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Isabel Rohner unterhält in „Taugenixen“ mit Linn Kegels zweitem Fall

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vier Jahre ist es her, da versuchte sich die junge Kölner Autorin Linn Kegel an einem Kriminalroman. Dies allerdings, ohne recht voranzukommen. Dafür aber geriet sie alsbald in einen echten Kriminalfall und so war auch ihr Krimi KunstmörderIn gerettet. Ja, er erklomm sogar die Bestsellerliste des Spiegel.

Allerdings hatte der trafo Verlag bereits 2008 einen Krimi gleichen Titels der Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner auf den Markt gebracht. Handelt es sich bei Frau Kegel also etwa nur um eine schnöde Plagiatorin? Mitnichten. Denn Rohner hat sich sowohl deren Krimi wie auch Kegel selbst ausgedacht.

2019 brachte der Ulrike Helmer Verlag eine überarbeitete und aktualisierte Version von Rohners Roman unter dem Titel Schöner morden heraus. Und nur ein Jahr später ließ Rohner nun ihren neuen Krimi Taugenixen folgen. Diesmal gönnt die Autorin ihrer Protagonistin Kegel einen Urlaub, den diese zusammen mit ihrer bereits aus Schöner morden bekannten Freundin Bettina Heidenreich antritt, die ihr Kunststudium zwar inzwischen abgebrochen hat, nun aber immerhin Geschäftsführerin einer KünstlerInnenagentur ist.

Wie im ersten Roman ist der Handlung ein Personenverzeichnis vorangestellt, das mit seiner Überschrift „Starring“ an ein ganz anderes Medium als das des gedruckten Wortes erinnert und zudem um eine Liste „wichtige[r] Requisiten“ sowie der im Laufe des Geschehens verzehrten Speisen und Getränke erweitert ist. Und ebenso wie im ersten Band ist schon das ziemlich lustig. Denn wie Ulrike Helmer verriet, hat Rohner mit ihren Krimis etwas geschaffen, das nur wenige zustande bringen: ein neues Subgenre, den „Kicherkrimi“.

Einige der Figuren sind bereits aus dem ersten Band bekannt, wie beispielsweise Linn Kegels „schärfste Konkurrentin“ oder ein senegalesisches Model. Erstere spielt zwar überhaupt keine Rolle, entpuppt sich dafür aber als umso wichtiger, letzterer spielt hingegen gleich mehrere Rollen, keine jedoch in der Handlung des Romans. Anderen Figuren treten zum ersten Mal auf. So etwa sämtliche Gäste des an der baskischen Küste gelegenen Hostals, in dem Kegel und Heidenreich ein paar schöne Urlaubstage verbringen wollen. Hinzu kommen die Inhaberin des Establishments, deren Partner und schließlich die „unfassbar sexy“ Köchin des Hauses. Tarzania und Jamie Bond sind hingegen nur ausgedacht. Aber sind das im Grunde nicht alle Mitwirkenden?

Das „Hostalchen“ jedenfalls ist vor allem „in der gleichgeschlechtlichen Community beliebt“. Zur illustren Gästeliste gehören denn auch zwei schwule Paare, von denen eines bereits die Silberne Hochzeit begangen hat, und eine ehemalige Filmdiva mit ihrer Freundin, ihres Zeichens esoterische Differenzfeministinnen, die sich mit dem „Ur-Weiblichen“ verbunden fühlen und darauf hoffen, auf dem anstehenden Melusinenfest die sagenhaften Nixen zu Gesicht zu bekommen, die vor Jahrhunderten aus dem Meer stiegen, um eine Piratenbande zu meucheln. Mit den beiden „Differenzlerinnen“ können die EMMA-Leserinnen Kegel und Heidereich so gar nichts anfangen. Ja sie finden sie sogar ebenso schlimm wie bekennende Antifeministen. Selbst einen Mord würden sie ihnen zutrauen.

Ihr Urlaubsdomizil liegt unweit des baskischen Städtchens Bermeo auf einer wohl fiktiven Landzunge, deren „Klippe der Vergessenen“ steil ins Meer abfällt. Womöglich hat sich die Autorin von der durch Game of Thrones bekannte Insel Gaztelugatxe zu ihrem Handlungsort inspiriert lassen. Während der also recht genau zu verorten ist, bleibt die Handlungszeit ein wenig dunkel, trifft sich die Kommissionschefin der EU doch just mit der „neue[n] amerikanischen Präsidentin“, während die Kölner Freundinnen ihren Urlaub genießen wollen.

