Kind ja, Mann nein

Die japanische Autorin Mieko Kawakami reflektiert über das Kinderkriegen und skizziert ein großartiges Gesellschaftsporträt

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kinder bekommt man nicht einfach, man plant sie. Was eigentlich als Indiz für (weibliche) Freiheit und Selbstbestimmung betrachtet werden könnte, kann auch schnell zur Qual der Wahl werden: Spätestens wenn die biologische Uhr tickt, stellt sich nicht nur die grundlegende Frage, ob man Kinder haben möchte, sondern auch, wie man sie bekommen will, denn das traditionelle Modell als heterosexuelles Paar mit Familienwunsch ist nur eines von vielen – und nicht unbedingt das beste, wie Mieko Kawakamis beeindruckender Roman Brüste und Eier vorführt.

Tokio im Sommer 2008: In der Metropole flimmert die Hitze und Ich-Erzählerin Natsuko führt ein ziemlich unaufgeregtes, einsames Leben als mäßig erfolgreiche Autorin. Zu Beginn des Romans ist sie um die 30 und bekommt Besuch von ihrer neun Jahre älteren, alleinerziehenden Schwester Makiko und deren pubertierenden Tochter Midoriko. Während Makiko unter ihrer Brust leidet, „die nicht größer war als die Schwellung nach einem Mückenstich“, und sich rosa Brustwarzen wünscht, weigert sich Midoriko, mit ihrer Mutter zu sprechen und kommuniziert nur auf dem schriftlichen Weg. In ihrem Tagebuch – das immer wieder in Auszügen erscheint – notiert sie: „Warum bringt man einen neuen Körper auf die Welt, wenn einem der eigene schon zu schaffen macht?“

Dieser erste Teil des Romans wirkt wie eine Ouvertüre, denn das ist eine der zentralen Fragen, die sich etwa zehn Jahre später auch die nun fast vierzigjährige Natsuko stellt. Natsuko kann mit Sex nicht viel anfangen, ihre langjährige Beziehung zu Naruse ist deswegen auch zerbrochen, und doch wünscht sie sich ein Kind – dank Samenspender ist das eigentlich kein Problem. Doch der Weg zum Wunschkind ist lang, nicht nur, weil Natsuko ohne Partner eine Samenspende über eine medizinische Einrichtung nicht in Anspruch nehmen darf – zum Glück gibt es freiwillige Spender und die Möglichkeit der Selbstinjektion. Doch bis Natsuko einen potenziellen Spender trifft, vergeht viel Zeit, denn erst einmal schweift der Blick über Natsukos Umfeld, das durch seine vielfältigen Lebensmodelle wie ein gesellschaftlicher Mikrokosmos erscheint und den Entscheidungsprozess der Protagonistin begleitet. Nicht nur die eigene Familiengeschichte – ein gleichgültiger Vater, getrennte Eltern, früher Tod der überforderten Mutter, alleinerziehende Schwester – beeinflusst Natsukos Überlegungen, auch die mehr oder weniger gewünschten Lebensmodelle von Kolleginnen und Bekannten zeigen unerwartete Vor- und Nachteile. Deutlich wird allerdings, dass kaum ein Modell einem anderen vorgezogen werden kann, vielmehr geht es darum auszuloten, welches Modell am besten zur individuellen Situation passt und letztendlich glücklich macht.

Da ist die Bekannte, die ihr Familien- und Mutterglück bereut und von Wochenbettdepressionen, einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung und einem depressiven Ehemann berichtet, mit dem sie zwar unter einem Dach, aber praktisch getrennt lebt. Da ist die Kollegin, erfolgreiche Schriftstellerin, alleinerziehende Mutter einer Tochter und nach beendeter Beziehung glücklich sowie überzeugt davon, sich nicht mehr mit Männern „einzulassen“. „Irgendwann“, so lautet ihre Zukunftsprognose „werden die Frauen keine Kinder mehr kriegen, oder der ganze Prozess findet außerhalb des weiblichen Körpers statt, dann wird die Zeit, in der Frauen und Männer zusammengewohnt haben, nicht mehr als eine Mode gewesen sein, eine vorübergehende.“ Da ist die Lektorin im mittleren Alter, die sich nicht gegen ein Kind entschieden hat, aber bei der es sich einfach nicht ergeben hat und die schließlich einen einsamen Krebs-Tod stirbt. Einsamkeit ist übrigens ein großes Thema in diesem Roman. Als Natsuko eine Woche krank im Bett verbringt und sich niemand bei ihr meldet, wird klar, dass ein Leben als Single mit Ende dreißig ziemlich einsam sein kann, vielleicht weil alle mit ihren Partnern, Kindern und Familien beschäftigt sind und die (japanische) Gesellschaft für alternative Lebensformen doch noch nicht bereit ist?

