Sie älter, er schwarz
Nick Hornby erzählt im Roman „Just Like You“ von einem nicht alltäglichen Liebespaar zu Zeiten des Brexit
Von Rainer Rönsch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer britische Autor Nick Hornby wurde von der britischen Sonntagszeitung The Observer als „the poet of the everyday“ bezeichnet. In seinen Romanen und Stücken schildert er den Alltag so poetisch wie scharfsinnig. Nicht alltäglich ist das Liebespaar in seinem neunten Roman mit dem wenig aufschlussreichen Titel Just Like You.
Lucy, 42-jährige Fachbereichsleiterin für Englisch an einer staatlichen Schule, und der 22-jährige Joe lernen sich in der Metzgerei in Nord-London kennen, wo der in seiner Lebensplanung noch unentschiedene Joe sonnabends als Verkäufer arbeitet. In dieser respektablen Gegend wohnt sie, er nicht. Zunächst engagiert sie ihn als „Babysitter“, allerdings sind ihre Jungen acht und zehn. Die beiden mögen den sportlichen und auf ihre Hobbys eingehenden jungen Mann. Er ist ihnen ehrlich zugetan und will nicht etwa auf dem Umweg über die Söhne das Herz der Mutter gewinnen.
Ansonsten ist die Perspektive des ungleichen Paars so unsicher wie die des ganzen Landes. Großbritannien steht zu Beginn des Romans, im Jahre 2016, kurz vor dem Referendum, das zwischen dem Verbleib in der Europäischen Union und dem Austritt aus ihr, dem berühmt-berüchtigten “Brexit“, entscheiden muss.
Lucy hat sich von ihrem suchtkranken Mann getrennt, der sie demütigte. „Blind Dates“ und versuchte Verkuppelung durch Freundinnen machen sie nicht glücklich. Joe ist nicht nur Fleischverkäufer, sondern auch Fußballtrainer. Er betreut Jugendliche in einem Freizeitzentrum und möchte Discjockey und Musikproduzent werden. Die beiden treffen in unterschiedlichen Lebensphasen aufeinander, so dass Konflikte und Zweifel unvermeidbar sind. Zuweilen scheint der Jüngere klüger zu sein. Als Lucy ihm vorrechnet, wenn er fünfzig werde, sei sie siebzig, erwidert er lapidar, das sei so, auch wenn sie sich trennen.
Joe ist schwarz. Ist es rassistisch, wenn Lucy sagt, er müsse viele Leute kennen, die gut singen können? Wieso erzählt Joe ihr, dass eine schwarze Bekannte sie als „Kalkleiste“ bezeichnet hat? Wie wird sich Lucy verhalten, als zwei Polizisten etwas dagegen haben, dass Joe spätabends bei ihr klingelt?
Der Brexit beschäftigt selbstverständlich auch Lucy und Joe. Um die europäische Einheit geht es dabei am allerwenigsten. Die Argumente für den Austritt sind entweder verschwommen oder verlogen. Jede Woche sollen Millionen ersparter EU-Beiträge das marode Gesundheitswesen aufpäppeln? Die Bauarbeiter werden mehr verdienen, wenn lohndrückende osteuropäische Kollegen das Land verlassen müssen?
Lucy findet, dass sich beim Referendum zwei Lager in der Bevölkerung richtig fetzen. Dieser Meinung ist auch der Autor. In der Reihe Die blaue Hand auf Zeit Online bekannte sich Nick Hornby als „Remainer“; er hat für den Verbleib gestimmt. Zugleich wies er auf die Schwächen der „Remain“-Bewegung hin, die die Volksmassen nicht erreichte. Im Roman wird ein Argument lächerlich gemacht: Was schert es einen Gerüstbauer, dass die Söhne und Töchter der Mittel- und Oberschicht auf dem Kontinent studieren wollen?
Beim Referendum wurden tiefe Gräben nicht aufgerissen, sondern ins Blickfeld gerückt. Eine Abstimmung über das Nacktsein in der Öffentlichkeit wäre laut Hornby ähnlich ausgegangen. Gefragt wurde nicht nach der Europafreundlichkeit, sondern nach der Zufriedenheit mit den Lebensumständen und der Regierung. Der Rezensent war unmittelbar nach dem Referendum in Großbritannien und hat ebenfalls diesen Eindruck gewonnen. Menschen aus den Midlands und Nordengland frohlockten, man habe es den feinen Pinkeln in London gezeigt.
Lucy stimmt unbeirrt für den Verbleib, Joe mit Ja und Nein zugleich. Das Ja gilt Lucy, deren Auffassung er nicht teilt, aber respektiert. Das Nein kreuzt er dem Vater zuliebe an, der nach dem Tod seiner zweiten Frau erst durch die Austrittskampagne wieder ins Leben gefunden hat.
Wie untrennbar das Soziale und das Private miteinander verwoben sind, zeigt sich, wenn Lucy die Freunde und Verwandten Joes kennenlernen soll und umgekehrt. Befürchtet wird nicht die Störung der Harmonie. Lucy empfindet wenig für die besserverdienenden „Kulturschaffenden“ unter ihren Bekannten. Joes Verhältnis zu Mutter und Schwester, erst recht aber zum davongelaufenen Vater, ist angespannt. Aber wie wird der oder die Neue „ankommen“? Mit psychologischem Feingefühl erkundet Hornby, ob man sich für den Menschen schämen kann, den man liebt, weil beim Palaver über Bücher vielleicht Joe und bei urwüchsiger Fröhlichkeit möglicherweise Lucy nicht mithalten kann.
Bruchlos kombiniert der Autor warmherziges Erzählen und scharfe Satire. Seinem Ruf als guter Dialogschreiber, den er sich als Dramatiker erarbeitet hat (kürzlich erschien das Dialogstück Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst), wird er auch in diesem Roman gerecht. Zu lachen gibt es genug. Lucy warnt ihre Söhne, der Konsum hormongetränkten Rindfleischs könne sie zu „osteuropäischen Gewichtherberinnen“ machen. Und ein Quizabend in der Schule mit Joe als geduldetem „Fremdkörper“ wäre im Fernsehen oder auf der Bühne ein Knaller.
Am Ende ist der Brexit längst entschieden, die Beziehung zwischen Großbritannien und Europa bleibt ungeklärt. Und Lucy und Joe? Sie schienen schon getrennt, finden aber wieder zueinander. Als Lucy im Frühling 2019 nicht mit auf ein Familienfoto will, sagt Joe, sie sei jetzt sein Leben. Kurz danach folgt der nicht minder schöne letzte Satz des Romans: „Jetzt mussten sie einfach gehen und schauen, wie weit sie kamen.“
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