Dazu kommt es allerdings nicht, wird Linn Kegel doch schon am ersten Tag nicht nur von einer der Differenzfeministinnen an- und vollgequatscht, sondern die beiden Kölner Urlauberinnen auch noch von einem ausgesprochen „protzige[n] Kerl“ behelligt. Und als es schließlich auch noch zu einem Mord kommt, ist die gelöste Urlaubsstimmung endgültig dahin. Denn nun gilt es erst einmal, das gewaltsame Ableben eines vielgehassten und wenig geliebten Bösewichtes aufzuklären. Eine Aufgabe, die den Überlebenden zufällt, da die Polizei nicht benachrichtig werden kann. Denn ein heftiges Unwetter hat die Halbinsel von aller Welt abgeschnitten und selbst die Handys lahmgelegt. Dass die Ermittlungsarbeiten der Krimiautorin Linn Kegel nach etlichen nicht nur kriminalistischen Irrungen und Wirrungen doch noch von Erfolg gekrönt werden, versteht sich.

Bis dahin (und darüber hinaus) bricht Rohner mit allerlei Krimikonventionen. So ist Taugenixen keineswegs, wie in dem Genre nicht ganz unüblich, allein aus der Sicht der ermittelnden Protagonistin geschrieben. Vor allem aber ereignet sich das aufzuklärende Verbrechen nicht schon auf den ersten Seiten des Romans. Vielmehr dauert es eine ganze Weile, bis es soweit ist, nämlich fast bis zu dessen Mitte. Doch dann schließt sich alsbald eine zweite Bluttat an. Natürlich noch, bevor die erste aufgeklärt ist. Verdächtigt werden unter anderem die sagenhaften Nixen. Zumindest von einer der esoterischen Differenzfeministinnen.

Wie Rohner in der von ihr gemeinsam mit Regula Stämpfli betriebenen Podcastin bekannte, lebt die ansonsten natürlich stets sehr seriöse Wissenschaftlerin ihr „Schrägsein“ als Krimiautorin aus. Das schlägt sich nicht nur in etlichen lustigen Wendungen nieder, wie etwa der, dass ein Mordopfer von seinem Herz in den Tod gepumpt wird, sondern auch in etlichen intertextuellen und -medialen Bezügen sowie einem vielfältigen Spiel mit den Namen der Figuren. Ein gewisser Tom Boje ist etwa nicht nur mit einem Mann namens Fischer liiert, sein Name lässt zudem sogleich Assoziationen zu weiblichen Tomboys aufkommen.

Überhaupt ist der Roman voller amüsanter Anspielungen. Manche Berühmtheit aus Literatur, Film und Fernsehen wird sogar namentlich erwähnt. Agatha Christie etwa wird nicht nur durch das Setting gewürdigt. Auch Edgar Wallace findet seinen Platz, ebenso Schweizer KomikerInnen, ein Philosoph, der kein Deutscher, sondern lieber Pole sein wollte, sowie ein deutscher Lyriker, der ein Gedicht über einen Panther verfasste. Und – wie könnte es in einem Buch der renommierten Dohm-Forscherin Isabel Rohner anders sein – natürlich Hedwig Dohm.

Aus dem cineastischen Bereich wiederum spielt etwa Billy Wilders berühmte Komödie, der zufolge niemand perfekt ist, eine kleine Rolle. Phantasiebegabte Podcasterinnen mögen sich angesichts mehrerer Toter vielleicht gar an einen italienischen Schnee-Western erinnert fühlen, in dem Klaus Kinski einmal mehr die Hassfigur gab. Sergio Corbuccis Streifen von 1968 lief den damaligen Publikumserwartungen derart zuwider, dass für den japanischen Verleih sogar ein neues Ende gefunden werden musste.

Auch Rohners Roman unterläuft manche Erwartung. Doch ein ähnliches Schicksal wird ihn sicher nicht ereilen. Denn gerade auf den letzten Seiten läuft die Autorin noch einmal zur Höchstform auf und lässt sogar den jungen Paul Auster inkognito vorbeischneien. All dies versehen mit einem leicht postmodernen Touch, der gegen Ende hin noch einmal kräftig zupackt. Mehr sei nicht verraten. Höchstens noch, dass in Rohners Kicherkrimi nicht etwa das dicke Ende zum Schluss kommt, sondern eine originelle Wendung.

Mithin also eine ebenso unterhaltsame wie vergnügliche Lektüre, die nicht nur allen empfohlen werden kann, die sich – vergeblich – in südliche Gefilde und baskische Küsten wünschen. Eine Einführung ins kleine Einmaleins der Literaturtheorie gibt’s übrigens obendrein. Und Mann erfährt ganz nebenbei sogar, warum sich Frauen nicht „jeden Tag den Strick nehmen“.

Titelbild

Isabel Rohner: Taugenixen.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2020.
144 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783897414471

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