskunst.“ (Buggert 2017, 7) Zugleich dokumentiert die Arbeit der Jury regelmäßig, dass das Hörspiel weiterhin als „ein Medium exemplarischer literarischer Erprobung“ (Vormweg 1981, 135) gilt, das in der öffentlichen Wahrnehmung (weiterhin) einen Platz einnimmt, der jedoch genauer anhand des Preises „Hörspiel des Monats“/„Hörspiel des Jahres“ ausgelotet werden könnte. 

 

Literaturverzeichnis 

Margret Bloom: Die westdeutsche Nachkriegszeit im literarischen Original-Hörspiel. Frankfurt am Main/Bern/New York: Peter Lang 1985.

Christoph Buggert: Zu diesem Buch, in: Deutsche Akademie der Darstellenden Künste (Hrsg.): Seismographie des Hörspiels. 40 Jahre Hörspiel des Monats 1977-2017. 30 Jahre Hörspiel des Jahres 1987-2017. München: belleville 2017, S. 7-9. 

Michael Dahnke: „Wer konkurriert womit worum?“ Ein neues Literaturpreis-Modell. Göttingen: Dissertation 2016 (online verfügbar unter der URL http://hdl.handle.net/11858/00-1735-0000-0028-877C-D, zuletzt aufgerufen am 20.07.2020).

Deutsche Akademie der Darstellenden Künste (Hrsg.): Seismographie des Hörspiels. 40 Jahre Hörspiel des Monats 1977-2017. 30 Jahre Hörspiel des Jahres 1987-2017. München: belleville 2017. 

Burckhard Dücker/Verena Neumann: Literaturpreise. Register mit einer Einführung: Literaturpreise als literaturgeschichtlicher Forschungsgegenstand. Heidelberg: Forum Ritualdynamik 2005 (online verfügbar unter der URL https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/ritualdynamik/article/view/354/338, zuletzt aufgerufen am 20.07.2020).

Werner Faulstich/Ricarda Strobel: Bestseller als Marktphänomen. Ein quantitativer Befund zur internationalen Literatur 1970 in allen Medien. Wiesbaden: Harrassowitz 1986.

Heinrich Johanning: Offenheit. Die Hörspielpreis-Initiative des Bundes der Kriegsblinden Deutschlands, in: Bund der Kriegsblinden Deutschlands/Filmstiftung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): HörWelten. 50 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden 1952-2001. Berlin: Aufbau 2001, S. 13-15.

Gerd Kopper: Medienhandbuch Deutschland. Fernsehen, Radio, Presse, Multimedia, Film. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006. 

Karl Ladler: Hörspielforschung. Schnittpunkt zwischen Literatur, Medien und Ästhetik. Wiesbaden: DUV 2001.

Eva-Maria Lenz: Mehr Ruhmesblätter als Schattenseiten. Stichproben zur Geschichte des Hörspielpreises, in: Bund der Kriegsblinden Deutschlands/Filmstiftung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): HörWelten. 50 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden 1952-2001. Berlin: Aufbau 2001, S. 25-36.

Christoph Lindenmeyer: HÖR!SPIEL! – Zwei Antworten, in: Deutsche Akademie der Darstellenden Künste (Hrsg.): Seismographie des Hörspiels. 40 Jahre Hörspiel des Monats 1977-2017. 30 Jahre Hörspiel des Jahres 1987-2017. München: belleville 2017, S. 121-123.

Diemut Roether: Vom Glück des Hörens. Zur Arbeit der Jury „Hörspiel des Monats“ 2009, in: Deutsche Akademie der Darstellenden Künste (Hrsg.): Seismographie des Hörspiels. 40 Jahre Hörspiel des Monats 1977-2017. 30 Jahre Hörspiel des Jahres 1987-2017. München: belleville 2017, S. 152-155. 

Kathrin Rahmann: Von der Wirkung zur Wertung. Formal-ästhetische Werte in den Diskussionen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs 1999-2009. Göttingen: Dissertation 2017 (online verfügbar unter der URL http://hdl.handle.net/11858/00-1735-0000-002E-E41D-5, zuletzt aufgerufen am 20.07.2020).

Hans-Georg Schede: Gert Hofmann. Werkmonographie. Würzburg: Königshausen und Neumann 1999. 

Ralf Schnell: Geschichte der deutschsprachigen Literatur seit 1945. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler 2003.

URL: https://www.darstellendekuenste.de/hoerspiel-des-monatsjahres.html (zuletzt aufgerufen am 20.07.2020). 

Heinrich Vormweg: Nach den Reden. Zur Geschichte des Hörspielpreises der Kriegsblinden, in: Klaus Schöning (Hrsg.): Schriftsteller und Hörspiel. Reden zum Hörspielpreis der Kriegsblinden. Königstein/Taunus: Athenäum 1981, S. 130-136. 

Heinrich Vormweg: Lernprozesse mit Schwankungen. Fünfzig und mehr Jahre Hörspielgeschichte, in: Bund der Kriegsblinden Deutschlands/Filmstiftung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): HörWelten. 50 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden 1952-2001. Berlin: Aufbau 2001, S. 50-57.

Stefan Bodo Würffel: Das deutsche Hörspiel. Stuttgart: Metzler 1978.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen