Zurück zu den Wurzeln

In „Kummer im Westen“ lässt Alexander Kühne seinen Helden Anton Kummer aus „Düsterbusch City Lights“ an der neugewonnenen Freiheit schon bald verzweifeln

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2016 erschien mit Düsterbusch City Lights ein Roman des im brandenburgischen Lugau aufgewachsenen Fernsehjournalisten und freiberuflichen Drehbuchautors Alexander Kühne (Jahrgang 1964), in dem der – aus der Sicht seines autobiografisch angelegten Helden Anton Kummer – in die letzten Jahre der DDR zurückblickte.

Düsterbusch hat Kühne das Kaff am Rande des Spreewalds getauft, in dem Kummer mit ein paar Freunden und gegen alle Widerstände seine Vision von einem Szeneclub nach Londoner Vorbild verwirklicht. Aus der Gaststätte „Zur Linde“ machen die jungen Leute den subkulturellen Club „Helden des Fortschritts“, in den Sonnabend für Sonnabend zu Kasettendiscos und Konzerten alles aus der näheren und weiteren Umgebung pilgert, was sich nicht zufrieden geben will mit der staatlich verordneten „Jugendkultur“.

Nun also Kummer im Westen, die Fortsetzung von Düsterbusch City Lights. Hatten die Abenteuer Anton Kummers im ersten Band der Romanreihe mit einem Unfall geendet, der Anton auf den Kopf und ins Koma fallen ließ, wacht er nun in einer veränderten Wirklichkeit wieder auf. Zunächst will es ihm gar so vorkommen, als wäre er urplötzlich da gelandet, wohin er und seinesgleichen sich schon immer geträumt haben. Erst allmählich bekommt er freilich mit, dass es zwischen seiner Vorstellung von einer befreiten Gesellschaft und der Realität, in der er sich erst ein wenig schwankend, dann immer festeren Schritts nach dem Mauerfall bewegt, doch den einen oder anderen Unterschied gibt. Nicht alles ist so golden, wie es aus der Distanz des östlichen zum westlichen Deutschland einst den Anschein erweckte.

Doch bekanntlich wohnt jedem Anfang auch ein Zauber inne. Und so sieht Anton Kummer erst einmal großzügig über die Leute „mit den Schnauzern und Bitterfeld-Gesichtern“ hinweg, die mit ihm an den Westberliner Sparkassen nach „Begrüßungsgeld“ anstehen. Und auch dass er, frisch aus der Charité entlassen, in Berlin/Ost bei Typen unterkommt, die die Weiterexistenz der DDR – lediglich ein bisschen reformiert nach den Vorschlägen des gerade kursierenden Aufrufs „Für unser Land“ – eigentlich ganz gut finden würden als Alternative zu einem Leben in „doppelte[r] Lohnabhängigkeit“, macht ihn nicht gleich wütend. Denn zu viel ist neu und erst einmal faszinierend.

Allein das Staunen „von Bauklötze[n] über Buntheit und Angebot“ ist nicht von Dauer. Denn schon bald sieht Kühnes Protagonist in den Massen „kaputtgeshopter“ Ossis mit übergroßen, vollen Plastiktüten Zeitgenossen, die wirken, „als würden sie aus Feindesland wieder in die Heimat fahren.“ Und weil es sich für einen wie Anton Kummer verbietet, genauso blind wie viele andere um ihn herum in die Konsumfalle zu tappen, erleben ihn die Leser*innen nach einem knappen Drittel des Romans als desillusionierten Westrückkehrer wieder in Düsterbusch. Statt Kummer im Westen also Kummer da, wo er sich auskennt, in der brandenburgischen Provinz rund um sein Heimatdorf.

Allein die von Helmut Kohl so vollmundig versprochenen „blühenden Landschaften“ lassen auch in Düsterbusch auf sich warten. Stattdessen ist Tristesse angesagt. Während Antons Mutter um ihre „Intelligenzrente“ kämpfen muss, der Vater, zu dem der Sohn ohnehin nie das beste Verhältnis hatte, in einen eher unruhigen Vorruhestand versetzt wird und die Freunde von früher damit beschäftigt sind, Fuß zu fassen in der veränderten Wirklichkeit, findet Anton selbst zunächst einmal eine neue Liebe – zur alten und dem aus dieser Beziehung hervorgegangenen Kind hat er keine Verbindung mehr – und dann auch einen neuen Job.

Glück bringen ihm beide nicht. Die Deutsch-Russin Irina gelangt schnell zu der Überzeugung, dass er zu wenig ambitioniert ins Leben nach der DDR startet, und verlässt ihn nach ein paar Wochen der Euphorie. Und die Schallplattenvertreter-Stelle für ein dubioses westdeutsches Bootleg-Unternehmen erweist sich letzten Endes als formidabler Schwindel, der nur seinem Erfinder kurzzeitig Gewinn einträgt.

Kummer im Westen bringt – wie schon sein Vorgänger – das Kunststück fertig, in authentisch-witzigem Tonfall an eine Zeit zu erinnern, die man, nachdem sie nun bereits drei Jahrzehnte zurückliegt, für nahezu auserzählt hielt. Mit den Wenderomanen von Ingo Schulze, Thomas Brussig, Lutz Seiler oder Uwe Tellkamp kann Kühnes Buch von seiner literarischen Qualität her dennoch nicht mithalten. Zu eindimensional erzählt es seine Geschichte von einem, der auszog, das Gruseln im heruntergewirtschafteten Osten Deutschlands hinter sich zu lassen.

Am Ende freilich ist er wieder da im ehemaligen „Land des Kleinmuts und der Denunzianten“ und versammelt die Überbleibsel der Clique von einst, um da weiterzumachen, wo man vor der Wende aufgehört hat. Lebensgefühl und Musikgeschmack haben sich inzwischen zwar geändert, aber mit einer unter dem Motto „Der XIII. Parteitag“ veranstalteten Ossi-Party und einer Rave-Veranstaltung in der obskuren Szenerie eines ehemaligen SS-20-Raketen-Silos ist zumindest schon ein neuer Anfang gemacht.    

Titelbild

Alexander Kühne: Kummer im Westen. Roman.
Heyne Hardcore, München 2020.
352 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783453272668

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