Immer wieder flackert die Frage auf, was eigentlich dafür spricht, ein Kind zu bekommen: Um eben nicht einsam zu sein? Um die Möglichkeiten als Frau auszuschöpfen? Um sein eigenes Kind kennenzulernen? Als Natsuko die durch eine Samenspende auf die Welt gekommene Yuriko Zen trifft, wird klar, dass der Wunsch, ein Kind zu bekommen, rein egoistisch motiviert ist: „Jeder, der ein Kind haben will, denkt nur an sich selbst. An das Kind denkt niemand. Auf der ganzen Welt gibt es keinen Vater, keine Mutter, die vor der Geburt an ihr Kind gedacht haben.“ Im Gespräch mit Yuriko Zen, selbst Opfer von Vergewaltigungen durch den eigenen Vater, eröffnet sich eine häufig ausgeblendete Perspektive auf die Frage, ob jede/r das Recht habe, ein Wesen zu erschaffen. Gerne wird auch mal vergessen, dass es eben auch Leben gibt, die als nicht lebenswert empfunden werden.

Diese Begegnungen scheinen Natsukos Kinderwunsch auf die Probe zu stellen. Auf die Frage, warum sie ein Kind will, findet sie keine eindeutige Erklärung, doch schließlich trifft sie die Entscheidung mit der Begründung: „Ich mache lieber einen Fehler als gar nichts.“ Und tatsächlich scheint diese Entscheidung für ein Kind weniger problematisch zu sein als die Option, fatalistisch zu verharren und den Zeitpunkt zu verpassen, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Zwar kommt es doch zu keiner Samenspende mit Selbstinjektion, sondern zu einer künstlichen Befruchtung, aber der Roman endet schließlich mit einer der vielleicht bewegendsten Geburtsszenen der Weltliteratur.

Mieko Kawakami wurde mit dem wichtigsten japanischen Literaturpreis, dem Akutagawa-Preis, ausgezeichnet und zählt zu den bedeutendsten japanischen Autorinnen der Gegenwart. Brüste und Eier – der Originaltitel lautet Natsu monogatari, was eigentlich so viel wie „Sommergeschichte“ heißt – beeindruckt vor allem durch einen scharfen Blick auf eine Gesellschaft, die Frauen einerseits eine ganze Palette an Lebensentwürfen zur Verfügung stellt, andererseits sich aber noch von den als überholt erlebten Werten und Vorstellungen der (japanischen) Elterngeneration befreien muss. Der Verzicht der Protagonistin auf einen Mann als Partner und Vater ihres Kindes liest sich damit auch als emanzipatorische Reaktion auf diese Tradition, um nicht „den sexuellen Bedürfnissen des Mannes nachkommen zu müssen“, gleichzeitig kommt hier eine Zukunftsprognose zum Ausdruck, welche die Kopplung von Fortpflanzung an Partnerschaft grundlegend in Frage stellt: Wie wird sich eine Gesellschaft entwickeln, in der Gebären ohne Sexualität möglich ist? Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern? Wie lässt sich Biologie mit Wissenschaft austricksen? Und das sind nur ein paar der zahlreichen und brisanten Fragen, die der – vielleicht als Autofiktion zu bezeichnende – fesselnd geschriebene Roman aufwirft. Brüste und Eier erscheint zur richtigen Zeit.

Titelbild

Mieko Kawakami: Brüste und Eier. Roman.
Aus dem Japanischen von Katja Busson.
DuMont Buchverlag, Köln 2020.
496 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783832183738

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