An ihr führt kein Weg vorbei

Michelle McNamara widmete sich in „Ich ging in die Dunkelheit“ als Autorin mit vollem Einsatz dem Aufspüren eines Serienmörders

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„The Golden State“ nennt sich, wegen des Goldrauschs vor langer Zeit, der US-Staat Kalifornien. Hinter der Bezeichnung „The Golden State Killer“ steckt der Serienmörder Joseph James De Angelo jr. Der 1945 geborene Verbrecher, ein ehemaliger Polizist, beging in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dreizehn Morde, mehr als 50 Vergewaltigungen und über 100 Einbrüche.

Michelle McNamara, 1970 als sechstes Kind einer irischamerikanischen Familie geboren, studierte Englisch und Kreatives Schreiben und zog mit 36 Jahren nach Los Angeles, um sich als Autorin für Film und Fernsehen, als Journalistin und Blog-Autorin dem Genre des „True Crime“ zu widmen. Ihr unermüdlicher Einsatz galt der Suche nach dem Golden State Killer, der die Ermittler jahrelang vor unlösbare Rätsel stellte. Ihre Berufung hatte sie durch die Untat eines anderen Verbrechers gefunden, der 2014 ein junges Mädchen in ihrer Nachbarschaft umgebracht hatte.

Mitten in der Arbeit an ihrem Buch I‘ll Be Gone in the Dark: One Woman’s Obsessive Search for the Golden State Killer starb die Autorin am 21. April 2016 mit 46 Jahren an einer Arzneimittelunverträglichkeit. Die Medikamente hatte sie gegen Albträume eingenommen, die ihr der Killer bereitete. Wie sie sagte, lebte sie ständig „mit einem Schrei in der Kehle“. So wurde sie indirekt zum Opfer des Verbrechers, doch ihr Name als hervorragende Schriftstellerin lebt weiter.

Auf Anregung ihres Witwers Patton Oswalt wurde das Buch in einjähriger Arbeit postum vom Journalisten Paul Haynes und vom Rechercheur Billy Jensen fertiggestellt. Es belegte Spitzenplätze in Ranglisten für Sachliteratur. Im Fernsehen entstand daraus eine Dokumentarserie.

Obwohl das Buch die Identität des „Golden State Killers“ nicht entschlüsselt, legt es ein beeindruckendes Zeugnis von der unermüdlichen Arbeit ab, mit der die Autorin dem Verbrecher nachspürte. Ihre intelligente Verflechtung verschiedener Ermittlungsergebnisse trug dazu bei, dass er 2018 festgenommen wurde. So aufsehenerregend die Verbrechen auch waren – McNamara ließ sich nicht auf Sensationsmache ein. Mit feinem Taktgefühl lässt sie ihre Detailtreue hinter dem Respekt vor den Opfern zurücktreten. Wie immer bei gutem „True Crime“ bleiben Opfer, Angehörige und Ermittler keine blassen Schemen, sondern werden für den Leser erkennbare Menschen mit ihren Eigenheiten.

Die Herausgeber haben den Text nicht geglättet, sondern als unvollendetes Projekt kenntlich gemacht. Einige Kapitel wurden vollständig von der Autorin verfasst, andere anhand ihrer Notizen zusammengestellt. Ein längeres Interview mit einem Ermittler rundet das Buch ab.

Namhafte Schriftsteller wie Stephen King („Ein brillantes Buch, das alle Grenzen überschreitet“) und Michael Connelly („So gut hat noch keiner von realen Verbrechen erzählt“) zollten der Verfasserin ihren Respekt. Gillian Flynn, Autorin des Krimis Gone Girl (Das perfekte Opfer) schrieb die Einleitung zu McNamaras Buch. Sie bekennt, nur Autoren zu lesen, „die anspruchsvoll, tiefgründig und voller Menschlichkeit schreiben“. Danach heißt es: „An Michelle führte also kein Weg vorbei.“ Treffender lässt sich das Buch nicht bewerten.

Die deutsche Übersetzung von Eva Kemper ist ohne Fehl und Tadel.

Titelbild

Michelle McNamara: Ich ging in die Dunkelheit. Eine wahre Geschichte von der Suche nach einem Mörder.
Aus dem Englischen von Eva Kemper.
Atrium Verlag, Berlin 2020.
432 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783038821151

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